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Aus dem „Roten Wien“ vertrieben

Die Nutzung öffentlichen Wohnungsbaus verwehrt, wird auch die Einreise in die Schweiz nicht gestattet

„Indem wir uns auf Ihre Eingabe vom 10. Juni 1938 berufen, müssen wir Ihnen leider mitteilen, dass Ihrem Gesuche um Bewilligung der Einreise in die Schweiz zur Zeit nicht entsprochen werden kann.“

Bern/Wien

Für einen eingefleischten Sozialdemokraten wie den Journalisten, Übersetzer und Schriftsteller Maurus (Moritz) Mezei, müssen die Veränderungen, die unmittelbar nach der ungehinderten Annexion des Landes durch Nazi-Deutschland in Österreich Platz griffen, doppelt problematisch gewesen sein. Während der Ära des „Roten Wien“, der ersten Zeit demokratischer Regierung der Stadt von 1918 bis 1934, war Familie Mezei in den Karl-Marx-Hof, einen Gemeindebau (Komplex von Sozialwohnungen) gezogen. Von 1938 an waren „nicht-arische“ Familien wie die Mezeis mit der Ausweisung aus dem Komplex bedroht. Während nach dem Regierungswechsel anfänglich der Mieterschutz auch für Juden in Kraft blieb, galt er nicht für Gemeindebauten. Am 10. Juni hatte Mezei die Einwanderung in die Schweiz beantragt, doch die Antwort, geschrieben am 14. Juli, fiel negativ aus: Nur wenn er ein Einreisevisum für ein überseeisches Land beschaffe, würden die Schweizer Einwanderungsbehörden seinen Fall erneut überprüfen und ihm möglicherweise vorläufiges Asyl gewähren.

QUELLE

Institution:

Jüdisches Museum Wien

Original:

Brief der Eidgenössischen Fremdenpolizei an Maurus Mezei ; Inv. Nr. 20991/ 26

Richtungswechsel

Der „Hilfsverein der Juden in Deutschland“ unterstützt jüdische Aus- anstatt Einwanderer

Berlin

Der 1901 in Berlin gegründete „Hilfsverein der deutschen Juden“ unterstützte vor allem jüdische Einwanderer nach Deutschland. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten kümmerte sich der nun zwangsweise umbenannte „Hilfsverein der Juden in Deutschland“ umgekehrt um die Vorbereitung und Umsetzung der Emigration aus Deutschland. Dazu bot er Hilfe bei Behördenfragen, Passangelegenheiten oder beruflicher Umschulung an und gewährte auch finanzielle Unterstützung. Ein wichtiges Organ für seine Arbeit war das Periodikum „Jüdische Auswanderung“, das über allgemeine Lebens- und Arbeitsbedingungen, aber auch über spezifische Fragen jüdischer Kultur in verschiedenen Ländern informierte. Im Juli-Heft von 1938 wurden die USA, Kuba und die Philippinen vorgestellt.

QUELLE

Institution:

Deutsches Historisches Museum

Original:

Informationsheft „Jüdische Auswanderung“. Korrespondenzblatt für Auswanderungs- und Siedlungsfragen ; Inv. Nr: Do2 91/194

„Für 100% Erholung“

Die Catskills locken deutschsprachige jüdische Immigranten zu einem Ausflug ins Grüne

„Einziges von deutschen Juden geführtes Haus in Fleischmanns.“

Fleischmanns, New York

In den zwanziger Jahren begannen sich die Catskill-Berge zu einem Feriengebiet zu entwickeln, das starken Zuspruch fand unter jüdischen Einwanderern, die anderswo oft nicht willkommen waren. In den dreißiger Jahren begann sich daher der Spitzname „Borscht Belt“ für die Region durchzusetzen. Nach bescheidenen Anfängen – osteuropäisch-jüdische Farmer vermieteten Zimmer an ruhebedürftige Stadtmenschen – wurden im Laufe der Zeit aus Privatpensionen kleine Hotels und aus manchen der kleinen Hotels große Hotels. Während Juden osteuropäischer Herkunft das Gros der Gastgeber und der Feriengäste ausmachten, führten die politischen Ereignisse der dreißiger Jahre zu einer Zunahme der Anzahl deutschsprachiger Juden, die den Wunsch verspürten, die Hektik der Großstadt mit der entspannten Atmosphäre der Catskills auszutauschen. In der Juli-Ausgabe des „Aufbau” bot das Park Plaza Hotel in Fleischmanns, New York (benannt nach Ch.L. Fleischmann, einem ungarischen Juden, der im 19. Jahrhundert die kommerzielle Produktion von Hefe in den Vereinigten Staaten eingeführt hatte) Urlaub über das Wochenende am US-amerikanischen Unabhängigkeitstag mit täglich vier Mahlzeiten und einem besonderen Dinner am 4. Juli an. Es ist anzunehmen, dass die Aussicht darauf, ihr neues Land im Kreis anderer europäischer Juden in einem Etablissement mit „anerkannt vorzüglicher amerikanischer, ungarischer und Wiener Küche“ zu feiern, für die dankbaren Neuankömmlinge attraktiv war.

Radio, Grammophon, Zeitungen, Belletristik

Die Kunst des Fremdsprachenlernens

„Für den Anfänger ist der "native instructor" nur dann der förderlichste, wenn er hinreichende Kenntnisse der Muttersprache des Schülers hat, um die diesem entgegenstehenden Schwierigkeiten zu erkennen und genügend didaktische Schulung, um mit den geeigneten Mitteln ihrer Herr zu werden.“

NEW YORK

In seinem Artikel „Zehn Gebote für Sprachbeflissene“, der in der Juli-Ausgabe des „Aufbau“ veröffentlicht wurde, empfiehlt Dr. Eugene I. Stern, sich des gesamten Instrumentariums zu bedienen, das dem modernen Englisch-Schüler zur Verfügung steht: Radio, Grammophon, Zeitungen, Belletristik. Die Genauigkeit, mit der er beschreibt, was er für die vielversprechendste Methode des Sprachstudiums hält, entspricht jedem Stereotyp, das mit deutschen Juden in Verbindung gebracht wird. Dr. Stern verspricht keine Patentlösungen, und seine Einschätzung der Aussichten des Sprachschülers ist nicht besonders optimistisch: Gleich eingangs erklärt er, das Meistern einer Fremdsprache sei ein nicht zu erreichendes Ziel. Nichtsdestotrotz erlernten jüngere deutsch-jüdische Einwanderer die Sprache in der Regel innerhalb weniger Jahre, im Gegensatz zu ihren Landsleuten in Palästina, die sich die neue Sprache notorisch langsam und zögerlich aneigneten. Verschiedene Institutionen in Amerika waren ihnen bei ihren Bemühungen behilflich, so z.B. der National Refugee Service und das Adult Education Council, YMCA und YWCA, die den Neuankömmlingen kostenlosen Englischunterricht anboten.

Ausweisung binnen 24 Stunden

Die Situation ist prekär für jüdische Immigranten in Jugoslawien

„Ich sage Euch das eine, der Antisemitismus macht nicht in Deutschland, oder Österreich, oder Ungarn, oder Rumänien, oder Jugoslavien halt, wenn nicht ein Wunder geschieht oder durch eine Katastrophe die Menschen aufgerüttelt werden.“

BELGRAD/NEW YORK

Während der Antisemitismus in Jugoslawien in keiner Weise ein neues Phänomen war – tatsächlich hatte seit Ende des Ersten Weltkriegs das gesamte politische Spektrum Anlässe zu judenfeindlichen Auslassungen gefunden – verschlechterte sich die Situation in den dreißger Jahren unter dem Einfluss der Ereignisse in Deutschland. Der Nürnberger Fritz Schwed hatte, was den vorläufigen Zufluchtsort seiner Familie betraf, keine Illusionen: In diesem langen Brief an seinen alten Freund aus Nürnberger Tagen, Fritz Dittmann, der nach New York geflohen war, beschreibt Schwed die prekäre Situation von Emigranten in Jugoslawien, die mit einer Vorwarnung von bloßen 24 Stunden ausgewiesen werden konnten. Selbst ältere und bereits längere Zeit im Lande ansässige Menschen waren von dieser grausamen Regelung nicht ausgeschlossen. Emigranten bekamen keine Arbeitserlaubnis, und wenn sie beim Übertreten des Verbots ertappt wurden, mussten sie mit sofortiger Ausweisung rechnen. Mit dem Fazit „Es ist für deutsche Juden kein Platz mehr in Jugoslawien und wie mir scheint, auch nirgends mehr in Europa“, begann Schwed, die Möglichkeit einer Emigration nach Australien oder Südamerika auszukundschaften.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Gerda Dittmann, AR 10484

Original:

Archivbox 1, Ordner 3

Besuch beim US-Konsulat

Heinz Ries kann endlich einwandern

Havanna

Nachdem sein erster offizieller Einwanderungsversuch unter abenteuerlichen Bedingungen gescheitert war, bemühte sich der zwanzigjährige Heinz Ries aus Berlin ein weiteres Mal darum, dauerhaft und rechtmäßig in den USA leben zu dürfen. Monatelang hatte er sich illegal in New York durchgeschlagen. Erst mit Hilfe einer Bürgschaft, einer erneuten Einreise über Havanna (Kuba) und wiederholter Vorsprache beim dortigen amerikanischen Konsulat, wo er am 23. Juni 1938 erstmals vorstellig wurde, gelang sein Vorhaben. Nach dem Krieg kehrte er zunächst als Mitarbeiter der Alliierten, dann als Fotoreporter der New York Times für einige Zeit nach Deutschland zurück. Aus diesen Jahren stammen die Fotos der Berliner Blockade und Luftbrücke, die ihn unter dem Namen Henry Ries weltberühmt machten.

QUELLE

Institution:

Deutsches Historisches Museum

Original:

Einwandererausweis der Vereinigten Staaten von Amerika für Heinz Ries ; Inv.No. Do2 2009/488

Eine Wochenzeitung als Rettungsanker

Die „Aufbau“ liefert Tipps zum Neuanfang

„159. Str., 575 West, Apt. 22—Schön möbliertes Frontzimmer für 1 oder 2 Personen, fliessendes Wasser, preiswert.“

New York

Als der Zustrom von Flüchtlingen aus Nazi-Deutschland zunahm, wurde aus dem, was als Jubiläumsheft des German Jewish Club begonnen hatte, schnell eine professionelle Publikation und ein Rettungsanker für die Entwurzelten: Die Wochenzeitung war mit ihrer breiten Auswahl kultureller und sportlicher Aktivitäten unter Schicksalsgenossen ein seelischer Anker, bot aber auch praktische Hilfe bei der Niederlassung im neuen Land. Diese Ausgabe des „Aufbau“ vom Juni 1938 zeichnet sich durch eine große Anzahl von Wohnungsangeboten aus, meist für voll möblierte Zimmer, oft im Stadtteil Washington Heights im Nordteil Manhattans, wodurch Besitzern oder Hauptmietern etwas zusätzliches Einkommen eingebracht wurde. Gleichzeitig wurde erschwinglicher Wohnraum für Flüchtlinge zur Verfügung gestellt, die in der Regel mit sehr wenig Geld und Besitz ankamen.

In Einzelfällen

Die Flüchtlingspolitik Australiens

Das kanadische Einwanderungsministerium hat aus Melbourne Nachricht erhalten, wonach "keine besonderen Erleichterungen für Gruppen jüdischer Migranten nach Australien" bewilligt werden sollen.

Melbourne

Unter dem Eindruck der Machtübernahme der Nazis in Deutschland und zunehmendem Antisemitismus in Europa bewies der große jiddische Schriftsteller und kulturelle Aktivist Melech Rawitsch die Weitsicht, bereits 1933 die Mittel für eine Reise von seinem Heimatland Polen nach Australien zu organisieren, um die ungastliche Kimberley-Region als möglichen Ort der Ansiedlung von Juden auszuforschen. Seine optimistische Schlussfolgerung war, die Herausforderungen des Outback könnten mit ‚‚mehr Wasser, weniger Bier“ bezwungen werden. 1938 begann auch die territorialistische ‚‚Freilandliga“ diese Möglichkeit zu erörtern. Laut Bericht der Jewish Telegraphic Agency vom 15. Juni war die australische Regierung bereit, individuelle Fälle einreisewilliger Juden in Betracht zu ziehen, war jedoch nicht gewillt, eine jüdische Masseneinwanderung ins Land zu unterstützen.

Vogelfrei

Juden aus Burgendland vertrieben

„Man lernt hier, was wirklich wichtig ist im Leben. Den Leuten spielt auch Geld keine Rolle mehr, auch das ist unwichtig geworden.“

Eisenstadt

Die jüdische Gemeinde in Eisenstadt im österreichischen Burgenland war nie besonders groß gewesen, aber als älteste Gemeinde in der Gegend reichte sie bis ins 14. Jahrhundert zurück und hatte ein reiches kulturelles Leben. Im Augenblick der Annexion Österreichs an Deutschland am 12. März 1938 wurden Juden vogelfrei: Unter dem zutiefst rassistischen Gauleiter Tobias Portschy war das Burgenland der erste Teil Österreichs, der seine jüdische Bevölkerung vertrieb. Um ihren alten Eltern mit den Vorbereitungen zum Umzug zu helfen, hielt sich Hilde Schlesinger im Juni 1938 in Einsenstadt auf. In ihrem Geburtstagsbrief an ihre Tochter Elisabeth in Amerika bemerkt sie, diese sei „zu einem echten jüdischen Kind geworden, zu einem nicht sesshaften, zum Wandern immer bereiten“, im Gegensatz zu ihrer eigenen emotionalen Verbundenheit zu Eisenstadt, aus dem sie sich nun entwurzeln musste. Frau Schlesinger Schiff hofft, ihre Eltern werden bald die Einreisegenehmigung in die Tschechoslowakei erhalten, aber noch ist die bürokratische Seite nicht geklärt. Es ist offensichtlich, wie unangenehm sie die Erpichtheit der Nichtjuden auf Schnäppchen berührt, die sie als „Leichenraub“ bezeichnet, während Ihre Familie gezwungen ist, einen Großteil ihres Eigentums zu veräußern.

Anne weiß es besser

Familie Frank feiert den 9. Geburtstag ihrer Tochter

Amsterdam

Um das zunehmend antisemitische Deutschland hinter sich zu lassen, war Familie Frank aus Frankfurt am Main kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in die Niederlande geflohen. Sie ließ sich auf dem Merwedeplein in Amsterdams Fluss-Viertel nieder, wo mehr und mehr deutschsprachige Flüchtlinge Zuflucht fanden. So groß war der Zustrom von Juden, dass manche unter den lokalen Juden besorgt waren, es würde ihren gesellschaftlichen Stand beeinträchtigen und Antisemitismus hervorrufen. Die ältere Tochter der Franks, Margot, ging auf der Jekerstraat zur Schule. Anne besuchte die 6. Montessori-Schule, die nur fünf Minuten Fußweg von der Wohnung der Familie entfernt war. Fünfzehn ihrer Klassenkameraden waren jüdisch. Sie liebte es, Geschichten zu erzählen und zu schreiben. Anne war neugierig, anspruchsvoll, interessiert und ausgesprochen wortgewandt. Wie die Mutter ihrer guten Freundin Hanneli zu sagen pflegte, “Gott weiß alles, aber Anne weiß es besser.“ 1938 beantragte Annes Vater Otto Frank Einreisevisen für die Vereinigten Staaten. Der 12. Juni 1938 war ihr 9. Geburtstag.

QUELLE

Seelenverfassung

Keine Begeisterung, aber Wille zum Erfolg

„Ich glaube, wenn Du Dich für Palästina entscheiden solltest, dass Du dazu zwar keine Begeisterung brauchst. Die Mehrheit wandert heute ein ohne jede Begeisterung, aber Du brauchst den festen Willen hier trotz aller Schwierigkeiten, geringem Einkommen und schwerer Arbeit bei klimatischen Schwierigkeiten Dich durchzusetzen.“

TEL AVIV/ZÜRICH

Herbert Mansbach, ein deutscher Student der Zahnmedizin, der vorübergehend in der Schweiz ansässig war, hatte Glück: Ein Freund von ihm war bei der Krankenkasse (Kupat Cholim) des Allgemeinen Verbands der Arbeiter in Eretz Israel (Histadrut) angestellt und konnte ihm wertvolle Informationen zur Aufnahme in einem Kibbutz und zum Auffinden eines Arbeitsplatzes in Palästina geben: Die Hauptvoraussetzungen für eine Kibbuzmitgliedschaft waren die Zugehörigkeit zur HeChaluz-Pionier-Jugendbewegung und einige Hebräischkenntnisse. Um allerdings eine Anstellung als Zahnarzt in Tel Aviv zu bekommen, war perfektes Hebräisch unabdingbar. Herberts Freund zeichnete ein ernüchterndes Bild von der Seelenverfassung der Neueinwanderer: Die Mehrheit, schreibt er, käme ohne Begeisterung – Entschlossenheit zum Erfolg sei wichtiger.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Herbert Joseph Mansbach, AR 7073

Original:

Archivbox 1, Ordner 2

Hürden mit vielen Nullen

Die Reichsstelle für Devisenbewirtschaftung verlangt viel Geld von auswandernden Juden

Berlin/Dresden

Bevor Martha Kaphan ihre Reise in das unter britischem Mandat stehende Palästina antreten konnte, musste sie bei der Dresdner Bank den sehr hohen Geldbetrag von 800 Reichsmark als Depositum für die Ausstellung eines Touristenvisums hinterlegen. Grundlage dafür war eine Bestimmung der Reichsstelle für Devisenbewirtschaftung, die im NS-Staat maßgeblicher Träger der Ausplünderung auswanderungswilliger deutscher Juden war. Mit solchen Touristenvisa suchten einige tausend Juden als „illegale“ Einwanderer den Weg nach Palästina, um dort eine permanente Aufenthaltserlaubnis zu erlangen. Martha Kaphan emigrierte wohl nicht dauerhaft: Das britische Konsulat bestätigte 24. Dezember 1938 die Abreise, das Depositum wurde am 29. Dezember in Breslau ausgezahlt und das Konto am 10. Januar 1939 erledigt. Ob es sich hier um die 1877 in Militsch geborene Martha Kaphan handelt, die 1942 im Lager Grüssau interniert war, kann nicht mit letzter Sicherheit gesagt werden.

QUELLE

Institution:

Deutsches Historisches Museum

Original:

Hinterlegungsbescheinigung für den Erhalt eines Touristenvisums nach Palästina; Do2 2000/1000

Reisebüro „Kompass“

Auswandern ist schwieriger als es klingt

„Wollen Sie Ihre Verwandten hier haben? Brauchen Sie Hilfe, die Schwierigkeiten zu überwinden?“

New York

In einer Anzeige im „Aufbau“, die auf deutsche Einwanderer abzielte, bot das „Compass Travel Bureau“ in New York „fachmännische Beratung aller [sic] Einwanderungsangelegenheiten und die Erledigung aller Reiseformalitäten“. Wem es gelungen war, sich bis Mai 1938 noch ein wenig Optimismus zu bewahren, hätte meinen können, keine größere Anstrengung sei vonnöten. Doch die Beschaffung aller erforderlichen Dokumente konnte ein zermürbend langer Prozess sein: Juden, die verzweifelt versuchten, Deutschland zu verlassen, mussten zuerst Quotennummern und eine Unzahl von Dokumenten aus verschiedenen deutschen Behörden beschaffen und sich mit dem langsamen Postdienst abgeben, während sie versuchten, in Amerika Bürgen zu finden.

Pessach-Ball mit „Kölner Jecken“

Die Zionistische Arbeiterbruderschaft sorgt für temporäre Heiterkeit unter deutsch-jüdischen Einwanderern

NEW YORK

Meist war die Jewish National Workers Alliance, unter welchem Namen die Zionistische Arbeiterbruderschaft bekannt war, mit ernsthaften Angelegenheiten beschäftigt: Unter anderem war sie bestrebt, die Arbeiterklasse zu stärken, und in wirtschaftlichen Notlagen, im Fall von Krankheit oder Tod ihrer Mitglieder, Hilfe zu leisten. 1911 hatte sie das erste Versicherungssystem für jüdische Arbeiter eingerichtet. Am 9. April 1938 wich sie von ihrer Kernaufgabe ab und hielt in der deutsch-jüdischen Hochburg Washington Heights in New York einen Pessach-Ball ab. Unter anderem wirkten an dem Programm „Kölner Humoristen“ mit – ein Gütezeichen unter deutschen Einwanderern, die mit Kölner Karnevalsnarretei vertraut waren, einer Tradition, die bis ins Mittelalter zurückreicht. Veranstaltungsort war der Ballsaal der Paramount Mansion, in der verschiedene Institutionen zu Hause waren, die die Interessen deutsch-jüdischer Einwanderer förderten.

In der Heimat verloren

Österreichische Juden und das US-Konsulat in Wien

„Hunderte kamen in der Annahme, die Vereinigten Staaten seien bereit, die Überfahrt von 20.000 Einwanderern zu genehmigen und zu finzieren. Vertreter des Konsulats wandten sich an Gruppen von Antragstellern, um ihnen den tatsächlichen Sachverhalt zu erklären“.

Wien

In einem weiteren dramatischen Bericht aus Österreich beschreibt die „Jewish Telegraphic Agency“ verängstige Juden, die in der fehlgeleiteten Hoffnung auf Unterstützung in das Konsulat der Vereinigten Staaten strömten. Gerade prominente Juden mussten mit Schikanen und Festnahme durch die Gestapo rechnen. Führende Persönlichkeiten des österreichischen Judentums waren gezwungen, die Polizei über ihre Aktivitäten zu unterrichten, während es ihren deutschen Amtskollegen aufgrund eines Einreiseverbots für Juden unmöglich war, ihnen einen Solidaritätsbesuch abzustatten. Des Weiteren berichtet die JTA, die Situation tausender jüdischer Schauspieler sei mittlerweile dermaßen verzweifelt, dass selbst der nationalsozialistische Beauftragte des österreichischen Bühnenvereins eine Kampagne zu ihren Gunsten zulasse.

Stimmen in London

Das Zionistische Aktionskomittee berät zur Lage der Juden in Europa

London

„Die Stimme“ galt als das offizielle Organ des zionistischen Landeskomittees für Österreich. In ihrer Ausgabe vom 9. März zitiert sie eine Meldung der „Jewish Telegraphic Agency“ über die Konferenz des Zionistischen Aktionskomittees in London. Während die Spannung in Österreich stieg, standen auf der Tagesordnung der Konferenz andere dringende Angelegenheiten, wie z.B. die Einwanderung nach Palästina und die Veränderung der britischen Haltung zu diesem Thema. Als besonders wichtig wurden Vorschläge eingestuft, in verschiedenen osteuropäischen Staaten den Preis des Schekels zu senken und Koordinationsräte für zionistische Aktivitäten einzurichten.

Kaffeeklatsch im Frankfurt am Hudson

Ein neues Leben in Washington Heights, NYC

Bei Kaffee, Kuchen und Kartenspiel und einem gemütlichen Unterhaltungsprogramm werden die Anwesenden Gelegenheit haben, darüber zu sprechen, was sie bewegt.

New York

Zwischen der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 und dem Jahr 1938 waren etwa 16.000 Juden in die Vereinigten Staaten eingewandert. Viele deutsche Juden hatten sich in New York angesiedelt, vor allem im Stadtteil Washington Heights im Norden Manhattans, was ihm den Scherznamen „Frankfurt am Hudson“ einbrachte. Der Veranstaltungskalender des „German Jewish Club“ für den Monat Februar verzeichnet einen „Familienabend mit Kaffee-Klatsch“, der „künstlerische und musikalische Einlagen“ bietet. Die Veranstaltung ist auf die Bedürfnisse der älteren Mitglieder der Gemeinschaft abgestimmt als „Ersatz für Loge, Liederkranz, Resource und andere Vereine“ und verspricht den Teilnehmern die Gelegenheit, über die Dinge zu sprechen, die sie bewegen. Zusätzlich zu den kulturellen Veranstaltungen führt der massive Zustrom deutscher Juden zur Gründung zahlreicher neuer Synagogengemeinden, angefangen mit „Tikvoh Chadoshoh“: „Neue Hoffnung“.

Kibbutz Giv’at Brenner

Deutsche Juden finden ein neues Zuhause in Palästina

Giv'at Brenner

Der Kibbutz „Giv’at Brenner” wurde 1928 von jungen Einwanderern aus Polen und Litauen errichtet, denen sich kurz später eine Gruppe aus Deutschland anschloss. Wie in vielen Kibbutzim waren die Lebensbedingungen in Giv’at Brenner zunächst schwierig, was einige Mitglieder dazu veranlasste, den Kibbutz zu verlassen. In den dreißiger Jahren wuchs der Kibbutz durch die Aufnahme von Neueinwanderern. Im Laufe der Zeit entwickelten sich eine erfolgreiche Landwirtschaft und verschiedene industrielle Unternehmen, wie eine Konservenfabrik und eine Fabrik für Bewässerungsanlagen. Das Bild zeigt die Schreinerei des Kibbutz im Jahr 1938. Eine Besonderheit war „Beit Jescha“, ein vegetarisches Genesungsheim, das Mitte der dreißiger Jahre eingerichtet wurde und das erste seiner Art in einem Kibbutz war.

Palästina

Überwältigende Landschaften und blutige Unruhen

Haifa

Dieses Gemälde des in Haifa ansässigen Künstlers Hermann Struck zeigt eine der ikonischen Landschaften des Heiligen Landes, das Tote Meer, und dessen Umgebung. Struck war einer der wenigen deutschen Juden, die bereits vor 1933 nach Palästina ausgewandert waren. Was das Bild nicht reflektiert, ist die komplizierte Situation in Palästina Ende der dreißiger Jahre: Aufgrund des wachsenden Zustroms jüdischer Einwanderer im Allgemeinen und, ab 1933, deutscher Juden im Besonderen, wuchsen die Spannungen zwischen Juden und Arabern und zwischen den Arabern und der britischen Mandatsmacht. Die gewalttätigen Ausschreitungen zwischen den Gruppen kulminierten in einem arabischen Aufstand in den Jahren 1936-1939. Dies führte dazu, dass die britische Mandatsregierung auf der Basis ihres „Weißbuches“ im Jahr 1939 noch weniger Juden die Einreise ins Land gestattete als in den Vorjahren. Einwanderungswillige deutsche Juden mussten auf eine neue Quote warten, während andere Emigrationsmöglichkeiten stetig schwanden.

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