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Den Nazibehörden ausgeliefert

Die bürokratischen Erfordernisse der Auswanderung

„Dem Herrn Ernst Aldor, am 30.5.1904 in Wr. Neustadt geboren, zuständig nach Wr. Neustadt in Wien, XVIII., Weimarerstrasse 3 wohnhaft, wird auf sein Ansuchen zum Zwecke der Erlangung des amerikanischen Einreisevisums hiemit [sic] bestätigt, daß gegen ihn Nachteiliges nicht vorgemerkt ist.“

Wien

Nicht lange nach der Machtübergabe an die Nazis verlor das schon während der Weimarer Republik oft eher Hoffnung als Realität reflektierende Motto „Die Polizei – Dein Freund und Helfer“ für Regimegegner und Juden jegliche Bedeutung. Ein bereits im Februar 1933 eingeführtes Gesetz legte fest, dass Polizisten, die gegen Menschen, die als Feinde des Regimes eingestuft wurden, ihre Waffen einsetzten, straffrei ausgehen sollten. Als Teil einer unheiligen Dreifaltigkeit, gemeinsam mit SA und SS, wurde die Polizei schnell zu einem Instrument nationalsozialistischen Terrors. Daher war die Beschaffung eines polizeilichen Führungszeugnisses wahrscheinlich nicht das einfachste der Erfordernisse an angehende Auswanderer, die Visen für die USA beantragen wollten. Am 24. Dezember 1938 wurde dieses wichtige Dokument an den Wiener Ernst Aldor ausgestellt.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Renee Aldor, AR 10986

Original:

Archivbox 1, Ordner 3

Source available in English

Widerstand von Juden im Exil

In the United States, Toni Sender warns of the dangers of National Socialism

BERLIN

Toni Sender ist seit 1920 SPD-Reichstagsabgeordnete in der Weimarer Republik. Sie bezieht bereits früh Stellung gegen den Nationalsozialismus und warnt vor den Gefahren für die Demokratie. Weil sie als Sozialdemokratin und Jüdin von den Nationalsozialisten angefeindet und bedroht wird, flüchtet sie im März 1933 erst in die Tschechoslowakei, dann nach Belgien, wo sie ihren Kampf gegen das NS-Regime im Exil fortsetzt. 1935 emigriert sie in die USA. Als Rednerin und Journalistin versucht sie auch dort, das Ausland über den verbrecherischen Charakter des Nationalsozialismus aufzuklären. Wie das Schreiben der Gestapo an den Ermittlungsrichter des Volksgerichtshofs vom 22. Oktober 1938 belegt, bleibt ihr Widerstand nicht unbemerkt.

QUELLE

Institution:

Die Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Original:

Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde; R3018 NJ-15413

“Zum letzten Mal”

Eine Bar Mizwa wird zum Abschied

Und sie feierten trotzdem. Viele der Familien, die in diesem September die Bar Mizwa ihrer Söhne begingen, würden nicht mehr lange in Berlin sein. An diesem Tag kommen sie aber alle nochmal in der Synagoge zusammen.

BERLIN

Mehr ein wehmütiger Abschied als eine freudvolle Bar Mizwa: Rabbi Manfred Swarsensky schien sich der Lage seiner Gemeindemitglieder an der Berliner Synagoge Prinzregentenstraße vollends bewusst zu sein. In seiner Ansprache zur Bar Mizwa von 15 Jugendlichen fing er die Stimmung an diesem Festtag in einem eindrücklichen Bild ein: Alles trage gerade „den Stempel auf sich ‚Zum letzten Mal‘.“ Viele Familien, deren Söhne an diesem Tag ihre Bar Mizwa feierten, säßen bereits auf gepackten Koffern. Für eine Familie gehe es sogar schon am darauffolgenden Tag los. Die Synagoge im Berliner Stadtteil Wilmersdorf war der einzige Synagogenneubau im Berlin der Weimarer Republik gewesen. Schnell hatte sie sich auch zu einem jüdischen Kulturzentrum entwickelt. Nun, im ausgehenden September 1938, war dem Rabbi klar, dass seine Gemeinde vor großen Veränderungen stehe: „Wenige Jahre noch, und vieles von dem, was heute noch war, wird vergangen und vielleicht auch vergessen sein.“

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Gerhard Walter, AR 11826

Original:

Archivbox 1, Ordner 1

Von jetzt auf gleich: staatenlos

Die Zahl der Ausbürgerungen steigt an

Berlin

Alfred Basch, geboren am 27. September 1915 in Magdeburg, war fortan staatenlos. Mit der Veröffentlichung seines Namens im deutschen Reichsanzeiger wurde Alfred Basch die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen. Grundlage dafür war das „Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit“. Es galt bereits seit fünf Jahren. Doch in den vergangenen Monaten waren die Ausbürgerungszahlen deutlich angestiegen, oftmals traf es Personen und Familien, die nach dem Ersten Weltkrieg dank der vergleichsweise liberalen Einbürgerungspolitik der Weimarer Republik deutsche Staatsbürger geworden waren. Allein im September 1938 waren es 116 Familien, die auf Grundlage dieses Gesetzes vom einen Tag auf den anderen zu Staatenlosen gemacht wurden. Und damit nicht genug: Die Veröffentlichung ihrer vollen Namen, Geburtsorte und -daten machte sie zu einer Zielscheibe für Diskriminierung, die normales Weiterleben, und sei es auch nur vorübergehend, unmöglich machten.

Anti-Semitische Spottkarten

Die Verbreitung von Stereotypen per Postkarten

Deutschland

„Er bot ein Ross Du Kaufst nen Klepper, der Jude ist der schlimmste Nepper“ steht auf dieser, mit einem Poststempel vom 21. September 1938 versehenen Postkarte. Antisemitische Spottkarten waren bereits im Kaiserreich und der Weimarer Republik verbreitet und erreichten als einfach zu reproduzierendes Multiplikationsmittel Einfluss auf das Denken in der Bevölkerung. Eines der wohl ältesten Stereotype ist das Bild des geldgierigen Juden. Überall, wo Juden in der Wirtschaft tätig waren, wurde Ihnen von Antisemiten Wucherei und Betrug unterstellt. Durch die Nutzung antisemitischer Postkarten zur Übermittlung von privaten Grüßen erfuhren judenfeindliche Stereotype eine weitreichende gesellschaftliche Akzeptanz und bereitete damit den Nährboden für die Lösung der sogenannten „Judenfrage“, die bald schreckliche Realität wurde.

QUELLE

Institution:

Deutsches Historisches Museum

Original:

Anti-Semitic Postcard; Inv.Nr.: PK 96/417

Alfred Döblin im Exil

Als französischer Staatsbürger feiert der Schriftsteller seinen 60. Geburtstag

Paris

Knapp einen Monat nach dem Zusammenbruch der Weimarer Republik, einer „Demokratie ohne Gebrauchsanweisung“, wie er sie in „Der deutsche Maskenball“ nannte, und einen Tag nach dem Reichstagsbrand hatte der Schriftsteller und Sozialdemokrat Alfred Döblin Deutschland verlassen. Nach kurzem Intermezzo in der Schweiz war er im September 1933 mit seiner Frau und seinen drei Söhnen nach Paris gezogen. Gelegentliche Publikationen im deutschsprachigen Exil-Verlag Querido (Amsterdam) warfen minimalen finanziellen Gewinn ab, und Döblins mangelnde Französischkenntnisse standen seinem beruflichen Fußfassen erheblich im Wege. Seit 1936 waren die Döblins französische Staatsbürger. Der 10. August 1938 war der 60. Geburtstag des Autors.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Porträt von Alfred Döblin

Original:

F 2087A

Reichsfluchtsteuer

Auswanderer müssen ein Meer an finanziellen und bürokratischen Hürden überwinden

LÖRRACH

Seit 1937 bemühten sich Lina und Siegmund Günzburger aus Lörrach in Südwestdeutschland und ihr Sohn Herbert, ihre Auswanderungspapiere zusammenzustellen. Die Auflagen waren nichts weniger als ein Albtraum: Zukünftige Auswanderer mussten eine Vielzahl persönlicher Dokumente, Empfehlungsschreiben und Bürgschaften beschaffen und waren verpflichtet, ein Inventar ihres gesamten Besitzes zusammenzustellen. Auch mussten sie dokumentieren, dass keine Steuerrückstände bestanden. Besonders perfide war die sogenannte „Reichsfluchtsteuer“: Ursprünglich eingeführt in der Endphase der Weimarer Republik, um die Kapitalflucht in Reaktion auf die Sparpolitik der Regierung zu verhindern, wurde sie zu einem Werkzeug in der Hand der Regierung, um die Juden für das Verlassen des Landes zu bestrafen, das es ihnen unerträglich machte, zu bleiben.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Herbert Guenzburger, AR 5947

Original:

Archivbox 1, Ordner 2

Eine gleichgeschlechtliche Beziehung mit einem Juden

Gottfried von Cramm wird auf der Basis von §175 verhaftet

Berlin

Als gutaussehender, blonder, sportlicher Spross eines niedersächsischen Adelsgeschlechts besaß Gottfried von Cramm alle Merkmale, die bei den Nazis für Propagandazwecke hoch im Kurs standen. Doch der Tennis-Star – er hatte 1934 und 1936 das French Open gewonnen – weigerte sich ausdrücklich, sich als Aushängeschild der Naziideologie benutzen zu lassen und trat nie der NSDAP bei. Nachdem er sich wiederholt Gelegenheiten entzogen hatte, sich bei den Machthabern beliebt zu machen, war es jedoch eine andere Angelegenheit, die ihn in Schwierigkeiten brachte: Am 5. März 1938 wurde von Cramm aufgrund seiner homosexuellen Beziehung zu einem galizischen Juden, dem Schauspieler Manasse Herbst, für ein Vergehen gegen den berüchtigten §175 des deutschen Strafgesetzbuchs festgenommen. Die Nazis hatten den Paragraphen verschärft.

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