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Vertrauen auf Fremde setzen

Der Hilfsverein nimmt seine Verantwortung ernst

Ein Mann, der so freundlich ist, Bürgschaften auszustellen, würde diese Menschen sicher nicht ausnutzen..

New York/Boston

Konnte man Willy Nordwind vom Boston Committee for Refugees – einer Organisation, die sich nicht schwerpunktmäßig um unbegleitet einwandernde Kinder kümmerte – das Wohlergehen einer Sechzehnjährigen anvertrauen? Der Hilfsverein der Juden in Deutschland war nicht bereit, Risiken einzugehen: Anstatt Frieda Diamont einfach auf die Reise zu schicken, wandte sich die Organisation an das National Council of Jewish Women in New York, um sich zu vergewissern, ob auf Herrn Nordwinds Integrität Verlass sei. Merle Henoch vom Council gab den Fall an Jewish Family Welfare in Boston weiter, wo auch Nordwind seinen Standort hatte. Für sie stand es außer Zweifel: Ein so großzügiger Helfer wie Willy Nordwind musste ein vertrauenswürdiger Verbündeter sein.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Willy Nordwind, AR 10551

Original:

Archivbox 1, Ordner 8

Source available in English

Es kommt noch schlimmer

Nach dem Tod ihres Mannes ist die Sängerin Amalia Carneri gezwungen, ihren Besitz zu verkaufen, und bei fremden Menschen einzuziehen.

Wien/New York

Amalia Carneri hatte bessere Tage gesehen: einst eine gefeierte Opern- und Konzertsängerin, musste sie nun gleichzeitig mit dem Tod ihres Ehemanns, des Mineninspektors Heinrich Pollak, der Notwendigkeit, das langjährige Zuhause der Familie in Wien aufzugeben und der Besorgnis erregenden politischen Situation fertig werden. In diesem Brief vom 19. Oktober 1938 an den älteren ihrer beiden Söhne, Fritz, der nach Amerika geflohen war, beschreibt sie in großem Detail ihre Schwierigkeiten beim Verkauf ihres Besitzes: selbst mit der Unterstützung eines wohl etwas unseriösen Helfers muss sie unter Wert verkaufen. Ungewiss, was sie an Witwenpension zu erwarten hat und mit nur einer vagen Hoffnung, sich eines Tages Fritz in Amerika anzuschließen, ist sie in einem Zustand spürbarer Unruhe, und ihre Söhne sind ihr einziger Trost.

QUELLE

Institution:

Courtesy of Nancy Polk, Woodbridge, Connecticut

Original:

Brief von Amalia Cameri an ihrem Sohn, Fritz Pollak

Wenn das Private politisch wird

Ein jüdischer Arzt soll seine Schweigepflicht brechen

„... mir möglichst umgehend eine Mitteilung darüber zukommen zu lassen, ob Sie während der Italienerbesuche in Stuttgart deutsche Mädchen oder Frauen an Geschlechtskrankheiten behandelt haben, die angaben, von Italienern angesteckt worden zu sein.“

Stuttgart

Dr. Ernst Schaumberger war Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten, ein eigentlich unpolitischer Beruf. Die nationalsozialistische Rassen- und Sittenideologie allerdings hatte den Geschlechtsverkehr zum Objekt politischen Interesses erklärt, und damit wurde auch Dr. Schaumbergers Arbeitsfeld politisch. Das vertrauliche Gesuch, das er am 20. September 1938 vom NS-Amt für Volksgesundheit in Stuttgart erhielt, ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: Er sollte mitteilen, ob er Mädchen und Frauen wegen Geschlechtskrankheiten behandelt habe, die sie sich beim Verkehr mit Italienern angesteckt hatten. Die sogenannte „Rassenhygiene“ im Nationalsozialismus schreckte also nicht davor zurück, ärztliche Schweigepflichten zu hintergehen. Als Dr. Schaumberger dieses Schreiben erhielt, waren seine Tage als praktizierender Arzt bereits gezählt. Schon im Juli hatte man ihn öffentlich als „jüdischen Arzt“ gekennzeichnet und eine Novelle des NS-Reichsbürgergesetzes erlassen, dass mit dem 30. September 1938 die Zulassungen jüdischer Ärzte erlöschen sollten. Trotzdem wurde von ihm erwartet, mit den Nazis zu kooperieren.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Irene Shomberg, AR 6256

Original:

Archivbox 1, Ordner 1

Selbst ist die Frau

Eine unabhängige Unternehmerin muss um Hilfe bitten

„Ich glaube, ich schreibe an die Kinder von Emanuel und Victoria Magen, und ich flehe Euch an, uns zu helfen, nach Amerika zu kommen.“ ”

Berlin

Die Berlinerin Gusty Bendheim hatte den amerikanischen Zweig ihrer Familie nie kennengelernt. 42 Jahre alt und geschieden, hatte sie keine andere Wahl, als sich an ihre Verwandten in Übersee zu wenden. Sie bat die quasi Fremden um Hilfe, ihr und ihren Kindern Ralph (13) und Margot (17) die Auswanderung zu ermöglichen. Gusty war ein unternehmerischer Typ: Zum Zeitpunkt ihrer Heirat mit Arthur Bendheim, einem Kaufmann aus Frankfurt am Main, hatte sie bereits das dritte Knopfgeschäft gegründet. Nach der Hochzeit übernahm Arthur die Geschäftsleitung, und Gusty wurde zur Hausfrau. Trotz der zunehmend besorgniserregenden anti-jüdischen Maßnahmen des Naziregimes war Arthur nicht gewillt, das Land zu verlassen. Nach der Scheidung des Paares 1937 nahm Gusty die Dinge selbst in die Hand: In diesem Brief vom 14. August 1938 an ihre unbekannten Verwandten ergänzt sie ihre Bitte um Hilfe durch die Versicherung, ihr geschiedener Mann sei bereit, die Reisekosten für sie und die Kinder in die Vereinigten Staaten zu übernehmen.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Margot Friedlander, AR 11397

Original:

Archivbox 1, Ordner 1

Dr. Singers Koffer

Lilian Singer war eine Pionierin und Ärztin in Prag

PRAG

Lilly Popper (später Lilian Singer) wurde 1898 in Brünn geboren. Nach dem Gymnasium nahm sie in Wien ein Medizinstudium auf, das sie in Berlin weiterführte. Dort machte sie 1923 ihren Führerschein, was für Frauen gerade erst gesellschaftlich akzeptabel zu werden begann. Nach mehreren Jahren Unterbrechung, die sie teils teils bei einer Firma in Amsterdam, teils im väterlichen Geschäft verbrachte, nahm sie das Studium wieder auf. 1933 promovierte sie an der Friedrich Wilhelms Universität in Berlin, die seit 1892 Frauen als Gasthörerinnen (und seit 1908 als Studentinnen) zuließ, eine Gelegenheit, die anfangs von einer überproportional großen Anzahl von Jüdinnen ergriffen wurde. Mit dem „Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen“ vom April 1933 begrenzten die Nazis die Zulassung von Juden und Frauen zu höherer Bildung, wovon Ausländer allerdings nicht betroffen waren. Nach dem Studienabschluss kehrte Lilian in die Tschechoslowakei zurück. 1938 war sie in der Facharztausbildung zur Chirurgin an einem Lehrkrankenhaus in Prag. Der auf dem Foto abgebildete Koffer begleitete sie auf ihren vielen Reisen.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Lilian Singer Sammlung, AR 25363

Original:

LBI Sammlung der Historischen Objekten

Professionelle Unterstützung im Adoptionsverfahren

Das Zentralbüro für jüdische Pflegestellen und Adoption macht sich für die Schwächsten stark

„Eine an unserer Arbeit interessierte hiesige Familie (…) hat sich liebenswürdigerweise angeboten, Sie und das von Ihnen ausgewählte Kind für einige Zeit in ihrem Hause als Gast aufzunehmen, damit Sie Gelegenheit haben, in der freundlichen Atmosphäre eines Privathauses das Kind an sich zu gewöhnen, was sicherlich einfacher sein wird, als wenn Sie mit dem Kinde von Anfang an in einem Hotel wohnen müssen.“

WUPPERTAL-ELBERFELD/NEW YORK

Die Zentrale für jüdische Pflegestellen und Adoptionsvermittlung nahm ihr Mandat, Mütter und Kinder zu schützen, sehr ernst: Als Frances und Bernard Rosenbaum aus New York sich für ein Kind zur Adoption entschieden hatten, bekamen sie Hilfe. Die Agentur bot ihnen Unterkunft bei einer Privatfamilie an, damit die Beziehung nicht in einem Hotel beginnen müsse und es für das Kind leichter wäre, sich an seine Adoptivmutter zu gewöhnen. Das Zentralbüro für jüdische Pflegestellen und Adoption war Teil des Jüdischen Frauenbundes, der 1904 von Bertha Pappenheim gegründet worden war, um karitative Tätigkeit zu fördern und gleichzeitig jüdische Identität zu bejahen. Eine Folge dieser Initiative war die Entwicklung einer professionellen Sozialarbeit.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Frederick Rosenbaum, AR 6707

Original:

Archivbox 1, Ordner 1

Die erste Rabbinerin der Geschichte

Regina Jonas spricht über „Religiöse Gegenwartsprobleme der jüdischen Gemeinschaft“

Berlin

Einige unscheinbare Zeilen in der heutigen Ausgabe der „Jüdischen Rundschau“ weisen auf einen Vortrag von „Fräulein Regina Jonas“ zum Thema „Religiöse Gegenwartsprobleme der jüdischen Gemeinschaft“ hin. Regina Jonas hatte mit großem Einsatz auf der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin studiert und hart um ihr Ziel, Rabbinerin zu werden, gekämpft: Selbst liberale Rabbiner, die wahrscheinlich eine positive oder doch wenigstens offene Einstellung gegenüber der Ordination hatten, wie z.B. Leo Baeck, wollten in diesen krisenhaften Zeiten keinen Staub aufwirbeln und waren nicht bereit, sie zu ordinieren. Als Abschlussarbeit verfasste sie eine halachische Abhandlung zum Thema „Kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden?“. Es war Rabbiner Max Dienemann, der sie schließlich zur ersten Rabbinerin der Geschichte machte. Trotz der leidenschaftlichen Opposition gegenüber der Frauenordination in manchen Lagern und Zweifeln bezüglich der Gültigkeit von Regina Jonas‘ Ordinierung genoss sie interessanterweise den Respekt sogar mancher orthodoxer Rabbiner, die sie von diesem Zeitpunkt an „Fräulein Rabbiner“ oder „Kollegin“ nannten. Die „Jüdische Rundschau“ zog es anscheinend vor, auf Nummer sicher zu gehen

Eine Retterin feiert Geburtstag

Rose Luria Halprin macht sich für deutsch-jüdische Jugendliche stark

Jerusalem/Berlin

Als führende Funktionärin in verschiedenen zionistischen Organisationen, insbesondere in der nordamerikanischen Frauenorganisation „Hadassah“ (Hadassah Women’s Zionist Organization of North America) war Rose Luria Halprin 1934 nach Palästina gezogen, wo sie als Kontaktperson zwischen der lokalen Hadassah-Zweigstelle und dem nationalen Büro in den Vereinigten Staaten fungierte. Nachdem sie sich mit Henrietta Szold angefreundet hatte, die die Jugend-Alija in Palästina leitete, begann auch Rose Halprin, sich für die Rettung deutsch-jüdischer Jugendlicher durch deren Verbringung nach Palästina zu engagieren. Gegründet wurde die Jugend-Alija durch die vorausschauende Recha Freier, die Frau eines in Berlin ansässigen Rabbiners. Das war derselbe Tag, an dem die Nazis an die Regierung gebracht wurden, der 30. Januar 1933. In den Jahren 1935 bis 1938 besuchte Rose Halprin wiederholt Berlin. Der 11. April 1938 war ihr 42. Geburtstag.

QUELLE

Institution:

American Jewish Historical Society

Sammlung:

Rose Halprin in 1934. Haddassah Archiv beim American Jewish Historical Society.

Solidarität, Selbstorganisation, Spendensammeln

Jüdische Wohlfahrtsorganisationen fangen viel auf

Berlin

1938 war die Fähigkeit der Juden, in Deutschland ihren Lebensunterhalt zu verdienen, erheblich eingeschränkt: Eine Reihe von Gesetzen zielte darauf ab, sie zu demütigen, zu isolieren und in die Armut abzudrängen. Während nicht alle Juden in gleichem Maß von diesen Veränderungen betroffen waren, nahm die Anzahl der Juden, die auf die Dienste von Wohlfahrtsorganisationen, wie z.B. die jüdische Winterhilfe, angewiesen waren, ständig zu. Das Ausmaß der Solidarität und die Unterstützung für die Winterhilfe waren bemerkenswert. Ein großer Teil des Geldes kam aus Kleinspenden, und der Kulturbund gestaltete kulturelle Veranstaltungen, um die Organisation zu unterstützen. Freiwillige aus Frauen- und Jugendorganisationen halfen beim Spendensammeln.

Frauenrechte sind Menschenrechte

Der Jüdische Frauenbund berät junge Frauen bei der Ausreise

Berlin

Lange Zeit war die Sicherstellung der Würde und Unabhängigkeit jüdischer Frauen und ihr Schutz vor Menschenhändlern ein zentrales Anliegen des Jüdischen Frauenbundes. Der 1904 gegründete Verein unterstützte junge Frauen, in dem er es ihnen ermöglichte, eine Berufsausbildung absolvieren. Inzwischen hatten sich andere Themen in den Vordergrund gedrängt: Am 22. März lud die Gruppe berufstätiger Frauen innerhalb des Bundes, vertreten durch Käthe Mende, zu einem „Aussprache-Abend“ für weibliche Jugendliche ein, bei dem Berufs- und Auswanderungsfragen diskutiert werden sollten. Die Gastrednerin war Lotte Landau-Türk; Prof. Cora Berliner, eine frühere Angestellte im Reichswirtschaftsministerium und Professorin für Wirtschaftswissenschaften, die nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 aus dem Staatsdienst entlassen worden war, moderierte die Diskussion.

QUELLE

Institution:

New Synagogue Berlin – Centrum Judaicum

Sammlung:

Einladung zu einer Veranstaltung der Gruppe berufstätiger Frauen im Verband Berlin des Jüdischen Frauenbundes zum Thema „Berufs- und Auswanderungsfragen für die weibliche Jugend“

Original:

CJA, 1 C Fr 1, Nr. 31, #9835, Bl. 32

Ein Ort der Zuflucht wird bedroht

Das Heim des Jüdischen Frauenbundes in Neu-Isenburg

„Die Isenburger Polizei stellte uns heute das Ultimatum entweder Esther Kleinmanns Papiere ihr bis spätestens den 25. ds. vollzählig (Abmeldung und Pass) zu übergeben oder aber würde Esther Kleinmann ausgewiesen.“

Neu-Isenburg/Darmstadt

Bertha Pappenheim (1859–1936), geboren und aufgewachsen in Wien, war eine führende deutsch-jüdische Frauenrechtlerin. Besser bekannt als die Patientin „Anna O.“ aus Sigmund Freuds „Studien zur Hysterie“, siedelte sie 1880 nach Frankfurt a. M. über, wo sich der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit allmählich vom Karitativen zur sozialen Stärkung von Frauen verlagerte. 1907 richtete sie in Neu-Isenburg ein Heim für schutzbedürftige junge jüdische Frauen ein, das sie als ihre wichtigste Errungenschaft betrachtete. Unter den Nationalsozialisten musste das Heim sämtliche Bewohnerinnen polizeilich melden. In dem hier abgebildeten Brief bittet die Sekretärin des Heims Rabbiner Dr. Merzbach im Bezirksrabbinat Darmstadt, umgehend die Papiere der Heimbewohnerin Esther Kleinmann zu schicken, da diese sonst mit Ausweisung zu rechnen habe.

QUELLE

Institution:

Jüdisches Museum Berlin

Sammlung:

Sammlung Familien Katz/Rubin, Schenkung von Sally und Chaim Katz

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