External links are disabled on the kiosk. Please visit archive links from desktop or mobile devices.

Brot für Fremde

Ein Geschäftsmann vom Rhein sieht die USA als Ort der Großzügigkeit

„Unsere Hauptsorge bleibt der Hausverkauf, das Geschäft können wir zweimal verkaufen, oder auch auflösen. Darüber brauchen wir uns also weniger Gedanken zu machen.“

Neuwied am Rhein/New York

Ohne viel Drama schildert der Kaufmann Isidor Nassauer, wohnhaft in Neuwied am Rhein, der befreundeten Familie Moser, die bereits in Amerika ist, seine Situation: Unaufgefordert hat ihm sein Schwager eine Bürgschaft geschickt, die wegen einer fehlenden Unterschrift nicht verwendbar war und zurückgeschickt werden musste. Während er auf das unterschriebene Dokument wartet, nimmt er Englischstunden. Obwohl er keine Ahnung hat, wovon er in Amerika leben soll, erfüllt ihn die Tatsache, dass dort schon „so viel Brot für Fremde gebacken“ wurde, mit Zuversicht. Ein Grund zur Sorge ist für ihn jedoch der Verkauf des Hauses, während es leicht zu sein scheint, das Geschäft (eine Bürstenfabrik) zu verkaufen oder zu liquidieren. In der Regel waren Juden gezwungen, ihren Besitz weit unter Wert zu verkaufen.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Betty and Morris Moser Sammlung, AR 25497

Original:

Archivbox 1, Ordner 2

Erfasst, gezählt, registriert

Erhebungen zu jüdischen Einwohnern im Landkreis Dillkreis

Dillenburg

Am 18. Juli verfasste der Landrat des hessischen Dillkreises einen Rundbrief an die Bürgermeister der Städte Herborn, Dillenburg und Haigern sowie die Gendarmerie-Beamten des Landkreises mit der Aufforderung, vierteljährlich eine Aufstellung der in der jeweiligen Gemeinde lebenden jüdischen Bevölkerung anzufertigen. Die Zählung in Herborn ergab, dass in der Stadt am 30. Juni 1938 51 Juden und Jüdinnen lebten und innerhalb der letzten drei Monate nur drei Personen ihre Heimat verlassen hatten. Diese auf lokaler Ebene ansetzende statistische Erfassung und Beobachtung der jüdischen Bevölkerung ergänzte andere, 1938 für das gesamte Reich erlassene, Maßnahmen zur Registrierung, wie etwa die zwangsweise Vermögensanmeldung, die Kennkartenpflicht oder die Änderung der Namen.

QUELLE

Institution:

Deutsches Historisches Museum

Original:

Rundbrief des Landrates des Dillkreises zur Erfassung der jüdischen Einwohner mit Antwortvermerk der Stadt Herborn ; Inv. Nr. Do2 88/1738.4

Absage

Von der Post gekündigt weil sie Jüdin war, sucht Johanna eine neue Anstellung

„Ich bin 37 Jahre alt, war 14 Jahre auf dem Postamt Berlin und bin auf Grund des Arierparagraphen entlassen worden. Das Amt war mit meinen Leistungen sehr zufrieden.“

Berlin

„Der betreffende Posten ist bereits anderweitig besetzt“, hieß es lapidar als Antwort zu einer Bewerbung der ehemaligen Postbeamtin Johanna Rosenthal vom 11. Juli 1938. Nach 14 Dienstjahren bei der Deutschen Reichspost war sie Jahresende 1933 entlassen worden. Das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ hatte ihre Beschäftigung als Jüdin im öffentlichen Dienst, was sie in ihrem Schreiben auch anmerkt, unmöglich gemacht. Die ihr übergangsweise zugesprochene Rente von 68 Reichsmark im Monat reichte indes nicht zum Lebensunterhalt. So versuchte sie, als einfache Telefonistin Arbeit zu finden.

QUELLE

Institution:

Deutsches Historisches Museum

Original:

Bewerbungsschreiben von Johanna Rosenthal mit Ablehnungsvermerk ; Inv.Nr. Do2 2002/762

Papiere in Ordnung?

Die Unbedenklichkeitsbescheinigung eines Zehnjährigen

„Gegen die Ausreise des Hans Weichert, Gymnasiast (10 Jahre) [...] habe ich keine Bedenken.”

Wien

Juden, die sich der Schikane und physischen Gefahr unter den Nazis durch Auswanderung entziehen wollten, mussten eine große Anzahl von Dokumenten beschaffen, um sowohl die Nazi-Behörden als auch die Behörden im Zielland zu befriedigen. Um Erlaubnis zu erhalten, das Land zu verlassen, mussten die Antragsteller nachweisen, dass sie dem Reich keine Steuergelder schuldeten. Zusätzlich zu den Steuern, die allen Staatsangehörigen auferlegt waren, mussten zukünftige Auswanderer die sogenannte „Reichsfluchtsteuer“ zahlen. Das ursprüngliche Ziel dieser während der Weltwirtschaftskrise Ende der zwanziger Jahre eingeführten Steuer war, ein weiteres Ausbluten der Kassen durch Verlust von Steuereinkünften zu verhindern. Unter den Nazis jedoch war das Hauptziel, Juden zu schikanieren und auszubluten. Die Steuerbehörden der Nazis leisteten gründliche Arbeit: als Familie Weichert aus Wien, bestehend aus dem Rechtsanwalt Joachim Weichert, seiner Frau Käthe und den Kindern Hans und Lilian, sich auf das Weggehen vorbereiteten, würde selbst für den zehnjährigen Sohn eine steuerliche Unbedenklichkeitserklärung ausgestellt. Die Gültigkeitsdauer betrug einen Monat. Alle Dokumente innerhalb der Gültigkeitsdauer bereit zu haben, wenn die eigene Quotennummer an die Reihe kam, war eine weitere Herausforderung, der sich die Auswanderungswilligen stellen mussten.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Weichert Familie Sammlung, AR 25558

Original:

Archivbox 1, Ordner 2

Dass einem schwindelig wird

Ständig ändernde Bestimmungen zu Ausreise und Ausfuhr

„Ihr werdet sagen, warum ist das nicht schon geschehen, aber das liegt an der raschen Folge der Vorschriften & da ist so rasch die Auskunft nicht erhältlich.”

FRANKFURT AM MAIN/NEW YORK

Dieser Brief eines Vaters an seine Kinder wird fast ausschließlich dominiert von Sorgen bezüglich des Transfers von Personen und Gegenständen aus dem deutschen Staatsgebiet hinaus. Laut dem Schreiber änderten sich die Bestimmungen mit solcher Geschwindigkeit, dass es schwierig war, den Überblick zu behalten. Letztens war verfügt worden, dass sowohl für Umzugsgut als auch für Reisegepäck detaillierte, genehmigungspflichtige Listen einzureichen seien. Dies konnte recht zeitraubend sein. Der Schreiber des Briefes hatte das Gefühl, die Geschwindigkeit, mit der Antworten gegeben wurden hielte nicht Schritt mit der Geschwindigkeit der Veränderungen, die Erkundigungen erforderlich machten.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Gerda Dittmann Sammlung, AR 10484

Original:

Archivbox 1, Ordner 3

Leberknödel, Weihnachtsstollen, Mazzenklößchen

Der Nationalsozialismus zerstört im Nu, was langsam wuchs

Krumbach

In Anni Buffs privatem Kochbuch, auf den 25. Juni 1938 datiert, überwogen eindeutig die traditionellen bayerischen Gerichte, wie Leberknödel, Weihnachtsstollen und Topfenkräpfle, gegenüber den jüdischen, wie z.B. Mazzenklößchen. Die jüdische Gemeinde in ihrem Geburtsort Krumbach war gut integriert. Seit ihrem Höchststand Anfang des 19. Jahrhunderts, als sie etwa 46% der Bevölkerung ausmachte, war sie erheblich zurückgegangen, und 1933 waren nur noch 1,5% der Krumbacher Bevölkerung jüdisch. Trotz dieser unwesentlichen Präsenz von Juden machte sich der Nationalsozialismus mit seiner fanatisch anti-jüdischen Botschaft schnell breit, und noch bevor er zur nationalen Politik wurde, kam es in der kleinen Stadt zur Belästigung von Juden durch SA-Leute. 1938 wurden die Übergriffe so unerträglich, dass Annis Vater Julius, der mit Polstermaterial handelte, Möglichkeiten zu untersuchen begann, an sichereren Ufern ein neues Zuhause zu finden, etwa in den Vereinigten Staaten, der Dominikanischen Republik oder Schanghai. Nicht einmal die Tatsache, dass er im Ersten Weltkrieg einen Bruder verloren und selbst im Königlich Bayerischen Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 16 gedient hatte – an der Seite eines jungen Österreichers namens Adolf Hitler – trug dazu bei, seine Position gegenüber den Nazi-Behörden zu verbessern.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Anni Krantz, AR 11284

Original:

Archivbox 1, Ordner 2

Die Menge sieht schweigend zu

Antisemitische Parolen an Schaufenstern

„Das Wort ,Jude‘ war in breiten, roten Buchstaben an die Fenster sämtlicher jüdischer Läden geschmiert, manchmal mit einem Davidstern dazu, um es fest in den Köpfen der Berliner zu verankern, dass dies Läden seien, die es um jeden Preis zu meiden galt.“

Berlin

§17 der Dritten Verordnung zum Reichsbürgergesetz hatte die Kennzeichnung aller jüdischen Betriebe zu einem noch festzulegenden Zeitpunkt gefordert. Die Nazis verloren keine Zeit: Laut diesem Artikel der Jewish Telegraphic Agency wurden bereits Tage später Schaufenster in ganz Berlin systematisch mit dem Wort „Jude“ und mit antisemitischen Parolen beschmiert, wobei überall die gleiche, schwer zu entfernende rote Farbe benutzt wurde. Es stand außer Zweifel, dass die Aktion mit dem Segen der Machthaber durchgeführt wurde. Während kein Widerstand vonseiten der nichtjüdischen Bevölkerung verzeichnet wird, versäumt der Korrespondent nicht, darauf hinzuweisen, dass, im Gegensatz zu Wien und den weniger wohlhabenden Teilen Berlins, die Menge auf dem Kurfürstendamm schweigend, ohne größere Begeisterung zugesehen habe. Die Spannung unter den Juden wurde noch verstärkt durch Berichte von dem Vorhaben, Arbeitslager zu errichten, um dort die in den jüngsten Razzien festgenommenen Juden zur Zwangsarbeit heranzuziehen.

Ruhe bewahrt

Gestapo zieht unverrichteter Dinge ab

„Falls sie mich verhaften wollen, müssten sie auch meine zwei kleinen Buben, die ohne Pflege jetzt dastehen würden, mit mir mitnehmen, oder sie sollen circa 6 Wochen warten, bis meine Frau vom Krankenhaus zurück ist.“

Linz

Seit Adolph Markus am 20. April mit Verwandten in Wien die Möglichkeit der Auswanderung besprochen hatte, nahm er zwei bis dreimal wöchentlich in der Synagoge Englischunterricht. Am 29. April war sein Schwager von der Gestapo festgenommen worden, und die Spannung und Nervosität des Ehepaars Markus begann sich auf die Kinder zu übertragen. Zwei Wochen später war Frau Markus von der Gestapo bezüglich des Wertes ihres gesamten Besitzes, einschließlich eines Hauses, verhört worden. Schließlich, am 18. Juni, erschienen zwei Gestapo-Beamte in der Wohnung der Familie: Während sie den Inhalt einiger Schachteln durchgingen, versuchte einer der beiden, Adolph Markus zu inkriminieren, indem er ein kommunistisches Flugblatt zwischen seine Papiere schmuggelte. Markus brachte die Ruhe und Selbstsicherheit auf, die Beamten darauf hinzuweisen, dass er nie in irgendeiner Weise politisch aktiv gewesen sei. Sein Hinweis auf seinen Frontdienst im Ersten Weltkrieg, zusammen mit der Bemerkung dass sie, falls sie ihn festnehmen wollten, auch seine beiden kleinen Söhne würden mitnehmen müssen, da ihre Mutter im Krankenhaus sei, brachte sie von ihrem Vorhaben ab. Sie zogen ab – unter der Drohung, sechs Wochen später wieder zu kommen, falls er nicht aus eigenen Stücken das Land verließe.

Markiert

Eine neue Verordnung verlangt die Kennzeichnung jüdischer Geschäfte

Berlin

Ungeachtet der patriotischen Gesinnung vieler deutscher Juden und ihrer vielfachen Beiträge zugunsten der Gesellschaft, hatte das „Reichsbürgergesetz“ von 1935 Juden offiziell einen niedrigeren Status zugeordnet, indem es sie zu bloßen „Staatsangehörigen“ erklärte und sie zusätzlich vom Rest der Bevölkerung isolierte. Im Laufe der Zeit wurden Zusatzverordnungen erlassen, die die genaue Definition der Nazis beinhalteten, was einen Juden ausmache und jüdische Beamte in den Ruhestand zwangen. Am 14. Juni 1938 bestimmte die dritte solche Verordnung, dass Geschäfte in jüdischem Besitz als solche zu kennzeichnen seien.

Ein absurdes Privileg

Emil Toffler behält seinen Job, um die Arier einzuarbeiten

Wien

Die Familie Therese Wiedmanns (geb. Toffler) in Wien war säkular und bestens integriert. Während sich die Tofflers der Situation in Deutschland wohl bewusst waren, hatte niemand unter Thereses Verwandten vorausgesehen, dass viele Österreicher Hitler willkommen heißen und bereit sein würden, auf die Unabhängigkeit Österreichs zu verzichten. Der „Anschluss“ im März 1938 hatte zum sofortigen Verlust ihrer Stelle bei der Tiller AG geführt. Ihr Großvater, bis vor kurzem der Präsident der Firma, durfte sein Büro nicht mehr betreten, ihr Vater Emil, der leitende Geschäftsführer, wurde einstweilen dort behalten, um das neue, „arische“ Management mit dem Funktionieren der Firma vertraut zu machen. Glücklicherweise hatte er schon vor dem „Anschluss“ einen Teil seines Besitzes nach England geschafft. In besseren Zeiten hatte man die jüdische Firma für ausreichend österreichisch erachtet, um sie zum kaiserlich-königlichen Hoflieferanten zu ernennen und Armeeuniformen von ihr produzieren zu lassen. Dieser am 11. Juni 1938 ausgestellte Pass Therese Wiedmanns enthält ein Visum, das „alle Staaten der Erde“ und die „Rückreise ins Deutsche Reich“ einschließt.

Erziehung per Briefpost

Eine Stiefmutter ermahnt ihren Sohn, in Kontakt zu bleiben

„Man hat wirklich andere Sorgen, um sich nicht auch noch den Kopf wegen Deines Nichtschreibens zerbrechen zu müssen, denn dass ich ernstlich besorgt war, ehe ich mich zu dem Anruf entschlossen habe, kannst Du mir glauben.“

Neustadt, Oberschlesien/Brünn

Hans Joseph Pinkus war ein direkter Nachfahre Samuel Fränkels, des Gründers einer Textilfabrik in Neustadt (Oberschlesien), die für einige Zeit der Hauptarbeitgeber in der Region und ein weltführender Wäschefabrikant war. Sein Großvater Max war ein persönlicher Freund und Förderer des Autoren und Nobelpreisträgers Gerhart Hauptmann gewesen. Auch sein Großonkel, der Wissenschaftler Paul Ehrlich, wurde mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Lili, Hans Josephs Stiefmutter, zeigte sich von dieser Ahnenriege kaum beeindruckt: In diesem Brief, den sie am 8. Juni 1938 schrieb, verpasst sie ihm eine ernsthafte Kopfwäsche, weil er die Korrespondenz mit den Eltern vernachlässigt hat und erkundigt sich streng, ob er in der Tschechischprüfung durchgefallen sei. Zu diesem Zeitpunkt hielt sich der 16jährige „Pipo“, wie ihn die Familie nannte, bei seiner Stiefgroßmutter in Brno (Tschechoslowakei) auf und ging dort zur Schule. Seine Eltern und Halbschwestern lebten in Neustadt: Die Direktion der Firma S. Fränkel war seit mehreren Generationen an männliche Mitglieder der Familie Pinkus weitergegeben und befand sich nun in den Händen seines Vaters Hans Hubert.

Unaushaltbare Verzweiflung

Jewish Telegraphic Agency veröffentlicht Liste von den jüngsten Suiziden unter Juden

“4 Deaths Announced Among Arrested Jews in Vienna; Family of 4 Committs suicide”

Wien

Der „Anschluss“, die Annexion Österreichs durch Nazi-Deutschland im März 1938, hatte eine Welle anti-jüdischer Gewalt in Gang gesetzt: Die durch Ihren neuen Status und die völlige Hilflosigkeit der Juden ermutigten Nazis und Sympathisanten drangen in jüdische Wohnungen ein und nahmen sich, was ihnen gefiel. Betriebe, die in jüdischem Besitz waren, wurden geplündert oder zerstört. Juden und Jüdinnen jeden Alters wurden zu der demütigenden Handlung gezwungen, die Straßen zu schrubben, um unter unter den Augen johlender Zuschauer politische Slogans gegen den „Anschluss“ zu entfernen. Da von der Polizei keinerlei Schutz zu erwarten war, wurden viele Juden von einem Gefühl völliger Verlassenheit und Hoffnungslosigkeit erfasst und in den Selbstmord getrieben: Allein in den ersten zwei Monaten nach dem „Anschluss“ entzogen sich 218 Juden der staatlich sanktionierten und geförderten Grausamkeit durch Selbstmord. Diese Notiz der Jewish Telegraphic Agency listet die jüngsten Selbstmorde – darunter der einer vierköpfigen Familie – und Todesfälle im Konzentrationslager Dachau auf.

Das Israelitische Krankenhaus in Hamburg

Trotz Untergrabung durch die Nazis läuft der Krankenhaus betrieb

„Zur freundlichen Erinnerung an gemeinsame Jahre im I.K.“

Hamburg

Auf diesem Bild ist die Fassade des Israelitischen Krankenhauses in Hamburg zu sehen. Das Foto gehört zu einem Album, dem eine Inschrift vom 29. Mai 1938 vorangestellt ist. Das Krankenhaus wurde von dem Kaufmann und Bankier Salomon Heine, auch bekannt als der „Rothschild von Hamburg“, im Andenken an seine Frau Betty gestiftet und 1843 in Betrieb genommen. Der Dichter Heinrich Heine, ein Neffe und Protégé Salomons, ehrte den Anlass mit seinem Gedicht „Das neue israelitische Hospital zu Hamburg“, in dem er es „Ein Hospital für arme, kranke Juden, Für Menschenkinder, welche dreifach elend, Behaftet mit den bösen drei Gebresten, Mit Armuth, Körperschmerz und Judenthume!“ nannte. Obwohl die Nazis die Finanzen des Hospitals seit 1933 untergruben, hatte es diesen Maßnahmen standgehalten und konnte im Mai 1938 noch immer seine Patienten versorgen.

Reichsfluchtsteuer

Auswanderer müssen ein Meer an finanziellen und bürokratischen Hürden überwinden

LÖRRACH

Seit 1937 bemühten sich Lina und Siegmund Günzburger aus Lörrach in Südwestdeutschland und ihr Sohn Herbert, ihre Auswanderungspapiere zusammenzustellen. Die Auflagen waren nichts weniger als ein Albtraum: Zukünftige Auswanderer mussten eine Vielzahl persönlicher Dokumente, Empfehlungsschreiben und Bürgschaften beschaffen und waren verpflichtet, ein Inventar ihres gesamten Besitzes zusammenzustellen. Auch mussten sie dokumentieren, dass keine Steuerrückstände bestanden. Besonders perfide war die sogenannte „Reichsfluchtsteuer“: Ursprünglich eingeführt in der Endphase der Weimarer Republik, um die Kapitalflucht in Reaktion auf die Sparpolitik der Regierung zu verhindern, wurde sie zu einem Werkzeug in der Hand der Regierung, um die Juden für das Verlassen des Landes zu bestrafen, das es ihnen unerträglich machte, zu bleiben.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Herbert Guenzburger, AR 5947

Original:

Archivbox 1, Ordner 2

Schneller und schneller

Leo Baeck wird 65

„Dieses Jahr wird ein schwieriges sein; das Rad dreht sich schneller und schneller. Es wird unsere Nerven und unsere Fähigkeit zu sorgfältigem Nachdenken auf die Probe stellen.“

Berlin

Bereits in April 1938 hatte Rabbiner Leo Baeck, der Präsident der Reichsvertretung der Juden in Deutschland und damit der Hauptrepräsentant des deutschen Judentums weitsichtig geschrieben: „Dieses Jahr wird ein schwieriges sein; das Rad dreht sich schneller und schneller. Es wird unsere Nerven und unsere Fähigkeit zu sorgfältigem Nachdenken auf die Probe stellen.“ Baeck hatte als Feldgeistlicher im Ersten Weltkrieg gedient und muss als Patriot vom erzwungenen Niedergang des deutschen Judentums tief getroffen gewesen sein. Angesichts der Verarmung weiter Teile der jüdischen Bevölkerung, der Beschneidung jüdischer Rechte und der Abdrängung der Juden an den Rand der Gesellschaft und keinerlei Aussicht auf Besserung war Leo Baecks 65. Geburtstag am 23. Mai vermutlich eine triste Angelegenheit.

Gnadenlos

Göring fordert strikten anti-jüdischen Boykott

„(...) einen "gnadenlosen anti-jüdischen Boykott", bis der letzte Jude gezwungen ist, Österreich zu verlassen.“

Wien

In ihrer heutigen Ausgabe berichtet die Jewish Telegraphic Agency, das „Deutsche Volksblatt“ in Wien dränge zu einem „gnadenlosen anti-jüdischen Boykott“. Dies, so das Blatt, sei die von Hermann Göring in seiner jüngsten Rede in Wien geforderte Linie. Als im Ersten Weltkrieg hoch dekorierter Jagdflieger war Göring frühzeitig der NSDAP beigetreten und gehörte dem inneren Kreis an. 1933 baute er die Geheime Staatspolizei auf, er war Oberbefehlshaber der Luftwaffe, und als Bevollmächtigter des Vierjahresplans übte er Kontrolle über die deutsche Wirtschaft aus. Darüber hinaus ist er für seine zentrale Rolle in der Durchsetzung des „Anschluss“ und als leidenschaftlicher Sammler von Kunstwerken bekannt, die er sich nicht selten auf dubiose Weise aneignete.

Durchbrochene Ausbildung

Ruth Wertheimer navigiert antisemitische Diskriminierung und Auswanderung

Paris

Ruth Wertheimer wurde 1915 in Halberstadt (Sachsen-Anhalt) geboren. Dank der Erträge aus einem erfolgreichen Korsett- und Damenunterwäsche-Geschäft mit mehreren Filialen lebte die Familie in bequemen Verhältnissen. Allerdings soll das Familienunternehmen bereits 1929, mehrere Jahre vor der Machtübernahme durch die Nazis, durch eine verleumderische, antisemitisch motivierte Behauptung gegen eine der Inhaberinnen, Ruths Tante Johanna, wirtschaftlichen Schaden erlitten haben. 1932, auf der Handelsschule in Berlin, wohin die Familie in Ruths Kindheit umgezogen war, war Ruth durch Lehrer und Mitschüler dermaßen starkem Antisemitismus ausgesetzt, dass sie sich entschloss, ohne Abschluss abzubrechen. Der hier gezeigte Pass wurde am 16. Mai in Paris ausgestellt und gibt Paris als Ruths Wohnort an: Ihre Mutter und ihr Stiefvater waren 1935 dorthin ausgewandert. In Paris nahm Ruth ihre Ausbildung wieder auf.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Ruth Worth, AR 25024

Original:

Archivbox 1, Ordner 1

Antisemitische Prämissen

Ungarischer Abgeordneter kritisiert Gesetzesvorlage

„Der Gesetzesentwurf, der Juden im wirtschaftlichen und kulturellen Leben des Landes Schranken auferlegt, wurde heute in der Abgeordnetenkammer durch den Abgeordneten Graf Aponyi [sic] scharf angegriffen. Er erklärte, dass er, abgesehen von seiner Unmenschlichkeit, ungerechtfertigte Beleidigungen und Betrachtungen gegen die ungarischen Juden enthalte.“

Budapest

Von Anfang an hatte die Horthy-Regierung aus ihrem Antisemitismus kein Geheimnis gemacht. Tatsächlich war Ungarn 1920 das erste europäische Land nach dem Ersten Weltkrieg, das einen Numerus Clausus einführte, um den Zutritt von Juden zu höherer Bildung einzuschränken. Zunächst hauptsächlich als Reaktion auf territoriale und Bevölkerungsverluste im Ersten Weltkrieg, später im Zuge der Weltwirtschaftskrise, gab es in Ungarn eine auffallende Vielzahl faschistischer und rechtsextremer Bewegungen, von denen sich einige „nationalsozialistisch“ nannten. Eine dieser Gruppierungen war die 1935 gegründete, fanatisch antisemitische Pfeilkreuzlerpartei. Antisemitismus war weit verbreitet, als 1938 eine Gesetzesvorlage eingebracht wurde, um die wirtschaftliche und kulturelle Freiheit der Juden im Land einzuschränken. Dieser Bericht der Jewish Telegraphic Agency vom 11. Mai beschreibt die heftige Kritik des Abgeordneten Graf Apponyi an der Gesetzesvorlage, in der er auf ihre fehlerhaften Prämissen hinwies, und ihre Verteidigung durch Dr. Istvan Milotaj, den Abgeordneten einer Rechtsaußen-Partei, der behauptete, Juden könnten nicht assimiliert werden, und selbst Persönlichkeiten wie Disraeli und Blum seinen „spirituell Juden geblieben.“

Betty Blum kämpft für ihren Sohn

Blick in die USA nach Verlust der Arbeitsstelle in Wien

Bruno, mein ältester Sohn, trägt seit Jahren zu unserem Unterhalt bei. Nun, nachdem er seine Stelle verloren und keine Aussicht auf eine neue hat, beabsichtigt er, das Land zu verlassen. Doch leider verschließen sich fast alle Länder vor Einwanderern. Daher sehe ich keine andere Möglichkeit als zu versuchen, eine Einreisegenehmigung in die Vereinigten Staaten zu bekommen.

Wien/New York

Unmittelbar nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten in Österreich waren jüdische Geschäfte und Firmen der Leitung „arischer“ Kommissare übergeben worden. Im Verlauf dieser „Arisierung“ – tatsächlich die Enteignung und der Raub jüdischen Besitzes – hatte der 30jährige Bruno Blum nach kaum mehr als vier Jahren seine Stelle bei der „Wiener Margarin-Compagnie“ verloren. Da sie begriff, wie gering die Chancen ihres ältesten Sohnes waren, unter dem Naziregime eine neue Stelle zu finden, wandte sich Betty Blum an ihren Cousin Moses Mandl in New York um Hilfe mit einer Bürgschaft. Als sie keine Antwort bekam, schrieb sie diesen Brief an ihren Neffen Stanley Frankfurter, um ihn zu bitten, Moses Mandl zuzureden oder mit der Bitte um Unterstützung an die Hebrew Immigrant Aid Society (HIAS) heranzutreten.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Blum Family, AR 25132

Original:

Archivbox 1, Ordner 5

Hürden mit vielen Nullen

Die Reichsstelle für Devisenbewirtschaftung verlangt viel Geld von auswandernden Juden

Berlin/Dresden

Bevor Martha Kaphan ihre Reise in das unter britischem Mandat stehende Palästina antreten konnte, musste sie bei der Dresdner Bank den sehr hohen Geldbetrag von 800 Reichsmark als Depositum für die Ausstellung eines Touristenvisums hinterlegen. Grundlage dafür war eine Bestimmung der Reichsstelle für Devisenbewirtschaftung, die im NS-Staat maßgeblicher Träger der Ausplünderung auswanderungswilliger deutscher Juden war. Mit solchen Touristenvisa suchten einige tausend Juden als „illegale“ Einwanderer den Weg nach Palästina, um dort eine permanente Aufenthaltserlaubnis zu erlangen. Martha Kaphan emigrierte wohl nicht dauerhaft: Das britische Konsulat bestätigte 24. Dezember 1938 die Abreise, das Depositum wurde am 29. Dezember in Breslau ausgezahlt und das Konto am 10. Januar 1939 erledigt. Ob es sich hier um die 1877 in Militsch geborene Martha Kaphan handelt, die 1942 im Lager Grüssau interniert war, kann nicht mit letzter Sicherheit gesagt werden.

QUELLE

Institution:

Deutsches Historisches Museum

Original:

Hinterlegungsbescheinigung für den Erhalt eines Touristenvisums nach Palästina; Do2 2000/1000

Heimat auf dem Papier

Jüdischer Geschäftsmann bekommt Residenzrecht bescheinigt

Wien

Österreichische Ortschaften waren gesetzlich verpflichtet, ihren Einwohnern Urkunden auszustellen, die ihr Wohnrecht bestätigten. Diese Papiere garantierten unbehinderten Aufenthalt und Unterstützung im Falle der Verarmung. Im Mai 1938 war das Gesetz aus dem Jahr 1849, auf dem diese Praxis beruhte, zumindest auf dem Papier noch voll gültig: Der „Heimatschein“ Carl Grossers, eines jungen jüdischen Geschäftsmannes, wurde am 2. Mai 1938 erneuert. Grosser hatte 1932 am renommierten Wasagymnasium mit seinem auffallend hohen Anteil jüdischer Schüler maturiert. Danach war er in das Krawattengeschäft seines Vaters eingestigen, hatte Zeit in Deutschland und England verbracht, um seine professionellen Horizonte zu erweitern und ausgiebige Reisen in ganz Europa unternommen.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Carl Grosser, AR 10559

Original:

Archivbox 1, Ordner 12

Grüßen ist gefährlich

Eine jüdische Ärztin beschreibt den Alltagswahnsinn

„Vater sagt, er will die Firma nicht verkaufen. Der Name, er soll mit uns untergehen [...]“.

Laupheim

Das Tagebuch Dr. Hertha Nathorffs (geb. Einstein) vermittelt ein lebendiges und manchmal alptraumhaftes Bild von den Erfahrungen der jüdischen Ärztin in Nazi-Deutschland. Am 24. April beschreibt sie einen Besuch bei ihren Eltern in ihrem Geburtsort Laupheim in Schwaben: Viele jüdische Geschäfte waren verkauft worden, ihre Besitzer emigriert. Die Bemühungen der Nazis, die Juden zu verleumden und zu isolieren, waren so erfolgreich gewesen, dass die Vorübergehenden Angst hatten, sie zu grüßen. Ihr Vater hatte ihr mitgeteilt, er werde die Firma, seit vier Generationen im Familienbesitz, nicht verkaufen, sondern lieber mit ihrem Namen untergehen. Das Ausmaß der Isolation, der deutsche Juden ausgesetzt waren, geht auch aus einer Episode hervor, die im selben Eintrag erwähnt wird: Dr. Nathorff ist überrascht, dass ihr ehemaliger Professor tatsächlich den Mut hatte, ihr durch eine Patientin Grüße ausrichten zu lassen.

Vorerst verschont

Ehemailige Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs genießen zeitweiligen Schutz

Wien

Adolph Markus, seine Frau und zwei Kinder gehörten zu den relativ wenigen von Österreichs etwa 200.000 Juden, die nicht in Wien lebten. Am 20. April 1938 fuhr Markus in die Hauptstadt, um seine Familie zu besuchen, die schwierige Situation zu besprechen und Auswanderungsmöglichkeiten zu diskutieren. Während sein Bruder Rudi jeden Tag damit rechnen musste, seinen Arbeitsplatz zu verlieren, meinte er, Adolph habe als Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs nichts zu befürchten. Tatsächlich waren ehemalige Frontkämpfer und Juden, die ihren Vater oder einen Sohn im Kampf für Deutschland oder seine Verbündeten verloren hatten, von gewissen anti-jüdischen Maßnahmen ausgenommen.

Entrechtung in Österreich, Freilassung in Dachau

Die Nazis in Österreich erlassen eine Flut an neuen Bestimmungen

Wien

Wenig mehr als einen Monat nach der Machtübernahme der Nazis in Österreich lässt eine Kaskade neuer Bestimmungen und Schritte, die von den neuen Machthabern eingeleitet worden sind, wenig Raum für Optimismus: Die Jewish Telegraphic Agency berichtet für den 14. April aus Wien, es sei geplant, Juden innerhalb von 50 Kilometern aus den Grenzgebieten zur Tschechoslowakei zu vertreiben, österreichische Geschäfte würden auf eigene Kosten der Obhut von Nazi-Kommissaren anvertraut (laut der JTA ist diese Bestimmung im Fall hunderter von Geschäften in jüdischem Besitz bereits in Kraft getreten) und es sei ein Gesetz zur Sicherstellung rassischer Reinheit eingeführt worden. Der eine positive Punkt in dieser umfangreichen Meldung ist die Aussicht darauf, dass alle zur Zeit in Dachau internierten Juden nicht nur freigelassen, sondern auch Einreisegenehmigungen nach Palästina erhalten sollen.

Der Existenzgrundlage beraubt

Rechtsanwälte und Marktverkäufer erhalten Berufsverbot

Wien

Laut diesem Bericht der Jewish Telegraphic Agency stellte der 3. April 1938 eine weitere Wegmarke im Prozess der Beschränkung der Berufsfreiheit der österreichischen Juden dar: Von diesem Tag an konnte das Justizministerium nach Belieben jüdischen Rechtsanwälten die Lizenz aberkennen, ausgenommen diejenigen, die ihre Zulassung vor 1914 erhalten hatten oder Frontkämpfer oder unmittelbare Verwandte im Weltkrieg gefallener Soldaten waren. Es wurde geschätzt, dass 800 bis 900 Rechtsanwälte von der neuen Bestimmung betroffen waren. Eine weitere Berufsgruppe, die unter der Nazipolitik zu leiden hatte, war die der Marktverkäufer: Juden, die bewegliche oder feste Marktstände betrieben, war es nicht länger gestattet, auf diese Weise ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Auch waren in der kurzen Zeit seit der Machtübernahme durch die Nazis bereits „Arisierungen“ von Fabriken in jüdischem Besitz erfolgt.

Solidarität, Selbstorganisation, Spendensammeln

Jüdische Wohlfahrtsorganisationen fangen viel auf

Berlin

1938 war die Fähigkeit der Juden, in Deutschland ihren Lebensunterhalt zu verdienen, erheblich eingeschränkt: Eine Reihe von Gesetzen zielte darauf ab, sie zu demütigen, zu isolieren und in die Armut abzudrängen. Während nicht alle Juden in gleichem Maß von diesen Veränderungen betroffen waren, nahm die Anzahl der Juden, die auf die Dienste von Wohlfahrtsorganisationen, wie z.B. die jüdische Winterhilfe, angewiesen waren, ständig zu. Das Ausmaß der Solidarität und die Unterstützung für die Winterhilfe waren bemerkenswert. Ein großer Teil des Geldes kam aus Kleinspenden, und der Kulturbund gestaltete kulturelle Veranstaltungen, um die Organisation zu unterstützen. Freiwillige aus Frauen- und Jugendorganisationen halfen beim Spendensammeln.

Hotel Métropole

Ein Luxushotel wird zum Gestapo-Quartier

Wien

Das Hotel Métropole in Wien, am Morzinplatz im zentralen 1. Bezirk gelegen, war für die Weltausstellung 1873 errichtet worden. Das luxuriöse Gebäude, entworfen von den Architekten Carl Schumann und Ludwig Tischler, war mit einem prunkvollen Speisesaal und einem prächtigen Innenhof ausgestattet. Am 1. April 1938 nahm die Gestapo in dem Hotel, das von seinen jüdischen Besitzern konfisziert worden war, ihre Tätigkeit auf und machte es zu ihrem Hauptquartier. Mit 900 Angestellten war es die größte Gestapo-Stelle im Reich. Der erste Befehl, der von der neuen Zentrale ausging, war der Abtransport einer ersten Gruppe österreichischer Gefangener ins Konzentrationslager Dachau. Dieses Foto zeigt eine Tischdecke aus besseren Zeiten im Hotel Métropole.

QUELLE

Institution:

Jüdisches Museum Wien

Sammlung:

Tischtuch aus Hotel Metropol

Original:

Inv. Nr. 20526

Kein Weg zurück

Das polnische Parlament verabschiedet ein neues Gesetz gegen jüdische Rückkehrer

„Das Gesetz wird Tausende von Juden in Österreich, Deutschland, Palästina und anderswo beeinträchtigen“.

Warschau

Infolge der Annexion Österreichs, des sogenannten „Anschluss“, verabschiedete das polnische Parlament („Sejm“) ein Gesetz, das die Rückkehr von bis zu 20.000 polnischen Staatsbürgern aus Österreich befürchtete, ein Gesetz, laut dem Polen, die mehr als fünf Jahre im Ausland gelebt hatten, ihre Staatsbürgerschaft verlieren sollten. Während sich unter der Piłsudski-Regierung die Lage der Juden etwas verbessert hatte, trat nach dem Tod des Marschalls, insbesondere in der durch das „Lager der Nationalen Einheit“ (ab 1937) geschaffenen Atmosphäre, der Antisemitismus wieder hervor: Universitäten unterwarfen jüdische Studenten einem Numerus Clausus und führten „Ghettobänke“ für sie ein, Juden wurden für die Weltwirtschaftskrise verantwortlich gemacht, ihre Geschäfte boykottiert und geplündert, und hunderte von Juden wurden körperlich verletzt oder sogar getötet.

Jüdisches Geschäft

Ausgrenzung in Österreich

Wien

Diese Stereofotografie vom März 1938 zeigt ein Damenwäschegeschäft in Wien, auf dessen Schaufenster ein Aufkleber mit dem Schriftzug „Jüdisches Geschäft“ angebracht wurde. Unmittelbar nach dem vielfach umjubelten Einmarsch der Deutschen Wehrmacht am 12. März in Österreich begann für die dortige jüdische Bevölkerung eine Diffamierung, wie sie deutsche Jüdinnen und Juden bereits seit 1933 erlitten. Das Bild ist Teil der „Sammlung Schönstein“ am Deutschen Historischen Museum. Anfang der 1930er Jahre gründete der Nürnberger Otto Schönstein (1891-1958) seinen „Raumbild-Verlag“, in dem er Alben mit Stereofotografien verlegte. 1937 engagierte sich Heinrich Hoffmann, Hitlers „Leibfotograf“, in dem wirtschaftlich schwächelnden Verlag und nutzte ihn für die Verbreitung von NS-Propaganda.

QUELLE

Institution:

Deutsches Historisches Museum

Sammlung:

Stereofotografie eines jüdischen Geschäfts für Damenwäsche in Wien

Original:

Inv. Nr. Schönstein 4207

Arisierung

Juden werden gezwungen, ihren Besitz zu veräussern

„Wir nehmen gerne Veranlassung, Ihnen für das entgegengebrachte Vertrauen zu danken“.

Augsburg

Nach über hundert erfolgreichen Geschäftsjahren gibt die Baumwollweberei M.S. Landauer in Augsburg den Verkauf des Unternehmens bekannt. Während des Naziregimes wurden Juden gezwungen, ihren Besitz an „Arier“ zu verkaufen – für gewöhnlich erheblich unter dem tatsächlichen Wert. In manchen Fällen kamen die Besitzer der offiziellen Aufforderung zuvor, was sie aber in der Regel nicht vor größeren Verlusten bewahrte. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass der Gründer der Firma F.C. Ploucquet, in deren Besitz das Unternehmen übergegangen war, hugenottischer Abstammung und damit selbst Mitglied einer Gemeinschaft gewesen war, die schwere Verfolgungen erlebt hatte.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Landauer Familie, AR 207

Original:

Archivbox 1, Ordner 2

Hitler auf Heimatbesuch

Adolph Marcus hält seine Eindrücke im Tagebuch fest

„Die Angst unter dem Personal wächst von Tag zu Tag [...]“.

Linz

Vom 12. bis zum 14. März hatte sich Hitler in Linz aufgehalten, das er seit seinen dort verbrachten Jugendjahren als seine Heimatstadt betrachtete. In seiner Rede an die Bevölkerung der Stadt hatte er sich zum Vollstrecker des Volkswillens stilisiert und den „Opferwillen“ der deutschen Soldaten und die „Größe und Herrlichkeit“ des deutschen Volkes beschworen. Viele unter seinem Publikum reagierten begeistert, andere wurden von Furcht ergriffen. Mit zwei Sätzen gelingt es Adolph Markus, die angstvolle Atmosphäre an seinem Arbeitsplatz in Linz Tage nach dem „Anschluss“ einzufangen.

NACH OBEN