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Wehrdienst

Seine jüdische Abstammung befreit Bruno Blum vom Wehrdienst

„Es wird bescheinigt, dass Herr Bruno Blum, geboren am 11. Aug. 1907 in Buczacz, laut den hieramts vorgelegten Urkunden Volljude ist.“

WIEN

Artikel 1 von §15 des Reichswehrgesetzes (verabschiedet am 21. Mai 1935) legte fest: „Arische Abstammung ist eine Voraussetzung für den aktiven Wehrdienst“. Nach der Gesetzesänderung des Jahres 1936 war die Ausdrucksweise noch klarer: „Ein Jude kann nicht aktiven Wehrdienst leisten“. Um Erlaubnis zu bekommen, das Land zu verlassen, mussten männliche Auswanderungsanwärter der örtlichen Militärbehörde ein Dokument vorlegen, das ihre jüdische Abstammung nachwies und damit bewies, dass sie sich durch Auswanderung nicht ihrer Wehrpflicht zu entziehen beabsichtigten. Im Rahmen der Formalitäten, die Bruno Blum zu erledigen hatte, um eine Auswanderungsgenehmigung zu erhalten, bestätigte am 4. August 1938 das Matrikelamt der Israelitischen Kultusgemeinde Wien seine jüdische Abstammung auf beiden Seiten.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Blum Familie, AR 25132

Original:

Archivbox 1, Ordner 1

Faschismus in Amerika?

Jüdische Einwanderer warnen vor der Zerbrechlichkeit der Demokratie

„Aus dem hier Dargelegten ergibt sich für uns jüdische Einwanderer, die wir den Faschismus am eigenen Leib erfahren haben, dass wir alle Kräfte anspannen müssen, um den Fortbestand der USA als eines demokratischen Staatswesens zu sichern. Auch hier sind einflussreiche Gruppen am Werk, die Errungenschaften der Demokratie zu untergraben.“

NEW YORK

In der August-Ausgabe des Aufbau bekam eine Gruppe nicht näher identifizierter junger Einwanderer Gelegenheit, zum Schutz und zur Aktivierung der Demokratie in den Vereinigten Staaten aufzurufen: Laut ihrer Auffassung waren es durch ungezügelte Aufrüstung entstandene Wirtschaftskrisen in den faschistisch regierten Ländern Europas, die diesen in ihren eigenen Augen die Legitimation zur Konfiszierung jüdischen Vermögens verschafften. Während die Gruppe die Großzügigkeit der Administration und ihre Bereitschaft zu sozialen Reformen zum Nutzen der vor dem Faschismus Geflohenen lobte, warnte sie vor den reaktionären Kräften, die diese Politik angriffen und ihren Versuchen, die Demokratie in den Vereinigten Staaten zu untergraben. Die Redaktionsleitung achtete darauf, sich von der Position der Gruppe hinsichtlich der Rolle der Wirtschaft in der Geschichte zu distanzieren, erklärte aber dennoch, ihr gern den Raum zu geben, vor der aus Einwanderern bestehenden Leserschaft der Zeitung ihre Bedenken auszubreiten.

Die Abreise eines Gelehrten

Ismar Elbogen, ein großer Geschichtler des deutschen Judentums, verlässt sein Heimatland

„Professor Ismar Elbogen, ein bekannter jüdischer Gelehrter, bricht auf in die Vereinigten Staaten, um sich dort dauerhaft niederzulassen.“

BERLIN

Dank Jahrzehnten wissenschaftlicher Arbeit, besonders seiner grundlegenden Werke „Die Religionsanschauungen der Pharisäer“ (1904) und „Der Jüdische Gottesdienst in seiner Entwicklung“ (1913), war Prof. Ismar Elbogen international gut bekannt als er 1938 nach Jahren des Zögerns beschloss, auszuwandern. Seine Bemühungen als Vorsitzender des Erziehungsausschusses der Reichsvertretung der Juden in Deutschland waren durch das Regime erheblich behindert worden, und sein letztes in Deutschland veröffentlichtes Buch, „Die Geschichte der Juden in Deutschland“ (1935) war durch das Propagandaministerium massiv zensiert worden. In den zwanziger Jahren hatten ihm verschiedene Hochschulen in den Vereinigten Staaten (Jewish Institute of Religion, Hebrew Union College in Cincinnati; einen Ruf an die Columbia University hatte er abgelehnt) Lehraufträge erteilt, so dass er vielfältige Kontakte nach Übersee besaß, als die Zeit kam, Deutschland zu verlassen. In der heutigen Ausgabe informiert die Jewish Telegraphic Agency ihre Lehrer über die bevorstehende Abreise des Gelehrten.

Eine ganz bescheidene Schabbosfreude

Ein Gruß an den Rabbi einer bedrängten Gemeinde

Chemnitz

Nach dem Verbot der Ansiedlung von Juden in Chemnitz im Mittelalter dauerte es bis Ende der achtzehnhundertsechziger Jahre, dass Juden sich legal in der sächsischen Stadt niederlassen konnten. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war die Gemeinde dermaßen groß geworden, dass ihre Synagoge auf der Neugasse 3 nicht länger ausreichend war, und 1899 weihte Rabbiner Dr. Mühlfelder feierlich das neue Gebäude am Stephansplatz ein. Dieses Foto des neo-romanischen Baus wurde im Juli 1938 aufgenommen. Eine Anzahl kleinerer Gebetsräume trugen den religiösen Bedürfnissen der osteuropäischen Juden Rechnung, die seit Anfang des Ersten Weltkriegs in die Stadt gekommen waren und mit der Zeit über die Hälfte der jüdischen Bevölkerung der Stadt ausmachten.

Mitarbeiterverlust

Noch ein wertvoller Mitarbeiter der Zionistischen Vereinigung wandert aus

„Alle ihm übertragenen Arbeiten hat Herr Friedmann mit einer weit über das gewöhnliche Maß hinausgehenden Hingabe und mit eisernem Fleiß durchgeführt.“

Berlin

Die Zionistische Vereinigung für Deutschland war in einer heiklen Lage: Während sie die Auswanderung von Juden aus Nazi-Deutschland unterstützte, tat sie sich schwer mit dem ständigen Aderlass fähiger Mitarbeiter, besonders auf der Führungsebene, und der Notwendigkeit, sie zu ersetzen. Dennoch unterstützte Benno Cohn, Mitglied der Exekutive, großzügig einen weiteren abreisenden Kollegen mit diesem zutiefst anerkennenden Empfehlungsschreiben: Rudolf Friedmann war seit 1933 in verschiedenen Kapazitäten im Zionistischen Zentralbüro in Berlin beschäftigt und diente ihm mit äußerster Gewissenhaftigkeit und Hingabe. Cohn lobt seine organisatorischen Fähigkeiten und Ideen und empfiehlt ihn wärmstens an jede zionistische oder andere jüdische Organisation.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Willy Nordwind Sammlung, AR 10551

Original:

Archivbox 1, Ordner 1

Ein 5. Geburtstag

Die kleine Helen wird ein Jahr älter

Hamburg

Wilhelm Hesse war ein liebevoller, zutiefst engagierter Vater: Seit der Geburt seiner Töchter Helen (1933) and Eva (1936) dokumentierte er die Entwicklung der Mädchen genauestens in Tagebüchern, die er für sie führte. Zusätzlich zu kleinen Texten und Gedichten, die er selbst schrieb, fügte er zahlreiche Fotos und Bezüge auf jüdische Feiertage ein. Gelegentlich wird der oft humorvolle, manchmal sogar kindliche Ton durch Material unterbrochen, das eine Ahnung von der Stimmung unter den Juden im Land vermittelt, wie z.B. ein Aufruf Leo Baecks zu jüdischer Einheit und Solidarität im Namen der Reichsvertretung der Deutschen Juden. Aber Helen und ihre Schwester Eva hatten das Glück, noch zu klein zu sein, um zu verstehen, was sich um sie herum zusammenbraute. Der 30. Juni war Helens 5. Geburtstag.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Helen und Eva Hesse Familie, AR 25327

Original:

Archivbox 1, Ordner 3

Leberknödel, Weihnachtsstollen, Mazzenklößchen

Der Nationalsozialismus zerstört im Nu, was langsam wuchs

Krumbach

In Anni Buffs privatem Kochbuch, auf den 25. Juni 1938 datiert, überwogen eindeutig die traditionellen bayerischen Gerichte, wie Leberknödel, Weihnachtsstollen und Topfenkräpfle, gegenüber den jüdischen, wie z.B. Mazzenklößchen. Die jüdische Gemeinde in ihrem Geburtsort Krumbach war gut integriert. Seit ihrem Höchststand Anfang des 19. Jahrhunderts, als sie etwa 46% der Bevölkerung ausmachte, war sie erheblich zurückgegangen, und 1933 waren nur noch 1,5% der Krumbacher Bevölkerung jüdisch. Trotz dieser unwesentlichen Präsenz von Juden machte sich der Nationalsozialismus mit seiner fanatisch anti-jüdischen Botschaft schnell breit, und noch bevor er zur nationalen Politik wurde, kam es in der kleinen Stadt zur Belästigung von Juden durch SA-Leute. 1938 wurden die Übergriffe so unerträglich, dass Annis Vater Julius, der mit Polstermaterial handelte, Möglichkeiten zu untersuchen begann, an sichereren Ufern ein neues Zuhause zu finden, etwa in den Vereinigten Staaten, der Dominikanischen Republik oder Schanghai. Nicht einmal die Tatsache, dass er im Ersten Weltkrieg einen Bruder verloren und selbst im Königlich Bayerischen Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 16 gedient hatte – an der Seite eines jungen Österreichers namens Adolf Hitler – trug dazu bei, seine Position gegenüber den Nazi-Behörden zu verbessern.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Anni Krantz, AR 11284

Original:

Archivbox 1, Ordner 2

Post aus Shanghai

Ein deutsch-jüdischer Auswanderer berichtet

„Es gibt nicht einen einzigen Juden hier, der sich nicht ernähren kann.“

Schanghai/Berlin

Zu einer Zeit, als mehr und mehr Juden den dringenden Wunsch verspürten, das Land zu verlassen, muss dieser Brief eines deutsch-jüdischen Auswanderers in Shanghai, gerichtet an die „Herren vom Hilfsverein“, zukünftige Auswanderer mit neuer Hoffnung erfüllt haben: Der Schreiber dankt dem Hilfsverein überschwänglich für die Beratung und berichtet begeistert von der Vielzahl beruflicher Optionen, die Einwanderern an seinem neuen Standort zur Verfügung stehen: „Voraussetzung ist natürlich, dass man irgend etwas können muss und intensiv arbeiten kann.“ Seiner Einschätzung nach waren Musiker, Ärzte und Kaufleute stark gefragt und die Situation für Sekretärinnen und Stenotypistinnen besonders vielversprechend – unter der Bedingung, dass sie über perfekte Englischkenntnisse verfügten, was unter deutschen Juden in keiner Weise selbstverständlich war. Die Neuankömmlinge waren nicht die einzigen Juden im Land: Etwa seit der Mitte des 19. Jahrhunderts gab es eine sephardische Gemeinde, und seit Anfang des 20. Jahrhunderts, dann verstärkt durch den Zusammenbruch des Zarenreichs, hatten sich aschkenasische Juden in der Stadt angesiedelt.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Gemeindeblatt der Jüdischen Gemeinde zu Berlin

Original:

Vol 28, Nr. 25, S. 5.

Ruhe bewahrt

Gestapo zieht unverrichteter Dinge ab

„Falls sie mich verhaften wollen, müssten sie auch meine zwei kleinen Buben, die ohne Pflege jetzt dastehen würden, mit mir mitnehmen, oder sie sollen circa 6 Wochen warten, bis meine Frau vom Krankenhaus zurück ist.“

Linz

Seit Adolph Markus am 20. April mit Verwandten in Wien die Möglichkeit der Auswanderung besprochen hatte, nahm er zwei bis dreimal wöchentlich in der Synagoge Englischunterricht. Am 29. April war sein Schwager von der Gestapo festgenommen worden, und die Spannung und Nervosität des Ehepaars Markus begann sich auf die Kinder zu übertragen. Zwei Wochen später war Frau Markus von der Gestapo bezüglich des Wertes ihres gesamten Besitzes, einschließlich eines Hauses, verhört worden. Schließlich, am 18. Juni, erschienen zwei Gestapo-Beamte in der Wohnung der Familie: Während sie den Inhalt einiger Schachteln durchgingen, versuchte einer der beiden, Adolph Markus zu inkriminieren, indem er ein kommunistisches Flugblatt zwischen seine Papiere schmuggelte. Markus brachte die Ruhe und Selbstsicherheit auf, die Beamten darauf hinzuweisen, dass er nie in irgendeiner Weise politisch aktiv gewesen sei. Sein Hinweis auf seinen Frontdienst im Ersten Weltkrieg, zusammen mit der Bemerkung dass sie, falls sie ihn festnehmen wollten, auch seine beiden kleinen Söhne würden mitnehmen müssen, da ihre Mutter im Krankenhaus sei, brachte sie von ihrem Vorhaben ab. Sie zogen ab – unter der Drohung, sechs Wochen später wieder zu kommen, falls er nicht aus eigenen Stücken das Land verließe.

Vogelfrei

Juden aus Burgendland vertrieben

„Man lernt hier, was wirklich wichtig ist im Leben. Den Leuten spielt auch Geld keine Rolle mehr, auch das ist unwichtig geworden.“

Eisenstadt

Die jüdische Gemeinde in Eisenstadt im österreichischen Burgenland war nie besonders groß gewesen, aber als älteste Gemeinde in der Gegend reichte sie bis ins 14. Jahrhundert zurück und hatte ein reiches kulturelles Leben. Im Augenblick der Annexion Österreichs an Deutschland am 12. März 1938 wurden Juden vogelfrei: Unter dem zutiefst rassistischen Gauleiter Tobias Portschy war das Burgenland der erste Teil Österreichs, der seine jüdische Bevölkerung vertrieb. Um ihren alten Eltern mit den Vorbereitungen zum Umzug zu helfen, hielt sich Hilde Schlesinger im Juni 1938 in Einsenstadt auf. In ihrem Geburtstagsbrief an ihre Tochter Elisabeth in Amerika bemerkt sie, diese sei „zu einem echten jüdischen Kind geworden, zu einem nicht sesshaften, zum Wandern immer bereiten“, im Gegensatz zu ihrer eigenen emotionalen Verbundenheit zu Eisenstadt, aus dem sie sich nun entwurzeln musste. Frau Schlesinger Schiff hofft, ihre Eltern werden bald die Einreisegenehmigung in die Tschechoslowakei erhalten, aber noch ist die bürokratische Seite nicht geklärt. Es ist offensichtlich, wie unangenehm sie die Erpichtheit der Nichtjuden auf Schnäppchen berührt, die sie als „Leichenraub“ bezeichnet, während Ihre Familie gezwungen ist, einen Großteil ihres Eigentums zu veräußern.

Von jetzt auf gleich

Nazis reißen die Münchner Hauptsynagoge ab

„Der Berichterstatter hat erfahren, dass die Nazis zur Entschädigung für die Synagoge, bei der es sich um wertvollen Grundbesitz handelt, eine geringe Summe zur Verteilung unter bedürftigen Münchner Juden angeboten haben.“

München

Angeblich aus verkehrstechnischen Gründen hatte die Stadt München die Israelitische Kultusgemeinde am 8. Juni davon in Kenntnis gesetzt, dass sie die prachtvolle, zentral gelegene Hauptsynagoge und das Grundstück, auf dem sie stand, für einen Bruchteil des tatsächlichen Werts zu verkaufen habe. Am 9. Juni begann der Abriss des Gebäudes, das kaum mehr als 50 Jahre lang als spirituelles und kulturelles Zentrum der jüdischen Gemeinschaft gedient hatte. Laut diesem Bericht der Jewish Telegraphic Agency vom 10. Juni hatte Kanzler Hitler persönlich den Befehl zur Entfernung des „Schandflecks“ erteilt. Rabbi Baerwald, der geistliche Führer der Gemeinde, hatte nicht mehr als einige Stunden früher Vorwarnung erhalten, um die heiligsten Gegenstände im Besitz der Gemeinde zu retten. Die noch nicht lange erworbene Orgel wurde an eine neu gebaute katholische Kirche weitergegeben. Die Wirkung des Abrisses des Gebäudes, einst ein Symbol von Beständigkeit, Stolz und Zugehörigkeit, auf die kollektive Psyche war verheerend.

Jüdische Schulen

Ungewollter Schutzraum jüdischer Identität

„Bialik teilt in seinem Aufsatz ,Halacha und Aggada’ eine Deutung mit, die er von Achad Haam gehört hat: ,...Wer auf den Geist achtet, wird auch aus ihr [dieser Mischna] zwischen den Zeilen das Rauschen des Herzens und die zitternde Sorge um das künftige Schicksal eines Volkes heraushören, das 'auf dem Wege geht,‘ und nichts mehr von seinem Besitz in der Hand hat als ein Buch, und dessen ganzer innerer Zusammenhang mit irgendeinem seiner Aufenthaltsländer nur auf seinem Geiste beruht.‘ “

Berlin

Für viele jüdische Kinder wurde der Schulbesuch unter den Nazis zur Hölle: Schon der Schulweg konnte zu einem Spießrutenlauf unter anti-jüdischen Kränkungen werden. Ausgrenzung durch Mitschüler und Lehrer war die Regel. Um den Kindern diese Qual zu ersparen, schickten Eltern, die es sich leisten konnten, ihre Kinder auf jüdische Schulen. Bis 1933 hatten die überwiegend assimilierten deutschen Juden wenig Interesse an eigenen Schulen, aber das feindselige Klima unter dem Naziregime ließ mehr und mehr Einrichtungen dieser Art entstehen. Dr. Elieser L. Ehrmann, ein Pädagoge und Mitarbeiter in der Schulabteilung der Reichsvertretung der Juden in Deutschland, hatte seit 1936 Arbeitspläne für Lehrkräfte an jüdischen Schulen ausgearbeitet, die die Kenntnis der jüdischen Feiertage und des sie begleitenden Brauchtums vertiefen und damit eine positive jüdische Identität vermitteln sollten. Der hier gezeigte Auszug stammt aus Ehrmanns „Arbeitsplan für Omerzeit und Schawuot“, herausgegeben 1938 von der Reichsvertretung der Juden in Deutschland. In diesem Jahr fiel der erste Tag des Schawuot-Festes auf den 5. Juni.

Professionelle Unterstützung im Adoptionsverfahren

Das Zentralbüro für jüdische Pflegestellen und Adoption macht sich für die Schwächsten stark

„Eine an unserer Arbeit interessierte hiesige Familie (…) hat sich liebenswürdigerweise angeboten, Sie und das von Ihnen ausgewählte Kind für einige Zeit in ihrem Hause als Gast aufzunehmen, damit Sie Gelegenheit haben, in der freundlichen Atmosphäre eines Privathauses das Kind an sich zu gewöhnen, was sicherlich einfacher sein wird, als wenn Sie mit dem Kinde von Anfang an in einem Hotel wohnen müssen.“

WUPPERTAL-ELBERFELD/NEW YORK

Die Zentrale für jüdische Pflegestellen und Adoptionsvermittlung nahm ihr Mandat, Mütter und Kinder zu schützen, sehr ernst: Als Frances und Bernard Rosenbaum aus New York sich für ein Kind zur Adoption entschieden hatten, bekamen sie Hilfe. Die Agentur bot ihnen Unterkunft bei einer Privatfamilie an, damit die Beziehung nicht in einem Hotel beginnen müsse und es für das Kind leichter wäre, sich an seine Adoptivmutter zu gewöhnen. Das Zentralbüro für jüdische Pflegestellen und Adoption war Teil des Jüdischen Frauenbundes, der 1904 von Bertha Pappenheim gegründet worden war, um karitative Tätigkeit zu fördern und gleichzeitig jüdische Identität zu bejahen. Eine Folge dieser Initiative war die Entwicklung einer professionellen Sozialarbeit.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Frederick Rosenbaum, AR 6707

Original:

Archivbox 1, Ordner 1

Das Israelitische Krankenhaus in Hamburg

Trotz Untergrabung durch die Nazis läuft der Krankenhaus betrieb

„Zur freundlichen Erinnerung an gemeinsame Jahre im I.K.“

Hamburg

Auf diesem Bild ist die Fassade des Israelitischen Krankenhauses in Hamburg zu sehen. Das Foto gehört zu einem Album, dem eine Inschrift vom 29. Mai 1938 vorangestellt ist. Das Krankenhaus wurde von dem Kaufmann und Bankier Salomon Heine, auch bekannt als der „Rothschild von Hamburg“, im Andenken an seine Frau Betty gestiftet und 1843 in Betrieb genommen. Der Dichter Heinrich Heine, ein Neffe und Protégé Salomons, ehrte den Anlass mit seinem Gedicht „Das neue israelitische Hospital zu Hamburg“, in dem er es „Ein Hospital für arme, kranke Juden, Für Menschenkinder, welche dreifach elend, Behaftet mit den bösen drei Gebresten, Mit Armuth, Körperschmerz und Judenthume!“ nannte. Obwohl die Nazis die Finanzen des Hospitals seit 1933 untergruben, hatte es diesen Maßnahmen standgehalten und konnte im Mai 1938 noch immer seine Patienten versorgen.

Schneller und schneller

Leo Baeck wird 65

„Dieses Jahr wird ein schwieriges sein; das Rad dreht sich schneller und schneller. Es wird unsere Nerven und unsere Fähigkeit zu sorgfältigem Nachdenken auf die Probe stellen.“

Berlin

Bereits in April 1938 hatte Rabbiner Leo Baeck, der Präsident der Reichsvertretung der Juden in Deutschland und damit der Hauptrepräsentant des deutschen Judentums weitsichtig geschrieben: „Dieses Jahr wird ein schwieriges sein; das Rad dreht sich schneller und schneller. Es wird unsere Nerven und unsere Fähigkeit zu sorgfältigem Nachdenken auf die Probe stellen.“ Baeck hatte als Feldgeistlicher im Ersten Weltkrieg gedient und muss als Patriot vom erzwungenen Niedergang des deutschen Judentums tief getroffen gewesen sein. Angesichts der Verarmung weiter Teile der jüdischen Bevölkerung, der Beschneidung jüdischer Rechte und der Abdrängung der Juden an den Rand der Gesellschaft und keinerlei Aussicht auf Besserung war Leo Baecks 65. Geburtstag am 23. Mai vermutlich eine triste Angelegenheit.

„Jumheidi, heida“

Heinz Neumann feiert seine Bar-Mizwah

„Möge Gott Euch allen Gesundheit, Zufriedenheit und wieder glücklichere Zeiten schenken.“

Berlin

Es ist schwer vorstellbar, dass am Verfassen von Heinz Neumanns Tischrede für seine Bar Mizwah-Feier am 21. Mai nicht die leitende Hand eines Erwachsenen beteiligt war: Die Art wie der Junge seine Dankbarkeit dafür ausdrückt, dass ihm seine Eltern trotz der schweren Zeiten ein sorgenfreies Leben ermöglicht haben, wirkt kaum wie der Stil eines Dreizehnjährigen. Heinz verspricht, „die sittlichen Gebote des Judentums vor Augen zu haben“ und wünscht allen Gesundheit, Zufriedenheit und glücklichere Zeiten. Glücklicher Weise hatten eine Großmutter und eine Tante zu Ehren des Bar Mitzwah als Tafellied einen fröhlichen Text zur Melodie von „Jumheidi, heida“ verfasst, um für gute Laune zu sorgen, und sicher trug auch das Festmahl, gekrönt von einer “Fürst Pückler Bombe“, zur Hebung der Stimmung bei.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung von Neumann and Jacks Familie, AR 25580

Original:

Archivbox 1, Ordner 1

Der „Arier-Nachweis“

Dirigent Erich Erck leitet das Orchester des Jüdischen Kulturbunds

MÜNCHEN

Seit dem Inkrafttreten des sogenannten „Arier-Paragraphen“ im „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 waren bestimmte Berufsgruppen zum Nachweis ihrer „rein arischen Abstammung“ verpflichtet, um weiterhin ihren Beruf ausüben zu können. Auch der 38-jährige Chirurg Dr. Walter Bernhard Kunze aus Freiberg in Sachsen musste für den „Arier-Nachweis“ einen Fragebogen über seine Abstammungslinie ausfüllen. Der Fragebogen vom 15. Mai 1938 enthält personenbezogene Angaben bis in die Generation seiner Großeltern. Diesem waren die entsprechenden standes- und pfarramtlichen Unterlagen beizulegen. Die Einholung der zahlreichen Abschriften aus den Kirchen- und Gemeindeämtern der Geburts- und Wohnorte der Vorfahren bedeutete für den einzelnen oft einen sehr hohen Verwaltungsaufwand. Der „Arier-Nachweis“ war ein wirksames Instrument der NS-Rassenpolitik, durch welches als „Nichtarier“ angesehene Personen stigmatisiert und zunehmend aus der Gesellschaft ausgegrenzt wurden.

QUELLE

Institution:

Jüdisches Museum Berlin

Original:

Erich Eisner als Dirigent in der Liberalen Synagogoe München, Sammlung Erich Eisner, Schenkung von Manfred Eisner

Die erste Rabbinerin der Geschichte

Regina Jonas spricht über „Religiöse Gegenwartsprobleme der jüdischen Gemeinschaft“

Berlin

Einige unscheinbare Zeilen in der heutigen Ausgabe der „Jüdischen Rundschau“ weisen auf einen Vortrag von „Fräulein Regina Jonas“ zum Thema „Religiöse Gegenwartsprobleme der jüdischen Gemeinschaft“ hin. Regina Jonas hatte mit großem Einsatz auf der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin studiert und hart um ihr Ziel, Rabbinerin zu werden, gekämpft: Selbst liberale Rabbiner, die wahrscheinlich eine positive oder doch wenigstens offene Einstellung gegenüber der Ordination hatten, wie z.B. Leo Baeck, wollten in diesen krisenhaften Zeiten keinen Staub aufwirbeln und waren nicht bereit, sie zu ordinieren. Als Abschlussarbeit verfasste sie eine halachische Abhandlung zum Thema „Kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden?“. Es war Rabbiner Max Dienemann, der sie schließlich zur ersten Rabbinerin der Geschichte machte. Trotz der leidenschaftlichen Opposition gegenüber der Frauenordination in manchen Lagern und Zweifeln bezüglich der Gültigkeit von Regina Jonas‘ Ordinierung genoss sie interessanterweise den Respekt sogar mancher orthodoxer Rabbiner, die sie von diesem Zeitpunkt an „Fräulein Rabbiner“ oder „Kollegin“ nannten. Die „Jüdische Rundschau“ zog es anscheinend vor, auf Nummer sicher zu gehen

Möbel für Auswanderer

Werbeanzeigen spiegeln die Bedürfnisse der Zeit

Karlsruhe

Drei gut sichtbar plazierte Anzeigen auf der Titelseite des „Jüdischen Gemeindeblatts für Baden“ stellen klar heraus, was die Gemüter deutscher Juden im April 1938 bewegt: Das Thema „Auswanderung“ ist allgegenwärtig. Drei Firmen in Karlsruhe bieten Waren und Dienste in diesem Zusammenhang, wie Schiffskarten nach Südamerika, Afrika und Asien, Möbel für Auswanderer und Hausverkäufe. In der Ausgabe vom 27. April kommt das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln zur Sprache: Das Schrumpfen der Gemeinden durch den Wegzug der Mitglieder, Englischkurse für künftige Auswanderer, der Weggang geschätzter Führungspersönlichkeiten, praktischer Rat, wie man während des Emigrationsprozesses die Unterstützung jüdischer Hilfsorganisationen erlangen könne, und mehr. Parallel dazu scheinen die Dinge in ihren gewohnten Bahnen zu verlaufen: Lehrhaus-Aktivitäten, Schülerkonzerte und Kulturbund-Veranstaltungen bilden ein Gegengewicht zur Anormalität der Situation.

Knechtschaft und das Fest der Befreiung

Jugendliche feiern Pessach

Berlin

1938 fiel der erste Tag des Pessach-Festes auf den 16. April. Wie jedes Jahr versammelten sich die Bewohner des Jüdischen Jugendwohn- und Lehrlingsheims in Berlin um einen festlich gedeckten Tisch zum zweiten Seder. Unter der engagierten Leitung Paul und Friedel Josephs versorgte das Heim seine Schützlinge mit Gelegenheiten, die weit über das Praktische, wie Unterbringung und Berufsausbildung, hinausgingen: Sie bemühten sich, ihnen kulturelle und intellektuelle Impulse zu verschaffen und ihre Horizonte zu erweitern. Die Jungen und jungen Männer im Alter von 14 bis 21 waren als „schwer erziehbar“ aus ihren Elternhäusern entfernt worden. Laut Friedel Joseph spielte sich das Leben im Heim zu diesem Zeitpunkt noch „relativ unbehelligt“ ab, aber die politische Situation kann seinen Bewohnern nicht entgangen sein: Die Pessach-Botschaft der Befreiung aus der Knechtschaft unter einem tyrannischen Herrscher muss in diesem Jahr starken Nachhall gefunden haben.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Heinrich Stahl, AR 7171

Original:

ALB 69

50.000 Mazzen

Jüdische Winterhilfe ermöglicht verarmten Juden die Speisevorschriften zur Pessachwoche einzuhalten

Berlin

Die besonderen Speisevorschriften für die Pessachwoche bedeuteten eine zusätzliche finanzielle Belastung für die deutschen Juden, von denen viele Mühe hatten, über die Runden zu kommen. Die Jüdische Winterhilfe verteilte 50.000 Mazzen an bedürftige Juden und ermöglichte etwa 1000 Personen die Teilnahme an den beiden Sederabenden. Die Spender der Pessachsammlung der Winterhilfe erhielten ein Exemplar von Rabbi Selig Bambergers Übersetzung der Haggadah, deren Inneneinband mit einem Etikett versehen war, auf dem für die Spende gedankt wurde. Dieses Foto von Feiertagszubehör stammt aus einem Album Heinrich Stahls, des Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, der die Jüdische Winterhilfe gemeinsam mit Rabbiner Leo Baeck 1935 bei einer Veranstaltung in Berlin ins Leben gerufen hatte.

Ein besonderes Geburtstagsgeschenk

Kinder des Ahawah-Heims danken Heinrich Stahl für seinen Einsatz

Berlin

Heinrich Stahl, seit 1934 Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, war stark engagiert in der Arbeit der verschiedenen jüdischen Hilfsorganisationen, für die wachsende Nachfrage bestand, je mehr sich der Nationalsozialismus stark machte. Am 13. April 1938, seinem 70. Geburtstag, wurde ihm im Namen des Kinderheims „Ahawah“ ein Geschenk überreicht: ein Fotoalbum, das die breite Palette der Aktivitäten zeigte, denen die Schützlinge dieser außergewöhnlichen Einrichtung nachgingen (s. 17. März). Es schloss mehrere Fotos aus der neuen Niederlassung ein, die 1934 in Palästina eröffnet worden war. Die aufrichtige Wärme und Dankbarkeit, die durch die gereimte Widmung hindurchscheinen, zeigen, wie sehr sich Stahl für die Interessen der „Ahawah“ einsetzte.

Eine Retterin feiert Geburtstag

Rose Luria Halprin macht sich für deutsch-jüdische Jugendliche stark

Jerusalem/Berlin

Als führende Funktionärin in verschiedenen zionistischen Organisationen, insbesondere in der nordamerikanischen Frauenorganisation „Hadassah“ (Hadassah Women’s Zionist Organization of North America) war Rose Luria Halprin 1934 nach Palästina gezogen, wo sie als Kontaktperson zwischen der lokalen Hadassah-Zweigstelle und dem nationalen Büro in den Vereinigten Staaten fungierte. Nachdem sie sich mit Henrietta Szold angefreundet hatte, die die Jugend-Alija in Palästina leitete, begann auch Rose Halprin, sich für die Rettung deutsch-jüdischer Jugendlicher durch deren Verbringung nach Palästina zu engagieren. Gegründet wurde die Jugend-Alija durch die vorausschauende Recha Freier, die Frau eines in Berlin ansässigen Rabbiners. Das war derselbe Tag, an dem die Nazis an die Regierung gebracht wurden, der 30. Januar 1933. In den Jahren 1935 bis 1938 besuchte Rose Halprin wiederholt Berlin. Der 11. April 1938 war ihr 42. Geburtstag.

QUELLE

Institution:

American Jewish Historical Society

Sammlung:

Rose Halprin in 1934. Haddassah Archiv beim American Jewish Historical Society.

Pessach-Ball mit „Kölner Jecken“

Die Zionistische Arbeiterbruderschaft sorgt für temporäre Heiterkeit unter deutsch-jüdischen Einwanderern

NEW YORK

Meist war die Jewish National Workers Alliance, unter welchem Namen die Zionistische Arbeiterbruderschaft bekannt war, mit ernsthaften Angelegenheiten beschäftigt: Unter anderem war sie bestrebt, die Arbeiterklasse zu stärken, und in wirtschaftlichen Notlagen, im Fall von Krankheit oder Tod ihrer Mitglieder, Hilfe zu leisten. 1911 hatte sie das erste Versicherungssystem für jüdische Arbeiter eingerichtet. Am 9. April 1938 wich sie von ihrer Kernaufgabe ab und hielt in der deutsch-jüdischen Hochburg Washington Heights in New York einen Pessach-Ball ab. Unter anderem wirkten an dem Programm „Kölner Humoristen“ mit – ein Gütezeichen unter deutschen Einwanderern, die mit Kölner Karnevalsnarretei vertraut waren, einer Tradition, die bis ins Mittelalter zurückreicht. Veranstaltungsort war der Ballsaal der Paramount Mansion, in der verschiedene Institutionen zu Hause waren, die die Interessen deutsch-jüdischer Einwanderer förderten.

Kontaktabbruch

Ein Berliner verlässt die jüdische Gemeinschaft

Berlin

Hoffte Hans Petzold, ein 36jähriger gebürtiger Berliner, durch seinen Austritt zunächst aus dem Judentum und dann aus der Jüdischen Gemeinde zu Berlin sein Los zu verbessern? Unter einem Regime, das von dem Gedanken rassischer Reinheit besessen war, war es kaum zu erwarten, dass Schritte dieser Art einen Unterschied machen würden. Laut der „Austrittskartei“ der Jüdischen Gemeinde zu Berlin trat Petzold innerhalb eines Monats offiziell sowohl aus der Berliner Gemeinde als auch aus dem Judentum aus.

QUELLE

Institution:

New Synagogue Berlin – Centrum Judaicum

Sammlung:

Karteikarte aus der Austrittskartei der Jüdischen Gemeinde zu Berlin zum Austritt von Hans Petzold aus dem Judentum

Original:

CJA, 2 A 1

Solidarität, Selbstorganisation, Spendensammeln

Jüdische Wohlfahrtsorganisationen fangen viel auf

Berlin

1938 war die Fähigkeit der Juden, in Deutschland ihren Lebensunterhalt zu verdienen, erheblich eingeschränkt: Eine Reihe von Gesetzen zielte darauf ab, sie zu demütigen, zu isolieren und in die Armut abzudrängen. Während nicht alle Juden in gleichem Maß von diesen Veränderungen betroffen waren, nahm die Anzahl der Juden, die auf die Dienste von Wohlfahrtsorganisationen, wie z.B. die jüdische Winterhilfe, angewiesen waren, ständig zu. Das Ausmaß der Solidarität und die Unterstützung für die Winterhilfe waren bemerkenswert. Ein großer Teil des Geldes kam aus Kleinspenden, und der Kulturbund gestaltete kulturelle Veranstaltungen, um die Organisation zu unterstützen. Freiwillige aus Frauen- und Jugendorganisationen halfen beim Spendensammeln.

Frauenrechte sind Menschenrechte

Der Jüdische Frauenbund berät junge Frauen bei der Ausreise

Berlin

Lange Zeit war die Sicherstellung der Würde und Unabhängigkeit jüdischer Frauen und ihr Schutz vor Menschenhändlern ein zentrales Anliegen des Jüdischen Frauenbundes. Der 1904 gegründete Verein unterstützte junge Frauen, in dem er es ihnen ermöglichte, eine Berufsausbildung absolvieren. Inzwischen hatten sich andere Themen in den Vordergrund gedrängt: Am 22. März lud die Gruppe berufstätiger Frauen innerhalb des Bundes, vertreten durch Käthe Mende, zu einem „Aussprache-Abend“ für weibliche Jugendliche ein, bei dem Berufs- und Auswanderungsfragen diskutiert werden sollten. Die Gastrednerin war Lotte Landau-Türk; Prof. Cora Berliner, eine frühere Angestellte im Reichswirtschaftsministerium und Professorin für Wirtschaftswissenschaften, die nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 aus dem Staatsdienst entlassen worden war, moderierte die Diskussion.

QUELLE

Institution:

New Synagogue Berlin – Centrum Judaicum

Sammlung:

Einladung zu einer Veranstaltung der Gruppe berufstätiger Frauen im Verband Berlin des Jüdischen Frauenbundes zum Thema „Berufs- und Auswanderungsfragen für die weibliche Jugend“

Original:

CJA, 1 C Fr 1, Nr. 31, #9835, Bl. 32

Die Welt zur Rettung

Jüdische Vorsteher und Medien wissen: Sie brauchen jede Unterstützung, die sie bekommen können

„Die österreichischen Juden haben eine alte Tradition als voll gleichberechtigte Bürger, die stets ihre Kräfte in den Dienst der Heimat gestellt haben und zum Aufschwung derselben auf allen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Gebieten wesentlich beigetragen haben“.

Wien

Das gesamte Titelblatt der deutschsprachigen religiös-zionistischen „Allgemeinen Jüdischen Zeitung“ in Bratislava ist dem „Anschluss“ gewidmet: Juden werden aufgerufen, ihren österreichischen Glaubensgenossen zur Seite zu stehen. Eine anonyme Quelle weist auf die Verarmung weiter Teile der österreichischen Judenheit und die daraus resultierende Notwendigkeit hin, das Sozialwesen neu zu ordnen und sich den immer dringender werdenden Angelegenheiten der Umschulung und der Emigration zuzuwenden. Der Leser wird daran erinnert, dass Österreich noch immer Mitglied des Völkerbunds sei und dass das österreichische Recht gleiche Rechte für religiöse und nationale Minderheiten einfordere. Unter anderen Quellen wird der britische Unterstaatssekretär für Äußeres, Butler, zitiert, der berichtet, er habe Zusicherungen bekommen, die deutsche Regierung werde in Bezug auf Minderheiten „alle Anstrengungen unternehmen, eine Mäßigung der Politik zu erzielen“. Auch berichtet das Blatt, der Präsident des Jüdischen Weltkongress, Rabbi Wise, habe an den Völkerbund appelliert, den Juden beizustehen. Ansonsten zeichnet sich ein düsteres Bild ab: Die Produktion jüdischer Zeitungen eingestellt, prominente Juden arrestiert, ein jüdisches Theater geschlossen, die jüdische Ärzte entlassen und andere Schikanen. Die Zeitung ruft Juden in aller Welt auf, den Brüdern und Schwestern in Österreich zur Seite zu stehen.

Der Name ist Programm

Das Kinderheim "Beit Ahawah" schenkt jüdischen Kindern Geborgenheit in Berlin—und darüber hinaus

Berlin

Das als übermäßig autoritär bekannte preußische Erziehungssystem hatte traditionell auf Gehorsamkeit und Pflichterfüllung abgezielt, wobei den Kindern oft frühzeitig die Flügel gebrochen wurden. Im Kinderheim „Ahawah“ (hebr. für „Liebe“) auf der Auguststraße in Berlin-Mitte herrschte ein anderer Geist: Die Kinder durften in einem „Kinderrat“ mitentscheiden, sie sollten zu Staatsbürgern, nicht zu Untertanen erzogen werden. Körperliche Bestrafung war verboten und alle Mitarbeiter waren dazu angehalten, die Atmosphäre eines echten Zuhauses zu schaffen. Beate Berger, eine Krankenschwester und Leiterin des Heims seit 1922, nahm eine Gruppe von Kindern mit sich, als sie 1934 nach Palästina emigrierte und kehrte in den folgenden Jahren oft nach Deutschland zurück, um weitere Kinder zu retten. Die Fotos zeigen kostümierte Kinder bei der Purimfeier des Heims.

Anlernwerkstatt und Auswanderungspläne

Ein Frankfurter Lehrer sucht Hilfe bei einem Kollegen

„Wir wollen drüben mit Menschen zusammen kommen, mit denen wir auch über unsere Pläne - nicht über unsere persönlichen, sondern über die jüdisch-sozialen - sprechen können. Die Situation für die jüdische Jugend wird doch von Tag zu Tag ernster, und wir halten uns für verpflichtet, alle Möglichkeiten, die wir drüben sehen, auszunutzen.“

Frankfurt am Main/Bonn

Kaum hatte er seine Karriere als Lehrer am Goethe-Gymnasium in Frankfurt am Main begonnen, verlor Hans Epstein 1933 nach der Machtergreifung seine Stelle. Nach einem kurzen Intermezzo als Lehrer am berühmten „Philanthropin“ in Frankfurt am Main, einer progressiven jüdischen Schule mit dem Wahlspruch „Für Aufklärung und Humanität“, wurde er zum Mitbegründer der „Anlernwerkstatt“, die jüdische Kinder auf die Emigration in die USA vorbereitete. Der Mathematiker Otto Toeplitz, ein passionierter Pädagoge, unterrichtete nun Kinder und organisierte die Auswanderung von Studenten in die Vereinigten Staaten. In diesem Brief bittet Epstein Toeplitz um ein Empfehlungsschreiben und um Kontakte in den USA, die seinen Bemühungen förderlich sein könnten.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Hans Epstein, AR 6362

Original:

Archivbox 1, Ordner I.13

Ein Geschmack von Heimat

Eine deutsch-jüdische Auswandererzeitung bewirbt "echte, gute, deutsche Wurst"

„Endlich das, was Sie sich wünschen: die echte, gute, deutsche Wurst, hergestellt aus prima Rind- und Kalbfleisch zu den billigsten Tagespreisen“

New York

Nach den Strapazen ihres erzwungenen Abschieds von der Heimat, oft begleitet von einem Verlust an Status, Besitz und elementarem Vertrauen in die Menschheit, schienen die deutschen Juden wenig Grund zu Heimweh zu haben. Diese Anzeige aus dem „Aufbau“, der deutsch-jüdischen Zeitung mit Sitz in New York, die damals als Mitteilungsblatt des „German Jewish Club“ diente, zeigt, dass jüdische Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland sich dennoch nicht unbedigt eilten, ihre mitgebrachten Essgewohnheiten zu ändern.

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