External links are disabled on the kiosk. Please visit archive links from desktop or mobile devices.

Besuch beim US-Konsulat

Heinz Ries kann endlich einwandern

Havanna

Nachdem sein erster offizieller Einwanderungsversuch unter abenteuerlichen Bedingungen gescheitert war, bemühte sich der zwanzigjährige Heinz Ries aus Berlin ein weiteres Mal darum, dauerhaft und rechtmäßig in den USA leben zu dürfen. Monatelang hatte er sich illegal in New York durchgeschlagen. Erst mit Hilfe einer Bürgschaft, einer erneuten Einreise über Havanna (Kuba) und wiederholter Vorsprache beim dortigen amerikanischen Konsulat, wo er am 23. Juni 1938 erstmals vorstellig wurde, gelang sein Vorhaben. Nach dem Krieg kehrte er zunächst als Mitarbeiter der Alliierten, dann als Fotoreporter der New York Times für einige Zeit nach Deutschland zurück. Aus diesen Jahren stammen die Fotos der Berliner Blockade und Luftbrücke, die ihn unter dem Namen Henry Ries weltberühmt machten.

QUELLE

Institution:

Deutsches Historisches Museum

Original:

Einwandererausweis der Vereinigten Staaten von Amerika für Heinz Ries ; Inv.No. Do2 2009/488

Vogelfrei

Juden aus Burgendland vertrieben

„Man lernt hier, was wirklich wichtig ist im Leben. Den Leuten spielt auch Geld keine Rolle mehr, auch das ist unwichtig geworden.“

Eisenstadt

Die jüdische Gemeinde in Eisenstadt im österreichischen Burgenland war nie besonders groß gewesen, aber als älteste Gemeinde in der Gegend reichte sie bis ins 14. Jahrhundert zurück und hatte ein reiches kulturelles Leben. Im Augenblick der Annexion Österreichs an Deutschland am 12. März 1938 wurden Juden vogelfrei: Unter dem zutiefst rassistischen Gauleiter Tobias Portschy war das Burgenland der erste Teil Österreichs, der seine jüdische Bevölkerung vertrieb. Um ihren alten Eltern mit den Vorbereitungen zum Umzug zu helfen, hielt sich Hilde Schlesinger im Juni 1938 in Einsenstadt auf. In ihrem Geburtstagsbrief an ihre Tochter Elisabeth in Amerika bemerkt sie, diese sei „zu einem echten jüdischen Kind geworden, zu einem nicht sesshaften, zum Wandern immer bereiten“, im Gegensatz zu ihrer eigenen emotionalen Verbundenheit zu Eisenstadt, aus dem sie sich nun entwurzeln musste. Frau Schlesinger Schiff hofft, ihre Eltern werden bald die Einreisegenehmigung in die Tschechoslowakei erhalten, aber noch ist die bürokratische Seite nicht geklärt. Es ist offensichtlich, wie unangenehm sie die Erpichtheit der Nichtjuden auf Schnäppchen berührt, die sie als „Leichenraub“ bezeichnet, während Ihre Familie gezwungen ist, einen Großteil ihres Eigentums zu veräußern.

Lebensrettende Verwandschaft

Frank Fenner aus Michigan bürgt für seinen Neffen in Wien

„... dass ich willens und in der Lage bin, alle hier erwähnten Personen zu empfangen, zu unterhalten und zu unterstützen und ich hiermit dafür bürge, die Vereinigten Staaten, jeden Staat, Stadt, Dorf oder Gemeinde davor zu schützen, dass einer der hier erwähnten Ausländer der Öffentlichkeit zur Last fällt.“

Mendon, Michigan

Fast 50 Jahre, bevor er eine Bürgschaft für seinen Neffen Karl Grosser in Wien ausstellte, war Frank W. Fenner selbst aus Europa in die Vereinigten Staaten eingewandert. Als Besitzer eines Restaurants und einer Konditorei in Mendon, Michigan, konnte er seinen jungen Verwandten unterstützen, bis dieser in der Lage wäre, für sich selbst zu sorgen. Das Auffinden eines Bürgen war eine wichtige Bedingung für den Erhalt eines Einreisevisums, die oft schwer zu erfüllen war. Der Visumsprozess begann mit der Anmeldung beim nächsten amerikanischen Konsulat, wo dem Antragsteller ein Platz auf der Warteliste zugeteilt wurde. Die Länge der Liste war abhängig von der Anzahl der Menschen, die laut dem 1924 eingeführten Quotensystem der Vereinigten Staaten jeweils aus einem Land einwandern durften. Trotz der schweren Flüchtlingskrise 1938 hatte es keinerlei Revision erfahren. Während der Wartezeit mussten die Auswanderungskandidaten sämtliche benötigten Dokumente beschaffen, und mit etwas Glück waren sie noch gültig, wenn ihre Nummer an die Reihe kam.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Carl A. Grosser. AR 10559

Original:

Archivbox 1, Ordner 1

Reichsfluchtsteuer

Auswanderer müssen ein Meer an finanziellen und bürokratischen Hürden überwinden

LÖRRACH

Seit 1937 bemühten sich Lina und Siegmund Günzburger aus Lörrach in Südwestdeutschland und ihr Sohn Herbert, ihre Auswanderungspapiere zusammenzustellen. Die Auflagen waren nichts weniger als ein Albtraum: Zukünftige Auswanderer mussten eine Vielzahl persönlicher Dokumente, Empfehlungsschreiben und Bürgschaften beschaffen und waren verpflichtet, ein Inventar ihres gesamten Besitzes zusammenzustellen. Auch mussten sie dokumentieren, dass keine Steuerrückstände bestanden. Besonders perfide war die sogenannte „Reichsfluchtsteuer“: Ursprünglich eingeführt in der Endphase der Weimarer Republik, um die Kapitalflucht in Reaktion auf die Sparpolitik der Regierung zu verhindern, wurde sie zu einem Werkzeug in der Hand der Regierung, um die Juden für das Verlassen des Landes zu bestrafen, das es ihnen unerträglich machte, zu bleiben.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Herbert Guenzburger, AR 5947

Original:

Archivbox 1, Ordner 2

Der „Arier-Nachweis“

Kein Arbeitsplatz bei „unreiner“ Abstammung

Freiberg

Seit dem Inkrafttreten des sogenannten „Arier-Paragraphen“ im „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 waren bestimmte Berufsgruppen zum Nachweis ihrer „rein arischen Abstammung“ verpflichtet, um weiterhin ihren Beruf ausüben zu können. Auch der 38-jährige Chirurg Dr. Walter Bernhard Kunze aus Freiberg in Sachsen musste für den „Arier-Nachweis“ einen Fragebogen über seine Abstammungslinie ausfüllen. Der Fragebogen vom 15. Mai 1938 enthält personenbezogene Angaben bis in die Generation seiner Großeltern. Diesem waren die entsprechenden standes- und pfarramtlichen Unterlagen beizulegen. Die Einholung der zahlreichen Abschriften aus den Kirchen- und Gemeindeämtern der Geburts- und Wohnorte der Vorfahren bedeutete für den einzelnen oft einen sehr hohen Verwaltungsaufwand. Der „Arier-Nachweis“ war ein wirksames Instrument der NS-Rassenpolitik, durch welches als „Nichtarier“ angesehene Personen stigmatisiert und zunehmend aus der Gesellschaft ausgegrenzt wurden.

QUELLE

Institution:

Deutsches Historisches Museum

Original:

Fragebogen zum Nachweis der arischen Abstammung

Reisebüro „Kompass“

Auswandern ist schwieriger als es klingt

„Wollen Sie Ihre Verwandten hier haben? Brauchen Sie Hilfe, die Schwierigkeiten zu überwinden?“

New York

In einer Anzeige im „Aufbau“, die auf deutsche Einwanderer abzielte, bot das „Compass Travel Bureau“ in New York „fachmännische Beratung aller [sic] Einwanderungsangelegenheiten und die Erledigung aller Reiseformalitäten“. Wem es gelungen war, sich bis Mai 1938 noch ein wenig Optimismus zu bewahren, hätte meinen können, keine größere Anstrengung sei vonnöten. Doch die Beschaffung aller erforderlichen Dokumente konnte ein zermürbend langer Prozess sein: Juden, die verzweifelt versuchten, Deutschland zu verlassen, mussten zuerst Quotennummern und eine Unzahl von Dokumenten aus verschiedenen deutschen Behörden beschaffen und sich mit dem langsamen Postdienst abgeben, während sie versuchten, in Amerika Bürgen zu finden.

Neubeginn mit 40

Moses Wainstein überwindet die Hürden internationaler Bürokratie

Marseille

Marseille war für die Exilanten einer der wichtigsten Abfahrthäfen nach Übersee. Hier beschaffte sich Moses Wainstein die restlichen Papiere für seine Emigration nach Uruguay. Diese Bescheinigung über eine Reiseimpfung war zur Vorlage bei den dortigen Behörden in Spanisch abgefasst. Seine Habseligkeiten hatte sich der Berliner bereits durch eine deutsche Spedition nach Marseille schicken lassen. Wainstein war zu diesem Zeitpunkt 40 Jahre alt.

QUELLE

Institution:

Deutsches Historisches Museum

Original:

Impfbescheinigung, ausgestellt auf dem Dampfer „Campana“ für Moses Wainstein.

Jahreschronik 1938

Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden

Ein von National-Sozialisten beschädigtes Geschäft in Wien. United States Holocaust Memorial Museum.

Hermann Göring erlässt die „Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden“. Dernach sind alle Juden im Deutschen Reich unter Androhung von Geld-, Haft- und Zuchthausstrafen angehalten, ihr Vermögen im In- und Ausland zu melden, wenn es den Betrag von 5.000 Reichsmark übersteigt. Alf Krüger, Ministerialrat im Reichswirtschaftsministerium, nennt die Regelung den „Wegbereiter zu der völligen und endgültigen Entjudung der deutschen Wirtschaft“. Drei Tage später wird in einem Arbeitstreffen bei Göring geplant, das jüdische Vermögen so umzuwandeln, dass es “keinen wirtschaftlichen Einfluss mehr gestatte[t]“. Göring erläutert später, dass in der Besprechung im April bereits der Beschluss gefasst wurde, „die deutsche Wirtschaft zu arisieren, den Juden aus der Wirtschaft heraus und in das Schuldbuch hineinzubringen und auf die Rente zu setzen. […] Die Entschädigung wird im Schuldbuch vermerkt und zu einem bestimmten Prozentsatz verzinst. Davon hat er zu leben.“ Nach den Novemberprogromen nutzten die Nationalsozialisten die erworbenen Daten als Grundlage, um den Juden ein Viertel ihres Vermögens abzunehmen. Als nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Entschädigungsverfahren begannen, dienten die Daten dazu, die ursprünglichen Eigentümerschaften festzustellen.

 

Zur Jahreschronik 1938

Liebeskummer

Ein Freund spendet Trost angesichts der drohenden Trennung von der Geliebten

„Ich sage es ist gut, wenn man sich lange nicht sieht, erst dann kann man erkennen, wie sehr oder wie wenig Menschen sich geändert haben.“

Hamburg/Meran

1938 war Familie Hirsch aus Hamburg bereits nach Italien ausgewandert. Angesichts der instabilen Situation in Europa hatten mehrere Familienmitglieder begonnen, nach Möglichkeiten der Emigration in die Vereinigten Staaten oder nach Südamerika Ausschau zu halten. Julius Hirsch hatte Elisabeth Schiff 1935 bei einem Besuch in Belgien kennengelernt und sich in sie verliebt. Familie Schiff hatte keine Pläne, Europa zu verlassen, und als Visen für El Salvador für Julius und andere Familienangehörige beschafft worden waren, muss ihn der Gedanke der Trennung von seiner Geliebten geschmerzt haben: In diesem Brief versichert ihm ein Freund aus Hamburg, eine vorübergehende Trennung sei keine schlimme Sache. Die Vereinigten Staaten verweigerten ihm das notwendige Transit-Visum, und Julius musste in Italien zurückbleiben. Schließlich kam er in England wieder mit seiner Elisabeth zusammen.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Julius und Elisabeth Hirsch, AR 25585

Original:

Archivbox 1, Ordner 3

Ein Ort der Zuflucht wird bedroht

Das Heim des Jüdischen Frauenbundes in Neu-Isenburg

„Die Isenburger Polizei stellte uns heute das Ultimatum entweder Esther Kleinmanns Papiere ihr bis spätestens den 25. ds. vollzählig (Abmeldung und Pass) zu übergeben oder aber würde Esther Kleinmann ausgewiesen.“

Neu-Isenburg/Darmstadt

Bertha Pappenheim (1859–1936), geboren und aufgewachsen in Wien, war eine führende deutsch-jüdische Frauenrechtlerin. Besser bekannt als die Patientin „Anna O.“ aus Sigmund Freuds „Studien zur Hysterie“, siedelte sie 1880 nach Frankfurt a. M. über, wo sich der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit allmählich vom Karitativen zur sozialen Stärkung von Frauen verlagerte. 1907 richtete sie in Neu-Isenburg ein Heim für schutzbedürftige junge jüdische Frauen ein, das sie als ihre wichtigste Errungenschaft betrachtete. Unter den Nationalsozialisten musste das Heim sämtliche Bewohnerinnen polizeilich melden. In dem hier abgebildeten Brief bittet die Sekretärin des Heims Rabbiner Dr. Merzbach im Bezirksrabbinat Darmstadt, umgehend die Papiere der Heimbewohnerin Esther Kleinmann zu schicken, da diese sonst mit Ausweisung zu rechnen habe.

QUELLE

Institution:

Jüdisches Museum Berlin

Sammlung:

Sammlung Familien Katz/Rubin, Schenkung von Sally und Chaim Katz

(K)ein Halbgott in weiß

An intentional misdiagnosis remedied

„Es ist deshalb völlig unerklärlich, wieso ein früherer Untersucher in Stuttgart zur Annahme einer tuberkulösen Lungenerkrankung bei diesem kerngesunden, jungen Menschen gelangen konnte.“

Zürich

Monate nachdem er Deutschland verlassen hatte, hielt sich Herbert Friedmann (später Freeman) noch immer in Zürich auf und wartete darauf, sich endlich seiner Familie anschließen zu können, die bereits in Amerika war. Infolge einer anscheinend absichtlichen Fehldiagnose als „Tuberkuloseträger“ im US-Konsulat in Stuttgart hatte Herbert nicht mit seiner Mutter und seinem Bruder emigrieren können. Schließlich, am 2. Februar 1938, attestierte ein Zürcher Arzt dem Jungen einen „weit überdurchschnittlichen Gesundheitszustand“ und schrieb die frühere Diagnose einem Irrtum zu. Der Arzt, der dieses entscheidende medizinische Gutachten ausstellte, war Dr. Ernst Hanhart, ein Genetiker und Eugeniker, der während des Naziregimes regelmäßig in Deutschen Zeitschriften über „Rassenhygiene“ veröffentlichte und z.B. die medizinisch-genetischen Informationen lieferte, die die Zwangssterilisation Taubstummer legitimierte.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Herbert Freeman, AR 25346

Original:

Archivbox 1, Ordner 7

Willkürliche Zerreissproben

Der kleine Herbert wartet auf ein Visum

Erinnert Papa sich noch an den „Mistkäfer“ wo Herr M. sagte, dass er niemals aus Deutschland herausginge und in Deutschland eine Judenkolonie gebaut werden sollte? Scheinbar hat er sich's jetzt anders überlegt.

Zürich/New York

Herbert Freeman wurde am 13. Dezember 1925 als Herbert Friedmann in Frankfurt am Main geboren. Sein Vater Leo Friedmann wanderte als erster nach Amerika aus. Die Mutter, Herbert und sein Bruder beantragten in Stuttgart ihre Visa. Bei der obligatorischen Untersuchung wurde der kerngesunde Herbert als „Tuberkuloseträger“ diagnostiziert und durfte nicht mitkommen, als seine Mutter und seine Bruder 1936 die Reise nach Amerika antraten. Nach mehreren weiteren erfolglosen Versuchen wurde der zwölfjährige Herbert nach Zürich geschickt, um die Stuttgarter US-Botschaft zu umgehen (die Erlaubnis, den Antrag außerhalb Deutschlands zu stellen, war nicht zuletzt der Intervention Albert Einsteins zu verdanken). Den Brief schrieb er während seines Aufenthaltes in der Schweiz. Er erwähnt seinen bevorstehenden Besuch im Konsulat und die erneute Beantragung eines Visums und beschreibt die Zeit der Trennung von der Familie.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Familie Herbert Freeman, AR 25346

Original:

Archivbox 1, Ordner 4

NACH OBEN