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Einzelhachscharah in England

Die 17-jährige Marianne leidet allein in der Fremde

„Jetzt zu dem Punkt, der Dir momentan am wichtigsten ist. Papi hat Dir ja schon seine Ansicht geschrieben, es ist uns sehr darum zu tun, dass Du in England bleibst und so leid Du uns tust, dass Du Dich doch irgendwie durchfressen musst.“

Teplitz

Im Juli 1938 reiste die 17jährige Marianne Pollak ganz allein von Teplitz (Tschechoslowakei) nach England. Nicht an das dortige Klima gewöhnt, holte sich das junge Mädchen Rheuma und war rundherum in elender Verfassung. Alle paar Tage erhielt sie von ihrer Mutter fürsorgliche, liebevolle Briefe. Während Mariannes unglückliche Situation sie eindeutig bedrückte, führten ihr Frau Pollak und ihr Mann vor Augen, wie wichtig es sei, dass sie in England bleibe. Anscheinend war Marianne auf Einzelhachscharah, d.h., sie eignete sich Fähigkeiten an, die sie auf das Pionierleben in Palästina vorbereiten sollten. In Osteuropa hatte die Pionierbewegung „HeChaluz“ bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts zukünftigen Siedlern Schulungskurse angeboten. Eine deutsche Zweigstelle wurde 1923 eröffnet, aber die Bewegung gewann in Westeuropa erst während der Weltwirtschaftskrise an Boden und erlangte ihre größte Reichweite während der Jahre der Verfolgung durch die Nazis. Anstatt sich auf Lehrhöfen kollektiv vorbereiten zu lassen, konnten die jungen Leute ihre Ausbildung auch individuell bekommen, was bei Marianne der Fall gewesen zu sein scheint.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung John Peters Pinkus, AR 25520

Original:

Archivbox 2, Ordner 22

Grüße und Küsse

Eine liebe Nachricht an Oma in Breslau

„Hoffentlich sind Deine Schmerzen schon besser geworden. Viele herzliche Grüße und Küsse und einen guten שבת [Schabbes], auch an Blumenthals, Dein Enkelkind Michael“

Oldenburg/Breslau

Nach Handschrift und Stil zu urteilen, war Michael Seidemann recht klein, als er seiner Großmutter Louise Seidemann in Breslau diese Postkarte schickte. Interessanterweise war die Adresse, von der aus er schrieb, identisch mit der der Synagoge des Orts, Oldenburg. Obwohl die ersten Zeugnisse jüdischer Präsenz in Oldenburg aus dem 14. Jahrhundert stammen, sollte es bis 1855 dauern, bis die Gemeinde ihre erste zu diesem Zweck erbaute Synagoge eröffnete. Im Zuge der Emanzipation begannen Juden, zum Handel der Stadt beizutragen, indem sie unter anderem Schuhe, Bücher, Fahrräder und Musikinstrumente verkauften, aber auch als Viehhändler und in der Landwirtschaft. Ihr Anteil an der Bevölkerung ging selten über 1% hinaus. Dennoch kam es schon in den zwanziger Jahren zu Angriffen antisemitischer Schläger auf jüdische Geschäfte. 1933 hatte die Stadt 279 jüdische Einwohner aus einer Gesamtbevölkerung von 66.951. Als Michael diese Postkarte schrieb, waren von Dutzenden jüdischer Geschäfte und Betriebe nur zwei übrig geblieben.

Keine Kraft zum Schreiben

Aus Kummer fällt es einem Vater schwer, seine Tagebucheinträge weiter zu führen

“Helen ist ein großes Mädchen geworden. Es wäre in den letzten Monaten mehr denn je zum Schreiben gewesen, aber die Zeiten sind so ernst, dass die Kraft und Muße zum Schreiben fehlt.”

Hamburg

Ruth und Wilhelm Hesse, in Hamburg ansässig, hatten zwei kleine Töchter, Helen (geb. 1933) und Eva (geb. 1936). Wilhelm führte Tagebücher für beide Mädchen. Zwischen den Einträgen vom 3. Mai und vom 2. August ist eine große Lücke. Eine kurze Notiz zu Helens Geburtstag am 30. Juni scheint später hinzugefügt worden zu sein. Wie Wilhelm schreibt, machte der Ernst der Zeit das Schreiben schwer. Die fünfjährige Helen, die sich seit Mitte Mai in einem Kinderheim in Wohldorf-Duvenstedt aufhielt, beklagte sich schon, sie bekäme keine Post von ihren Eltern. Während Wilhelm im Allgemeinen mit der Entwicklung seiner Tochter zufrieden ist, vergisst er nicht zu erwähnen, dass Helen und drei ihrer kleinen Freunde eine Tracht Prügel bekommen hätten, weil sie 20 unreife Pfirsiche von einem Baum gepflückt und sie angebissen hatten. Vielleicht verschaffte die selige Unwissenheit der Kinder dessen, was sich um sie herum zusammenbraute, und ihr unschuldiges Vergehen dem jungen Vater ein minimales Gefühl der Normalität.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Helen und Eva Hesse Familie, AR 25327

Original:

Archivbox 1, Ordner 3

Die Hilfsstelle der Liga für Menschenrechte

„Diese Hunde von Hitler und Göring werden niemals gewinnen“

„Es stirbt halt nicht der jüd. Wohltätigkeitssinn aus und es wird diesen Hunden von Hitler und Göring nicht gelingen, dass die Emigranten in der Gosse krepieren.“

Brünn/Rischon LeZion

Hugo Jellinek war ein vielseitig begabter Mann. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs zwang ihn, sein Medizinstudium abzubrechen. Als Soldat wurde er in Samarkand schwer verwundet und verliebte sich in die Krankenschwester, die ihn pflegte und später seine Frau und die Mutter seiner drei Töchter wurde. Das Paar siedelte sich in Taschkent (Usbekistan) an. Nach dem Tod seiner noch jungen Frau im Jahr 1926 floh er 1930 aus der Sowjetunion und kehrte schließlich nach Wien zurück. Dort machte er sich die acht Sprachen, die er beherrschte, als Übersetzer zunutze und arbeitete als freiberuflicher Jornalist. Dank einer Warnung bezüglich seiner bevorstehenden Festnahme gelang es ihm im Juni 1938, nach Brünn zu entkommen. Seine älteste Tochter Gisella Nadja brach am selben Tag nach Palästina auf. In diesem schillernden Brief zeigt Hugo väterliche Sorge um Nadjas Wohlbefinden, diskutiert aber auch ausführlich die eigenen Nöte als Flüchtling und vergisst nicht zu berichten, dass der Sohn seines Cousins im Konzentrationslager Dachau interniert sei. Mit Genugtuung erwähnt er die Arbeit der von ihm so genannten „Liga“ (gemeint ist wohl die Hilfsstelle der Liga für Menschenrechte), die sich um die Flüchtlinge kümmerte und damit Hitlers teuflischen Plänen trotzte. Letztendlich jedoch käme es vor allem darauf an, für einen eigenen Staat zu kämpfen.

Papiere in Ordnung?

Die Unbedenklichkeitsbescheinigung eines Zehnjährigen

„Gegen die Ausreise des Hans Weichert, Gymnasiast (10 Jahre) [...] habe ich keine Bedenken.”

Wien

Juden, die sich der Schikane und physischen Gefahr unter den Nazis durch Auswanderung entziehen wollten, mussten eine große Anzahl von Dokumenten beschaffen, um sowohl die Nazi-Behörden als auch die Behörden im Zielland zu befriedigen. Um Erlaubnis zu erhalten, das Land zu verlassen, mussten die Antragsteller nachweisen, dass sie dem Reich keine Steuergelder schuldeten. Zusätzlich zu den Steuern, die allen Staatsangehörigen auferlegt waren, mussten zukünftige Auswanderer die sogenannte „Reichsfluchtsteuer“ zahlen. Das ursprüngliche Ziel dieser während der Weltwirtschaftskrise Ende der zwanziger Jahre eingeführten Steuer war, ein weiteres Ausbluten der Kassen durch Verlust von Steuereinkünften zu verhindern. Unter den Nazis jedoch war das Hauptziel, Juden zu schikanieren und auszubluten. Die Steuerbehörden der Nazis leisteten gründliche Arbeit: als Familie Weichert aus Wien, bestehend aus dem Rechtsanwalt Joachim Weichert, seiner Frau Käthe und den Kindern Hans und Lilian, sich auf das Weggehen vorbereiteten, würde selbst für den zehnjährigen Sohn eine steuerliche Unbedenklichkeitserklärung ausgestellt. Die Gültigkeitsdauer betrug einen Monat. Alle Dokumente innerhalb der Gültigkeitsdauer bereit zu haben, wenn die eigene Quotennummer an die Reihe kam, war eine weitere Herausforderung, der sich die Auswanderungswilligen stellen mussten.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Weichert Familie Sammlung, AR 25558

Original:

Archivbox 1, Ordner 2

Es wird einfacher werden

Zuspruch für eine Siebzehnjährige

„Natürlich dauert es ein bisschen, bis man miteinander warm wird, besonders, wenn man die Sprache nicht beherrscht.“

Teplitz

Frau Pollak in Teplitz (Tschechoslowakei) schwankte zwischen Erleichterung, zu wissen, dass ihre Tochter in sicherem Abstand vom Zugriff der Nazis war, und Sorge um das körperliche und seelische Wohlergehen der 17jährigen Marianne. Nach anfänglichen Plänen, mit der Jugend-Alija nach Palästina auszuwandern, war das junge Mädchen nun ganz allein in England. Die Annexion Österreichs durch Nazi-Deutschland hatte in der Tschechoslowakei die Furcht vor einem ähnlichen Schicksal erweckt, und Juden hatten doppelten Grund zur Sorge – als Tschechen und als Juden. Während die Nachrichten aus Wien und Palästina düster waren und die Tschechoslowakei einer ungewissen Zukunft entgegenging, war Frau Pollak liebevoll darum bemüht, Marianne zu versichern, dass das Leben im neuen Land leichter werden würde.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

John Peters Pinkus Familie Sammlung, AR 25520

Original:

Archivbox 2, Ordner 22

Ein 5. Geburtstag

Die kleine Helen wird ein Jahr älter

Hamburg

Wilhelm Hesse war ein liebevoller, zutiefst engagierter Vater: Seit der Geburt seiner Töchter Helen (1933) and Eva (1936) dokumentierte er die Entwicklung der Mädchen genauestens in Tagebüchern, die er für sie führte. Zusätzlich zu kleinen Texten und Gedichten, die er selbst schrieb, fügte er zahlreiche Fotos und Bezüge auf jüdische Feiertage ein. Gelegentlich wird der oft humorvolle, manchmal sogar kindliche Ton durch Material unterbrochen, das eine Ahnung von der Stimmung unter den Juden im Land vermittelt, wie z.B. ein Aufruf Leo Baecks zu jüdischer Einheit und Solidarität im Namen der Reichsvertretung der Deutschen Juden. Aber Helen und ihre Schwester Eva hatten das Glück, noch zu klein zu sein, um zu verstehen, was sich um sie herum zusammenbraute. Der 30. Juni war Helens 5. Geburtstag.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Helen und Eva Hesse Familie, AR 25327

Original:

Archivbox 1, Ordner 3

Ruhe bewahrt

Gestapo zieht unverrichteter Dinge ab

„Falls sie mich verhaften wollen, müssten sie auch meine zwei kleinen Buben, die ohne Pflege jetzt dastehen würden, mit mir mitnehmen, oder sie sollen circa 6 Wochen warten, bis meine Frau vom Krankenhaus zurück ist.“

Linz

Seit Adolph Markus am 20. April mit Verwandten in Wien die Möglichkeit der Auswanderung besprochen hatte, nahm er zwei bis dreimal wöchentlich in der Synagoge Englischunterricht. Am 29. April war sein Schwager von der Gestapo festgenommen worden, und die Spannung und Nervosität des Ehepaars Markus begann sich auf die Kinder zu übertragen. Zwei Wochen später war Frau Markus von der Gestapo bezüglich des Wertes ihres gesamten Besitzes, einschließlich eines Hauses, verhört worden. Schließlich, am 18. Juni, erschienen zwei Gestapo-Beamte in der Wohnung der Familie: Während sie den Inhalt einiger Schachteln durchgingen, versuchte einer der beiden, Adolph Markus zu inkriminieren, indem er ein kommunistisches Flugblatt zwischen seine Papiere schmuggelte. Markus brachte die Ruhe und Selbstsicherheit auf, die Beamten darauf hinzuweisen, dass er nie in irgendeiner Weise politisch aktiv gewesen sei. Sein Hinweis auf seinen Frontdienst im Ersten Weltkrieg, zusammen mit der Bemerkung dass sie, falls sie ihn festnehmen wollten, auch seine beiden kleinen Söhne würden mitnehmen müssen, da ihre Mutter im Krankenhaus sei, brachte sie von ihrem Vorhaben ab. Sie zogen ab – unter der Drohung, sechs Wochen später wieder zu kommen, falls er nicht aus eigenen Stücken das Land verließe.

Anne weiß es besser

Familie Frank feiert den 9. Geburtstag ihrer Tochter

Amsterdam

Um das zunehmend antisemitische Deutschland hinter sich zu lassen, war Familie Frank aus Frankfurt am Main kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in die Niederlande geflohen. Sie ließ sich auf dem Merwedeplein in Amsterdams Fluss-Viertel nieder, wo mehr und mehr deutschsprachige Flüchtlinge Zuflucht fanden. So groß war der Zustrom von Juden, dass manche unter den lokalen Juden besorgt waren, es würde ihren gesellschaftlichen Stand beeinträchtigen und Antisemitismus hervorrufen. Die ältere Tochter der Franks, Margot, ging auf der Jekerstraat zur Schule. Anne besuchte die 6. Montessori-Schule, die nur fünf Minuten Fußweg von der Wohnung der Familie entfernt war. Fünfzehn ihrer Klassenkameraden waren jüdisch. Sie liebte es, Geschichten zu erzählen und zu schreiben. Anne war neugierig, anspruchsvoll, interessiert und ausgesprochen wortgewandt. Wie die Mutter ihrer guten Freundin Hanneli zu sagen pflegte, “Gott weiß alles, aber Anne weiß es besser.“ 1938 beantragte Annes Vater Otto Frank Einreisevisen für die Vereinigten Staaten. Der 12. Juni 1938 war ihr 9. Geburtstag.

QUELLE

Erziehung per Briefpost

Eine Stiefmutter ermahnt ihren Sohn, in Kontakt zu bleiben

„Man hat wirklich andere Sorgen, um sich nicht auch noch den Kopf wegen Deines Nichtschreibens zerbrechen zu müssen, denn dass ich ernstlich besorgt war, ehe ich mich zu dem Anruf entschlossen habe, kannst Du mir glauben.“

Neustadt, Oberschlesien/Brünn

Hans Joseph Pinkus war ein direkter Nachfahre Samuel Fränkels, des Gründers einer Textilfabrik in Neustadt (Oberschlesien), die für einige Zeit der Hauptarbeitgeber in der Region und ein weltführender Wäschefabrikant war. Sein Großvater Max war ein persönlicher Freund und Förderer des Autoren und Nobelpreisträgers Gerhart Hauptmann gewesen. Auch sein Großonkel, der Wissenschaftler Paul Ehrlich, wurde mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Lili, Hans Josephs Stiefmutter, zeigte sich von dieser Ahnenriege kaum beeindruckt: In diesem Brief, den sie am 8. Juni 1938 schrieb, verpasst sie ihm eine ernsthafte Kopfwäsche, weil er die Korrespondenz mit den Eltern vernachlässigt hat und erkundigt sich streng, ob er in der Tschechischprüfung durchgefallen sei. Zu diesem Zeitpunkt hielt sich der 16jährige „Pipo“, wie ihn die Familie nannte, bei seiner Stiefgroßmutter in Brno (Tschechoslowakei) auf und ging dort zur Schule. Seine Eltern und Halbschwestern lebten in Neustadt: Die Direktion der Firma S. Fränkel war seit mehreren Generationen an männliche Mitglieder der Familie Pinkus weitergegeben und befand sich nun in den Händen seines Vaters Hans Hubert.

Jüdische Schulen

Ungewollter Schutzraum jüdischer Identität

„Bialik teilt in seinem Aufsatz ,Halacha und Aggada’ eine Deutung mit, die er von Achad Haam gehört hat: ,...Wer auf den Geist achtet, wird auch aus ihr [dieser Mischna] zwischen den Zeilen das Rauschen des Herzens und die zitternde Sorge um das künftige Schicksal eines Volkes heraushören, das 'auf dem Wege geht,‘ und nichts mehr von seinem Besitz in der Hand hat als ein Buch, und dessen ganzer innerer Zusammenhang mit irgendeinem seiner Aufenthaltsländer nur auf seinem Geiste beruht.‘ “

Berlin

Für viele jüdische Kinder wurde der Schulbesuch unter den Nazis zur Hölle: Schon der Schulweg konnte zu einem Spießrutenlauf unter anti-jüdischen Kränkungen werden. Ausgrenzung durch Mitschüler und Lehrer war die Regel. Um den Kindern diese Qual zu ersparen, schickten Eltern, die es sich leisten konnten, ihre Kinder auf jüdische Schulen. Bis 1933 hatten die überwiegend assimilierten deutschen Juden wenig Interesse an eigenen Schulen, aber das feindselige Klima unter dem Naziregime ließ mehr und mehr Einrichtungen dieser Art entstehen. Dr. Elieser L. Ehrmann, ein Pädagoge und Mitarbeiter in der Schulabteilung der Reichsvertretung der Juden in Deutschland, hatte seit 1936 Arbeitspläne für Lehrkräfte an jüdischen Schulen ausgearbeitet, die die Kenntnis der jüdischen Feiertage und des sie begleitenden Brauchtums vertiefen und damit eine positive jüdische Identität vermitteln sollten. Der hier gezeigte Auszug stammt aus Ehrmanns „Arbeitsplan für Omerzeit und Schawuot“, herausgegeben 1938 von der Reichsvertretung der Juden in Deutschland. In diesem Jahr fiel der erste Tag des Schawuot-Festes auf den 5. Juni.

Professionelle Unterstützung im Adoptionsverfahren

Das Zentralbüro für jüdische Pflegestellen und Adoption macht sich für die Schwächsten stark

„Eine an unserer Arbeit interessierte hiesige Familie (…) hat sich liebenswürdigerweise angeboten, Sie und das von Ihnen ausgewählte Kind für einige Zeit in ihrem Hause als Gast aufzunehmen, damit Sie Gelegenheit haben, in der freundlichen Atmosphäre eines Privathauses das Kind an sich zu gewöhnen, was sicherlich einfacher sein wird, als wenn Sie mit dem Kinde von Anfang an in einem Hotel wohnen müssen.“

WUPPERTAL-ELBERFELD/NEW YORK

Die Zentrale für jüdische Pflegestellen und Adoptionsvermittlung nahm ihr Mandat, Mütter und Kinder zu schützen, sehr ernst: Als Frances und Bernard Rosenbaum aus New York sich für ein Kind zur Adoption entschieden hatten, bekamen sie Hilfe. Die Agentur bot ihnen Unterkunft bei einer Privatfamilie an, damit die Beziehung nicht in einem Hotel beginnen müsse und es für das Kind leichter wäre, sich an seine Adoptivmutter zu gewöhnen. Das Zentralbüro für jüdische Pflegestellen und Adoption war Teil des Jüdischen Frauenbundes, der 1904 von Bertha Pappenheim gegründet worden war, um karitative Tätigkeit zu fördern und gleichzeitig jüdische Identität zu bejahen. Eine Folge dieser Initiative war die Entwicklung einer professionellen Sozialarbeit.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Frederick Rosenbaum, AR 6707

Original:

Archivbox 1, Ordner 1

Henry Kissinger wird 15

In seinem Heimatort Fürth bekommt er den Ernst der Lage zu spüren

FÜRTH

Am 27. Mai feierte der fünfzehnjährige Heinz Alfred (später Henry) Kissinger seinen Geburtstag noch einmal in seinem Geburtsort Fürth. Heinz hatte die jüdische Volksschule und ein Gymnasium in seiner Heimatstadt besucht. Seit 1933 durften jüdische Kinder nicht mehr staatliche Schulen besuchen, so dass ihm und seinem jüngeren Bruder Walter nur die Israelitische Realschule offenstand. Auch anderswo machten sich die neuen Zeiten im Leben der Kinder bemerkbar: Plötzlich durften sie bei Besuchen bei den Großeltern in Leutershausen nicht mehr mit den anderen Kindern in der Altmühl schwimmen. Auch Heinz‘ Fußballbegeisterung wurde ein Riegel vorgeschoben: Juden war es untersagt, die Spiele der Spielvereinigung Fürth zu besuchen. Obwohl sein Vater Louis von seiner Stelle als Lehrer im Lyzeum mit Inkraftreten des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums im Jahr 1933 unbefristet beurlaubt worden war und zunehmende gesellschaftliche Isolation erfuhr, war er geneigt, durchzuhalten. Es war seiner Mutter Paula (geb. Stern) zu verdanken, dass Louis Kissinger im April 1938 Pässe beantragte und im Mai die Vorbereitungen der Familie zur Auswanderung auf Hochtouren liefen. Zum Glück waren Verwandte Paulas bereits vor 1933 in die Vereinigten Staaten ausgewandert und halfen nun mit der bürokratischen Vorarbeit.

„Jumheidi, heida“

Heinz Neumann feiert seine Bar-Mizwah

„Möge Gott Euch allen Gesundheit, Zufriedenheit und wieder glücklichere Zeiten schenken.“

Berlin

Es ist schwer vorstellbar, dass am Verfassen von Heinz Neumanns Tischrede für seine Bar Mizwah-Feier am 21. Mai nicht die leitende Hand eines Erwachsenen beteiligt war: Die Art wie der Junge seine Dankbarkeit dafür ausdrückt, dass ihm seine Eltern trotz der schweren Zeiten ein sorgenfreies Leben ermöglicht haben, wirkt kaum wie der Stil eines Dreizehnjährigen. Heinz verspricht, „die sittlichen Gebote des Judentums vor Augen zu haben“ und wünscht allen Gesundheit, Zufriedenheit und glücklichere Zeiten. Glücklicher Weise hatten eine Großmutter und eine Tante zu Ehren des Bar Mitzwah als Tafellied einen fröhlichen Text zur Melodie von „Jumheidi, heida“ verfasst, um für gute Laune zu sorgen, und sicher trug auch das Festmahl, gekrönt von einer “Fürst Pückler Bombe“, zur Hebung der Stimmung bei.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung von Neumann and Jacks Familie, AR 25580

Original:

Archivbox 1, Ordner 1

Segregation der Jüngsten

Hamburger Jurist berichtet von Entwicklungsschritten seiner kleinen Tochter

„Die Zeiten sind sehr ernst geworden. Wir sind bedrückt und verzagt, und deshalb ist auch wenig Muße und Lust vorhanden, so ausführlich wie bisher zu schreiben und zu photographieren“.

Hamburg

Obwohl er erklärt, aufgrund der ernsten Lage bedrückt und daher kaum in der Stimmung zu sein, so regelmäßig wie zuvor zu schreiben und zu fotografieren, beschreibt Wilhelm Hesse, ein Hamburger Jurist, in einem Tagebucheintrag vom 3. Mai in einigem Detail die Entwicklung seiner Tochter Helen: Er berichtet von ihrer Fähigkeit, logisch zu denken und einem dermaßen starken Drang zu lernen, dass die Eltern das Gefühl haben, sie zurückhalten zu müssen. Auch erzählt Hesse mit Befriedigung von Helens Fortschritten im Kindergarten, versäumt aber nicht zu erwähnen, dass sie lernen müsse, sich besser mit ihrer kleinen Schwester Evchen zu vertragen. Seit dem Erlass der Nürnberger Gesetze 1935 – Helen war zu diesem Zeitpunkt zwei Jahre alt – durften jüdische Kinder nicht länger nicht-jüdische Kindergärten besuchen, und jüdischen Kindergärtnerinnen war es verboten, nicht-jüdische Kinder zu betreuen. Familie Hesse war religiös und hätte sich wohl auch unter normalen Umständen für eine jüdische Einrichtung entschieden.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Helen und Eva Hesse Familie, AR 25327

Original:

Archivbox 1, Ordner 3

Ein Brief von zu Hause

Mit dem Anschluss Österreichs geht eine befriedete Welt verloren

Wien/Tannwald

Für Arthur Wolf, einen glühenden österreichischen Patrioten und Veteranen des 1. Weltkriegs, bedeutete die Machtübernahme der Nazis in Österreich den Zusammenbruch seiner Welt, den Verlust von Heimat und Gleichheit und den Beginn einer Existenz als „Wandernder Jude“. Wolf war Direktor einer Textilfabrik in Tannwald (damals Tschechoslowakei). Seine in Russland geborene Frau Maria war mit dem Sohn des Paares, Erich (geb. 1923), in Österreich zurückgeblieben. Angesichts der jüngsten Ereignisse ist der Ton von Marias Brief vom 19. April bemerkenswert spielerisch: Sie schwärmt von den Gedichten des fünfzehnjährigen Erich, spricht mit warmen Worten über ihre Mutter-Sohn-Beziehung und drückt ihre Sehnsucht nach Arthur aus, während sie eine offensichtliche Bezugnahme auf das Tagesgeschehen vermeidet.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Arthur Wolf, AR 25270

Original:

Archivbox 2, Ordner 5

Entrechtung in Österreich, Freilassung in Dachau

Die Nazis in Österreich erlassen eine Flut an neuen Bestimmungen

Wien

Wenig mehr als einen Monat nach der Machtübernahme der Nazis in Österreich lässt eine Kaskade neuer Bestimmungen und Schritte, die von den neuen Machthabern eingeleitet worden sind, wenig Raum für Optimismus: Die Jewish Telegraphic Agency berichtet für den 14. April aus Wien, es sei geplant, Juden innerhalb von 50 Kilometern aus den Grenzgebieten zur Tschechoslowakei zu vertreiben, österreichische Geschäfte würden auf eigene Kosten der Obhut von Nazi-Kommissaren anvertraut (laut der JTA ist diese Bestimmung im Fall hunderter von Geschäften in jüdischem Besitz bereits in Kraft getreten) und es sei ein Gesetz zur Sicherstellung rassischer Reinheit eingeführt worden. Der eine positive Punkt in dieser umfangreichen Meldung ist die Aussicht darauf, dass alle zur Zeit in Dachau internierten Juden nicht nur freigelassen, sondern auch Einreisegenehmigungen nach Palästina erhalten sollen.

Ein besonderes Geburtstagsgeschenk

Kinder des Ahawah-Heims danken Heinrich Stahl für seinen Einsatz

Berlin

Heinrich Stahl, seit 1934 Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, war stark engagiert in der Arbeit der verschiedenen jüdischen Hilfsorganisationen, für die wachsende Nachfrage bestand, je mehr sich der Nationalsozialismus stark machte. Am 13. April 1938, seinem 70. Geburtstag, wurde ihm im Namen des Kinderheims „Ahawah“ ein Geschenk überreicht: ein Fotoalbum, das die breite Palette der Aktivitäten zeigte, denen die Schützlinge dieser außergewöhnlichen Einrichtung nachgingen (s. 17. März). Es schloss mehrere Fotos aus der neuen Niederlassung ein, die 1934 in Palästina eröffnet worden war. Die aufrichtige Wärme und Dankbarkeit, die durch die gereimte Widmung hindurchscheinen, zeigen, wie sehr sich Stahl für die Interessen der „Ahawah“ einsetzte.

Eine Retterin feiert Geburtstag

Rose Luria Halprin macht sich für deutsch-jüdische Jugendliche stark

Jerusalem/Berlin

Als führende Funktionärin in verschiedenen zionistischen Organisationen, insbesondere in der nordamerikanischen Frauenorganisation „Hadassah“ (Hadassah Women’s Zionist Organization of North America) war Rose Luria Halprin 1934 nach Palästina gezogen, wo sie als Kontaktperson zwischen der lokalen Hadassah-Zweigstelle und dem nationalen Büro in den Vereinigten Staaten fungierte. Nachdem sie sich mit Henrietta Szold angefreundet hatte, die die Jugend-Alija in Palästina leitete, begann auch Rose Halprin, sich für die Rettung deutsch-jüdischer Jugendlicher durch deren Verbringung nach Palästina zu engagieren. Gegründet wurde die Jugend-Alija durch die vorausschauende Recha Freier, die Frau eines in Berlin ansässigen Rabbiners. Das war derselbe Tag, an dem die Nazis an die Regierung gebracht wurden, der 30. Januar 1933. In den Jahren 1935 bis 1938 besuchte Rose Halprin wiederholt Berlin. Der 11. April 1938 war ihr 42. Geburtstag.

QUELLE

Institution:

American Jewish Historical Society

Sammlung:

Rose Halprin in 1934. Haddassah Archiv beim American Jewish Historical Society.

Elternfreuden

Familienleben im Schatten des Naziregimes

„Helen wächst schnell, sieht gesund und frisch aus u. ist ein hübsches Mädchen. Sie ist geistig rege u. fängt schon an zu rechnen, schreiben u. lesen.“

Hamburg

Wilhelm Hesse war der Sohn eines orthodoxen Geschäftsmanns. Er lebte in Hamburg mit seiner Frau Ruth und seinen beiden kleinen Töchtern Helen und Eva, deren erste Lebensjahre er in eigens für die Kinder angelegten Tagebüchern festhielt. Zwischen den Einträgen finden sich Hinweise auf jüdische Feiertage und Fotografien der Kinder. Im hier abgebildeten Eintrag dokumentiert er stolz und detailliert die Fortschritte seiner Tochter Helen, die zum Zeitpunkt des Eintrags noch nicht fünf Jahre alt ist. Der promovierte Jurist Hesse war bereits im April 1933 aus dem Dienst entlassen worden.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Helen und Eva Hesse Familie, AR 25327

Original:

Archivbox 1, Ordner 3

Ausgebürgert

Nach Deutschland eingebürgerte Juden verlieren ihre Staatsbürgerschaft

Worms

Seit dem Inkraftreten des Gesetzes über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft im Juli 1933 konnten Einbürgerungen, die zwischen dem Ausruf der Republik am 9. November 1918 und dem Machtantritt der Nazis am 30. Januar 1933 vollzogen worden waren, widerrufen und „Unerwünschten“ die Staatsbürgerschaft entzogen werden. Das Gesetz zielte auf politische Gegner und Juden ab: 16.000 östeuropäische Juden hatten in dem relevanten Zeitraum die deutsche Staatsbürgerschaft erworben. Unter denjenigen, deren Namen auf der Ausbürgerungsliste vom 26. März 1938 erscheinen, sind Otto Wilhelm, seine Frau Katharina und die drei Kinder des Paares, wohnhaft in Worms und allesamt in Deutschland geboren.

Soma Morgenstern

Ein Universalist lässt alles zurück und trifft im Exil auf einen alten Freund

Wien/Paris

Soma Morgenstern war promovierter Jurist, doch er zog es vor, seinen Lebensunterhalt als Schriftsteller und Journalist zu verdienen und schrieb Feulliettons über Musik und Theater. Der gebürtige Ost-Galizianer beherrschte mehrere Sprachen, darunter Ukrainisch und Jiddisch. Er schrieb in deutscher Sprache. Nach seiner Entlassung 1933 von der Frankfurter Zeitung, deren Kulturkorrespondent er gewesen war, hielt er sich mühsam mit journalistischen Gelegenheitsarbeiten über Wasser. Die Annexion Österreichs an Nazi-Deutschland machte seine Situation vollends untragbar: In die Emigration gezwungen, hinterließ er seine Ehefrau, ein Kind und zahlreiche Manuskripte. Am 23. März war er bereits im sicheren Paris, wo er mit einem weiteren berühmten galizianer Exilanten, seinem alten Freund, dem Schriftsteller Joseph Roth, im Hôtel de la Poste wohnte.

Der Name ist Programm

Das Kinderheim "Beit Ahawah" schenkt jüdischen Kindern Geborgenheit in Berlin—und darüber hinaus

Berlin

Das als übermäßig autoritär bekannte preußische Erziehungssystem hatte traditionell auf Gehorsamkeit und Pflichterfüllung abgezielt, wobei den Kindern oft frühzeitig die Flügel gebrochen wurden. Im Kinderheim „Ahawah“ (hebr. für „Liebe“) auf der Auguststraße in Berlin-Mitte herrschte ein anderer Geist: Die Kinder durften in einem „Kinderrat“ mitentscheiden, sie sollten zu Staatsbürgern, nicht zu Untertanen erzogen werden. Körperliche Bestrafung war verboten und alle Mitarbeiter waren dazu angehalten, die Atmosphäre eines echten Zuhauses zu schaffen. Beate Berger, eine Krankenschwester und Leiterin des Heims seit 1922, nahm eine Gruppe von Kindern mit sich, als sie 1934 nach Palästina emigrierte und kehrte in den folgenden Jahren oft nach Deutschland zurück, um weitere Kinder zu retten. Die Fotos zeigen kostümierte Kinder bei der Purimfeier des Heims.

Anlernwerkstatt und Auswanderungspläne

Ein Frankfurter Lehrer sucht Hilfe bei einem Kollegen

„Wir wollen drüben mit Menschen zusammen kommen, mit denen wir auch über unsere Pläne - nicht über unsere persönlichen, sondern über die jüdisch-sozialen - sprechen können. Die Situation für die jüdische Jugend wird doch von Tag zu Tag ernster, und wir halten uns für verpflichtet, alle Möglichkeiten, die wir drüben sehen, auszunutzen.“

Frankfurt am Main/Bonn

Kaum hatte er seine Karriere als Lehrer am Goethe-Gymnasium in Frankfurt am Main begonnen, verlor Hans Epstein 1933 nach der Machtergreifung seine Stelle. Nach einem kurzen Intermezzo als Lehrer am berühmten „Philanthropin“ in Frankfurt am Main, einer progressiven jüdischen Schule mit dem Wahlspruch „Für Aufklärung und Humanität“, wurde er zum Mitbegründer der „Anlernwerkstatt“, die jüdische Kinder auf die Emigration in die USA vorbereitete. Der Mathematiker Otto Toeplitz, ein passionierter Pädagoge, unterrichtete nun Kinder und organisierte die Auswanderung von Studenten in die Vereinigten Staaten. In diesem Brief bittet Epstein Toeplitz um ein Empfehlungsschreiben und um Kontakte in den USA, die seinen Bemühungen förderlich sein könnten.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Hans Epstein, AR 6362

Original:

Archivbox 1, Ordner I.13

Jungen wissen, Mädchen bemuttern

Der Preußische Landesverband Jüdischer Gemeinden schenkt geschlechtsspezifisch

„Die Schenkung erfolgt zu den gleichen Bedingungen, wie die der Barmizwah-Geschenke für Knaben: Gemeinden unter 1000 Seelen erhalten das Buch auf Anforderung kostenlos zur Verfügung gestellt“.

Berlin

Auf zahlreiche Bitten hin entschloss sich der 1921 gegründete Preußische Landesverband Jüdischer Gemeinden, parallel zu den Büchern, die an Bar Mizwa-Jungen verteilt wurden, auch Mädchen Buchgeschenke zukommen zu lassen. Das Lesematerial für Jungen zielte darauf ab, jüdisches Wissen zu vertiefen. Das Buch, das nur den Mädchen angeboten wurde, „Jüdische Mütter“ von Egon Jacobsohn und Leo Hirsch, reflektiert traditionelle Geschlechterrollen. Bereits im 19. Jahrhundert hatten reformorientierte Gemeinden in Deutschland eine kollektive Konfirmation für Mädchen und Jungen gemeinsam angeboten. Mancherorts war eine individuelle „Einsegnung“ der Mädchen üblich, aber eine moderne Bat Mizwa-Zeremonie, wie wir sie heute kennen, gab es 1938 nicht.

QUELLE

Institution:

New Synagogue Berlin – Centrum Judaicum

Sammlung:

Memorandum des Preußischen Landesverbandes Jüdischer Gemeinden an Mitgliedsgemeinden hinsichtlich der Geschenke für Mädchen anlässlich Konfirmation und Schulabschlusses sowie anlässlich der Bar Mitzvah für Jungen.

Original:

CJA, 2 A 2, Nr. 2749

„Nur keine Angst, ich werde es schon schaffen!“

Mit der Jugend-Alija treten Kinder die Reise nach Palästina an

“Joy and pain are fighting against each other, as are courage and fear, mourning and hopefulness. One cries, the other laughs. Here the pain of separation is stronger, there the self-painted picture of the future outshines all grief of separation.”

Berlin

Kaum waren die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 an die Macht gekommen, gründete Recha Freier in Berlin die „Jüdische Jugendhilfe“, die bald unter dem Namen „Jugend-Alija“ bekannt wurde. Das Ziel der Organisation war, jüdische Kinder, die die Grundschule hinter sich hatten, in Palästina in Sicherheit zu bringen. In der Jugendbeilage des „Israelitischen Familienblattes“ vom 17. Februar 1938 werden die Gefühle der Kinder beim Aufbruch nach Eretz Israel beschrieben: Nicht nur mussten sie mit dem Abschied von Eltern und Familie fertigwerden, sondern auch mit der Ungewissheit, was die Zukunft bringen würde.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

“Aufbruch der Jugend”, B1032

Original:

Jg. 4, Nr. 2

(K)ein Halbgott in weiß

An intentional misdiagnosis remedied

„Es ist deshalb völlig unerklärlich, wieso ein früherer Untersucher in Stuttgart zur Annahme einer tuberkulösen Lungenerkrankung bei diesem kerngesunden, jungen Menschen gelangen konnte.“

Zürich

Monate nachdem er Deutschland verlassen hatte, hielt sich Herbert Friedmann (später Freeman) noch immer in Zürich auf und wartete darauf, sich endlich seiner Familie anschließen zu können, die bereits in Amerika war. Infolge einer anscheinend absichtlichen Fehldiagnose als „Tuberkuloseträger“ im US-Konsulat in Stuttgart hatte Herbert nicht mit seiner Mutter und seinem Bruder emigrieren können. Schließlich, am 2. Februar 1938, attestierte ein Zürcher Arzt dem Jungen einen „weit überdurchschnittlichen Gesundheitszustand“ und schrieb die frühere Diagnose einem Irrtum zu. Der Arzt, der dieses entscheidende medizinische Gutachten ausstellte, war Dr. Ernst Hanhart, ein Genetiker und Eugeniker, der während des Naziregimes regelmäßig in Deutschen Zeitschriften über „Rassenhygiene“ veröffentlichte und z.B. die medizinisch-genetischen Informationen lieferte, die die Zwangssterilisation Taubstummer legitimierte.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Herbert Freeman, AR 25346

Original:

Archivbox 1, Ordner 7

Aus Markus wird Mischa

Der fünfzehnte Geburtstag eines deutsch-jüdischen Flüchtlingskindes in Moskau

Moskau

Markus Wolf (mitte im Bilde) wurde 1923 als Sohn des kommunistischen Arztes und Schriftstellers Friedrich Wolf (rechts) in Hechingen in der Schwäbischen Alb geboren. Nach der Machtergreifung emigrierte die Familie zunächst in die Schweiz, später nach Frankreich und 1934 in die Sowjetunion. Dort wohnte Familie Wolf im Hotel Lux, wo viele deutsche Kommunisten untergebracht waren. Während der Jahre des Großen Terrors (1936-38) folterte und verhörte das Stalin-Regime, das gegenüber den Ausländern zutiefst misstrauisch war und sie für potentielle Spione hielt, zahlreiche deutsche Kommunisten. Unter den etwa 600.000 Opfern der Säuberungsaktion waren 178 deutsche Kommunisten – überwiegend Bewohner des Hotel Lux. Familie Wolf überlebte.

Willkürliche Zerreissproben

Der kleine Herbert wartet auf ein Visum

Erinnert Papa sich noch an den „Mistkäfer“ wo Herr M. sagte, dass er niemals aus Deutschland herausginge und in Deutschland eine Judenkolonie gebaut werden sollte? Scheinbar hat er sich's jetzt anders überlegt.

Zürich/New York

Herbert Freeman wurde am 13. Dezember 1925 als Herbert Friedmann in Frankfurt am Main geboren. Sein Vater Leo Friedmann wanderte als erster nach Amerika aus. Die Mutter, Herbert und sein Bruder beantragten in Stuttgart ihre Visa. Bei der obligatorischen Untersuchung wurde der kerngesunde Herbert als „Tuberkuloseträger“ diagnostiziert und durfte nicht mitkommen, als seine Mutter und seine Bruder 1936 die Reise nach Amerika antraten. Nach mehreren weiteren erfolglosen Versuchen wurde der zwölfjährige Herbert nach Zürich geschickt, um die Stuttgarter US-Botschaft zu umgehen (die Erlaubnis, den Antrag außerhalb Deutschlands zu stellen, war nicht zuletzt der Intervention Albert Einsteins zu verdanken). Den Brief schrieb er während seines Aufenthaltes in der Schweiz. Er erwähnt seinen bevorstehenden Besuch im Konsulat und die erneute Beantragung eines Visums und beschreibt die Zeit der Trennung von der Familie.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Familie Herbert Freeman, AR 25346

Original:

Archivbox 1, Ordner 4

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