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Undankbares Vaterland

Ein ehemaliger Frontsoldat verliert sein Geschäft

Hamburg

Alle sechs Söhne des Hamburger Fabrikanten S. Anker gehörten zu den 85.000 jüdischen Soldaten, die im Ersten Weltkrieg für Deutschland in die Schlacht zogen. Unter den 12,000 jüdischen Gefallenen waren 457 Hamburger, darunter Heinrich und Richard Anker. Otto Anker, geb. 1883, überlebte schwer verwundet. Nachdem 1933 die Nazis an die Macht gewählt worden waren, verließen seine Söhne das Land und versuchten, auch ihre Eltern dazu zu bewegen. Doch als Träger des Eisernen Kreuzes und mit einer Nichtjüdin verheiratet, fühlte sich Otto Anker sicher. Die Dankbarkeit des Vaterlands hielt sich jedoch in Grenzen: 1938 wurde Ankers Betrieb „arisiert“. Dieser am 6. Dezember abgestempelte Ausweis Otto Ankers ist mit einem nicht zu übersehenden „J“ versehen.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Familie Anker, AR 5424

Original:

Archivbox 1, Ordner 1

Widerstand durch Passfälschung

Der Postausweis des Felix Perls

Berlin

Der jüdische Kaufmann Felix Perls wird 1883 in Beuthen in Oberschlesien geboren. Zum 1. April 1938 muss er aufgrund von NS-Bestimmungen seine Tätigkeit als Direktor der Oberschlesischen Holzindustrie-Aktiengesellschaft aufgeben. Zwei Monate später ziehen er und seine Frau Herta nach Berlin-Grunewald, um den Anfeindungen in Beuthen zu entgehen. Perls‘ Postausweis aus dem Jahr 1938 wurde von ihm gefälscht: Er änderte das Ausgabedatum und die Gültigkeitsdauer. Postausweiskarten wurden für den Empfang vertraulicher Postsendungen benötigt, wurden aber auch außerhalb der Post als Ausweisdokument anerkannt.

Nach sieben Tagen, Kanada

Anton Felix Perl erhält erzbischöfliche Hilfe

Stempel für zivile Begutachtung

Quebec

In den Augen der Nazis machte die Tatsache, dass die Eltern Anton Felix Perls zum Katholizismus übergetreten waren und er als Säugling getauft worden war, ihn nicht weniger jüdisch. Nach dem Besuch einer katholischen Schule in Wien, des Schottengymnasiums, studierte er Medizin und machte 1936 seinen Abschluss. Nach zwei Jahren als Assistenzarzt im Allgemeinen Krankenhaus wurde er aus „rassischen“ Gründen entlassen. In dieser spannungsreichen Situation trat Dr. Perl mit führenden katholischen Geistlichen in Kanada in Verbindung. Mit Hilfe der Erzbischöfe von Winnipeg und Regina wurde seine Einwanderung in die Wege geleitet. Nach einer sieben Tage langen Reise erreichte er Kanada und erhielt am 29. Juli 1938 den Stempel für zivile Begutachtung von den Einwanderungsbehörden in Quebec. Kanadas Einwanderungspolitik war extrem restriktiv, besonders gegenüber Menschen, die aus religiösen oder „rassischen“ Gründen verfolgt wurden. Diesmal erwies sich Dr. Perls Taufschein doch noch als hilfreich.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Perl Familie Sammlung, AR 25190

Original:

Archivox 1, Ordner 1

Besuch beim US-Konsulat

Heinz Ries kann endlich einwandern

Havanna

Nachdem sein erster offizieller Einwanderungsversuch unter abenteuerlichen Bedingungen gescheitert war, bemühte sich der zwanzigjährige Heinz Ries aus Berlin ein weiteres Mal darum, dauerhaft und rechtmäßig in den USA leben zu dürfen. Monatelang hatte er sich illegal in New York durchgeschlagen. Erst mit Hilfe einer Bürgschaft, einer erneuten Einreise über Havanna (Kuba) und wiederholter Vorsprache beim dortigen amerikanischen Konsulat, wo er am 23. Juni 1938 erstmals vorstellig wurde, gelang sein Vorhaben. Nach dem Krieg kehrte er zunächst als Mitarbeiter der Alliierten, dann als Fotoreporter der New York Times für einige Zeit nach Deutschland zurück. Aus diesen Jahren stammen die Fotos der Berliner Blockade und Luftbrücke, die ihn unter dem Namen Henry Ries weltberühmt machten.

QUELLE

Institution:

Deutsches Historisches Museum

Original:

Einwandererausweis der Vereinigten Staaten von Amerika für Heinz Ries ; Inv.No. Do2 2009/488

Die Gestapo im Haus

NS-Regime fürchtet Malerin Lea Grundig

DRESDEN

Ihre Bilder waren politische Anklagen und stellten für das NS-Regime eine Bedrohung dar: Lea Grundig, geboren 1903 als Lina Langer, Malerin und Kommunistin, wurde am 1. Juni 1938 von der Gestapo Dresden zusammen mit ihrem Mann Hans verhaftet, und das nicht zum ersten Mal. Die Begründung auf dem unscheinbaren Formularzettel lautete diesmal: „Verdacht staatsfeindlicher Betätigung“. Gemeint war damit ihre Kunst. Mit Bilderzyklen wie „Unterm Hakenkreuz“ oder „Der Jude ist schuld“ zeigte die seit 1933 mit Berufsverbot belegte Grundig eindringlich die Brutalität der Verfolgung von Juden oder Kommunisten durch die Nationalsozialisten. Einem ihrer Bilder gab sie schon 1935 den ahnungsvollen Titel „Die Gestapo im Haus“.

QUELLE

Institution:

Deutsches Historisches Museum

Original:

Aktennotiz der Staatspolizeileitstelle Dresden zur vorläufigen Festnahme von Lea Grundig; Inv.Nr. Do 62/1126.3

Pseudo-Wahlen

Österreicher stimmen ohne Juden nachträglich über den Anschluss ab

„Wer das Stimmrecht ausübt, trotzdem er vom Stimmrecht ausgeschlossen ist oder ihm bekannt ist, dass er von mindestens drei volljüdischen Großeltern abstammt, oder aber als Mischling (mindestens zwei jüdische Großeltern) mit einer jüdischen Person verheiratet ist, hat diesen Wahlausweis sofort an das Gemeindeamt zurückzusenden und von der Wahl fernzubleiben. Andernfalls setzt er sich schwerer Bestrafung aus“.

WIEN

Der Einmarsch deutscher Truppen in Österreich am 12. März war der von Kanzler Schuschnigg für den 13. März geplanten Volksabstimmung über die Vereinigung mit Deutschland zuvorgekommen. Die Nazis, nun im Besitz der Macht, verschoben die Volksabstimmung auf den 10. April in Verbindung mit den ersten gesamtdeutschen Reichstagswahlen. Katholische Bischöfe unter der Führung Erzbischof Theodor Innitzers hatten eine „feierliche Erklärung“ abgegeben, in der sie katholische Wähler aufriefen, für den „Anschluss“ zu stimmen. Laut offiziellen Angaben bestätigten nahezu 100% der Wähler, was bereits eine vollendete Tatsache war. Das hier gezeigte Dokument ist ein Wählerausweis zur ausschließlichen Benutzung des auf der Vorderseite angegebenen Empfängers. Es schließt Juden explizit von der Teilnahme aus.

QUELLE

Institution:

Jüdisches Museum Wien

Sammlung:

Wahlausweis zur Volksabstimmung am 10. April 1938 (Nr. 225)

Original:

Inv. Nr. 26028/9

Unentschieden

Hakoah Wien und jüdische Sportkultur

Wien

Das Spiel des Fußballvereins Hakoah Wien gegen den SV Straßenbahn Wien am 7. März endete mit einem 2:2. Die Mannschaft war Teil des berühmten jüdischen Sportvereins Hakoah Wien. Dieser war 1909 infolge der veränderten Einstellung innerhalb des liberalen Judentums zu Körper und Gesundheit gegründet worden. Der hier gezeigte Mitgliedsausweis gehörte einem der führenden Trainer des Vereins, dem Schwimmtrainer Zsigo Wertheimer. Wertheimer trainierte Ruth Langer, eine berühmte, damals fünfzehnjährige Schwimmerin, die es trotz ihres Erfolgs ablehnte, sich 1936 der österreichischen Olympiamannschaft anzuschließen.

QUELLE

Institution:

Jüdisches Museum Wien

Sammlung:

Mitgliedsausweis von Zsigo Wertheimer

Original:

Inv. Nr. 16776

Künstlerische Gängelung

Werner Dambitsch und sein „Excentric Jazz Orchestra"

Dieser Ausweis berechtigt zur Mitwirkung bei jüdischen Veranstaltungen. Der Inhaber ist zur Betätigung zugelassen, ohne dass der Reichsverband für eine Beschäftigung garantiert.

Breslau/ Berlin

Werner Wilhelm Dambitsch wurde am 23. Juni 1913 in Breslau (heute Wrocław, Polen) geboren. Von frühester Jugend an war Werner an Musik interessiert, aber sein erstes Instrument, ein Saxophon, musste sich der Neunzehnjährige 1932 mit selbstverdientem Geld kaufen. Gemeinsam mit vier Freunden gründete er das “Excentric [sic] Jazz Orchester”. Um auftreten zu können, musste die Combo dem “Reichsverband der jüdischen Kulturbünde in Deutschland” beitreten und wurde gezwungen, sich in “Erstes jüdisches Jazz-Orchester” umzubenennen. Während die Organisation kein geregeltes Einkommen und Beschäftigung garantierte, ermöglichte sie den Künstlern doch zumindest, bei Veranstaltungen für das jüdische Publikum aufzutreten.

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