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Familie transkontinental

Physische Ängste, wirtschaftliche Sorgen und emotionale Zwangslagen

„Nebenbei, hast Du zufällig Mutters Schmuck bei Dir? Mutter hat mich nämlich gefragt, ob ich Dir etwas davon gesagt hätte, denn ich habe ihnen geraten, ihn zu verkaufen, damit sie etwas haben, wovon sie leben können.“

Chelles/New York

Im Februar 1938 diskutieren zwei Brüder, die auf verschiedenen Kontinenten leben, Joszi Josefsberg in Europa (Chelles, Frankreich) und Arthur Josefsberg in Amerika (New York) in ihrer Korrespondenz, wie man Bürgschaften für die Eltern beschaffen könnte, um diese zu retten. Aber nicht nur die noch nicht sichergestellte Emigration der Eltern beunruhigt Joszi, den Schreiber des Briefes – auch um ihr materielles Überleben macht er sich Sorgen. Überlegungen dieser Art waren weit verbreitet unter Juden, die Eltern, Geschwister und oft auch Ehepartner zurückgelassen hatten. Während der jahrelangen Bemühungen der Nazis, Juden aus zahlreichen Berufen zu verdrängen, war es für die in Deutschland zurückgebliebenen immer schwierger geworden, ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

 

Einige Monate nach Abschluss des 1938Projekts erfuhr das LBI, dass der Brief bei der Transkription falsch datiert wurde. Obwohl der Brief später als Februar 1938 geschrieben wurde, beschloss das LBI, ihn aufgrund des wichtigen Inhalts weiterhin im Projekt unter dem bisherigen Datum zu belassen.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Korrespondenz von Arthur Josefsberg, AR 25590

Original:

Archivbox 1, Ordner 1

Aus dem Leeren schöpfen

Wie ihrer Familie in Deutschland helfen, wenn sie selbst kaum über die Runden kommt?

„Ich habe mich an eine alte Bekanntschaft erinnert und geschrieben, man hat sehr nett geantwortet und ich hoffe, dass er in den nächsten Tagen sich bei mir meldet. Ich will mal Ratschläge hören wegen der Ollen und so [...].“

Turin/Rom

In diesem kurzen, schwesterlich-saloppen Brief aus Turin an ihre Schwester Anneliese in Rom kommuniziert Elsa Riess ihre Sorgen um die Eltern, die in Deutschland zurückgeblieben sind. Elsa macht sich Gedanken wegen der beruflichen Situation des Vaters und äußert ihre Absicht, sich nach Möglichkeiten zu erkundigen, den Eltern zu helfen, von denen sie seit einiger Zeit nicht gehört hat. Anneliese war 1933 nach Rom gegangen, um Archäologie zu studieren und hatte 1936 promoviert. Aufgrund ihrer eigenen unsicheren materiellen Situation war sie nicht in der Lage, ihren Eltern finanziell unter die Arme zu greifen. Da sie als Ausländerin in Italien keine Anstellung finden konnte und in der Hoffnung, durch den Erwerb einer praktischen Fähigkeit ihre Erwerbschancen zu verbessern, belegte sie 1937 in Genf einen Kurs als Kinder- und Säuglingsschwester.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Anneliese Riess, AR 10019

Original:

Archivbox 1, Ordner 9

Jahreschronik 1938

Gesetz über die Änderung von Vor- und Familiennamen

Seite aus dem Protokollbuch der Gesellschaft der Freunde in Berlin, 1792 - 1793.

Mit dem Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen regeln die Nationalsozialisten die Änderung des Namens von deutschen Staatsangehörigen oder Staatenlosen mit Wohnsitz im Deutschen Reich. Das Gesetz ermächtigt den Reichsminister des Innern, Vorschriften über die Führung von Vornamen zu erlassen und Vornamen zu ändern, die diesen Vorschriften nicht entsprechen. Eingeschlossen sind Namen, die noch vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 geändert worden waren. Dies betrifft vor allen Dingen assimilierte Juden, die einen als typisch jüdisch geltenden Nachnamen abgelegt hatten und sich nach Ansicht der Nationalsozialisten damit tarnten. Mit dem Erlass des Gesetzes war die rechtliche Grundlage für den Plan geschaffen, alle Juden durch einen Zwangsvornamen zu kennzeichnen.

Zur Jahreschronik 1938

Atmosphäre der Ausweglosigkeit

Aus dem Tagebuch eines einstmals gefeierten Beamten des Gesundheitswesens

„Ein von Juden gegründetes Unternehmen nach dem anderen wird „arisiert“ - wie der euphemistische Ausdruck lautet; aus den anderen Betrieben werden die jüdischen Angestellten herausgedrängt und der Wohlfahrt in die Arme getrieben. Die Sperrmark steigt ins Bodenlose, damit wird die Auswanderung der wenigen Kapitalisten noch erschwert.“

Berlin

„Möge es Ihnen vergönnt sein, Ihre bewährten Kräfte noch recht lange dem Wohle und zum Nutzen der Stadt widmen zu können.“ Mit diesen Worten gratulierte der Berliner Bürgermeister, Heinrich Sahm, Prof. Erich Seligmann, dem Direktor der Wissenschaftlichen Institute im Hauptgesundheitsamt und der obersten Instanz in Fragen der öffentlichen Gesundheit, im Oktober 1932 zu seinem 25. Dienstjubiläum. Kaum ein halbes Jahr später, im März 1933, wurde Seligmann entlassen – ungeachtet seiner anerkannten wissenschaftlichen Leistungen und seiner herausragenden Kenntnisse im Bereich der Seuchenbekämpfung, die er u.a. als Stabsarzt im Ersten Weltkrieg unter Beweis gestellt hatte. In diesem Tagebucheintrag aus dem Jahr 1938 berichtet Seligmann in Zusammenhang mit einer geplanten Reise nach Rom, wo er und seine Frau Elsa ihren Sohn Rolf zu treffen hofften, Juden würden „in großem Umfang die Pässe eingezogen“ und es herrsche „eine Atmosphäre der Ausweglosigkeit“.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Erich Seligmann, AR 4104

Original:

DM 79, Tagebuch 2

Ein anzüglicher Auftritt

Deutsche Juden am Strand in Palästina

Vati zu Besuch

Essen/Palästina

Julius Ostberg war der Inhaber einer Uniform- und Mantelfabrik in Essen. Im Januar 1938 besuchte er seine Tochter Ilse in Palästina. Er dachte nicht daran, auf seinen Anzug zu verzichten, der unter deutschen Juden für Korrektheit und guten Geschmack stand und bei Juden anderer Nationalitäten Spott hervorrief. Auf diesem Strandfoto zeigt sich Herr Ostberg trotz der zwanglosen Umgebung in formeller Kleidung, bestehend aus Anzug und Krawatte.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Ilse Gamper, AR 25243

Original:

Archivbox 1, Ordner 29

Große Kleinigkeiten

Ein Brief aus dem Gefängnis

„Under the circumstances I am doing fine, and when I think that it will be already two weeks tomorrow, I can hardly believe it. One must not think and brood too much, that’s the only way to keep one’s spirit up. And that’s what I want!“

Fürth

In Vorbereitung der Auswanderung nach Amerika verkaufte Alfred Rahn im November 1937 die Familienfirma, die Eisen- und Metallhandlung M.S. Farrnbacher in Fürth – ohne Zustimmung der Nazi-Behörden. Anstatt, wie geplant, Ende Dezember in die USA aufzubrechen, musste er deshalb eine 14-monatige Gefängnisstrafe antreten. Von seiner Gefängniszelle in Fürth aus kommuniziert Alfred Rahn Dankbarkeit für empfangene Gaben und weitere Bedürfnisse an seine Frau Lilly, eine Literaturwissenschaftlerin, die 1934 als letzte jüdische Doktorandin die Universität Erlangen absolviert hatte (siehe Eintrag vom 19.2.).

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Familie Rahn, AR 25538

Original:

Archivbox 1, Ordner 10

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