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Eine Vollzeitbeschäftigung

Die aufwändigen Auswanderungs-Vorbereitungen

Basel

Hilde Lachmann-Mosse hatte in ihrem jungen Leben schon einige Umzüge hinter sich. Aufgewachsen war die 26-Jährige in Berlin. Weitere Stationen waren Woodbrooke/Grossbritannien (Schule), Freiburg (Medizin-Studium) und Basel (Promotion im Fach Medizin). Nun stand ihr ein weiterer Umzug bevor: in die Vereinigten Staaten. Die Arbeitsbescheinigung über ihre Zeit als gynaekologische Assistenzärztin in der Baseler Unversitätsklinik hatte sie bereits ins Englische übersetzen lassen – allerdings war dies nur ein Schritt von vielen. Auch wenn die eigentliche Bescheinigung nur wenige Zeilen lang ist: Allein drei Beglaubigungs-Stempel verschiedener Institutionen zeugen davon, wie viele Behördengänge für Hilde Lachmann-Mosse nötig gewesen sein müssen, um schließlich dieses Dokument in Händen halten zu können.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Mosse Familie, AR 25184

Original:

Archivbox 3, Ordner 35

Ein neuer Versuch

Eine Bürgschaft aus den USA brachte Hoffnung

„Leo Abraham, Elsa Marx Abraham und ihre beiden Kinder sollen zu keiner Zeit eine Belastung für die Vereinigten Staaten werden.“

Scranton, Pennsylvania

Eigentlich hätten Leo Abraham, seine Frau Elsa und die beiden Kinder Bertel und Hannelore schon längst in Palästina sein sollen. Denn um Auswanderungs-Unterlagen hatte sich der Familienvater aus dem rheinland-pfälzischen Altenkirchen bereits kurz nach der Machtübernahme der Nazis gekümmert. Ein Autounfall aber hatte Leo Abraham so schwer verletzt, dass eine Ausreise lange unmöglich erschien. Die Visa für Palästina verfielen. Nun startete Familie Abraham einen zweiten Versuch. Leo Abrahams Cousin David Landau war US-Bürger und stellte den Abrahams im September 1938 eine Bürgschaft aus. Als Jurist mit eigener Anwaltskanzlei in Scranton/Pennsylvania verfügte Landau über ein gutes Einkommen. Eine wichtige Voraussetzung, denn Landau musste versichern, für sämtliche finanziellen Bedürfnisse der Familie Abraham selbst aufzukommen.

Ein letztes Klassenfoto

Gisela und ihre Familie standen kurz vor der Emigration

DRESDEN

Gisela Kleinermann (obere Reihe, r.) war erst vor Kurzem 10 Jahre alt geworden. Den Arm um ihre Mitschülerin gelegt, blickt sie mit einem leichten Lächeln in die Kamera. Zu diesem Zeitpunkt mag sie bereits gewusst haben, dass sie nicht mehr lange Teil dieser Klasse der Jüdischen Schule in Dresden sein würde: Bereits im Spätsommer 1938 bereitete ihre Mutter Erna die Emigration der Familie Kleinermann in die Vereinigten Staaten vor. Schrittweise hatten die Nazis in den vergangenen Jahren eine „Rassentrennung“ in öffentlichen Schulen forciert. In vielen jüdischen Großgemeinden – so auch in Dresden – waren daraufhin neue jüdische Schulen gegründet worden.

Hauptsache raus

Wachsende Demoralisierung der Juden drängt sie aus dem Land

„Der Arisierungsprozess geht unaufhaltsam weiter, da gibt es kein Halten mehr. Ob noch einmal die Wunder des Alten Testaments kommen werden? Wie war es doch so schön zu dieser Zeit! Der Durchzug durch das Rote Meer .....! Heuschreckenplage .....! Sterben der Erstgeborenen .....! usw. - aber wir liegen heute in der verkehrten Zone, und das Alte Testament darf nicht mehr gelesen werden.“

BONN/NEW YORK

In diesem Brief an seine Freunde Betty und Morris Moser in New York, geschrieben am 31. August 1938, nahm der Bonner Ludwig Gottschalk kein Blatt vor den Mund: Inzwischen seien die Juden in Deutschland dermaßen demoralisiert und lebten in einem so beständigen Zustand der Angst, dass der Wunsch, das Land zu verlassen, allgegenwärtig sei, egal, was „draußen“ zu erwarten sei. Seinen Informationen zufolge sei das US-Konsulat in Stuttgart durch die Vielzahl der Einwanderungsanträge derartig überlastet, dass neue Bürgschaften zur Zeit gar nicht bearbeitet würden. Die Gottschalks hatten bereits eine Nummer auf der Warteliste und rechneten damit, relativ bald emigrieren zu können. In der Zwischenzeit lernten sie Englisch. Ludwig spielte auf die Veränderungen, die sich seit der Abreise der Freunde in Deutschland ereignet hatte, an, indem er sie „Israel“ und „Sara“ nannte: Am 17. August war ein Erlass ergangen, der die Juden zwang, ihrem Vornamen je nach Geschlecht einen dieser Namen hinzuzufügen und damit ihre jüdische Identität unübersehbar zu machen.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Betty und Morris Moser, AR 25497

Original:

Archivbox 1, Ordner 3

Kontakte sind Geld wert

Agnes Graetz nutzt ihr Netzwerk, um ihrer Tochter die Auswanderung in die USA zu ermoeglichen

„Ich bitte Sie, mir, wenn irgend möglich in Kürze zu schreiben, ob Sie eine Möglichkeit sehen, die nicht - wie das jetzt üblich zu sein scheint - unwahrscheinlich hohe Garantien und Rechtsanwaltskosten erfordert.“

Luzern

Eine Krankheit auf Reisen zwang Wilhelm Graetz 1938, seinen Aufenthalt in der Schweiz auszudehnen. Angesichts der sich zuspitzenden Situation entschloss er sich, sein Zuhause in Berlin aufzugeben. Das vormals gut situierte Ehepaar konnte seinen vier erwachsenen Kindern finanziell nicht unter die Arme greifen, hatte aber den Vorteil weit verzweigter Kontakte: Wilhelm Graetz war Mitglied des Vorstands der Jüdischen Gemeinde zu Berlin gewesen und kannte als Leiter des deutschen „ORT“ vielerorts potentielle Helfer. Im August führte ihn eine Reise nach Ungarn. Am 27. nutzte seine Frau Agnes die Zeit, bei dem bekannten Territorialisten und „ORT“-Führer David Lvovicz um Hilfe für eine ihrer drei Töchter zu bitten, die dringend eine Bürgschaft brauchte, um nach Amerika auswandern zu können.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung William Graetz, AR 4121

Original:

Archivbox 1, Ordner 3

Neues von den Kleinman(n)s

Kurt in der Schweiz, Schwester und Schwager mögen folgen

„Mein jüdischer Name ist Elke, und da ich Jiddisch spreche und Du Deutsch, sollten wir einander sehr gut verstehen können.“

NEW YORK/BASEL

Der Wiener Kurt Kleinmann und die New Yorkerin Helen Kleinman waren einander nie persönlich begegnet. Nachdem Kurt die kreative Idee hatte, eine Familie ähnlichen Namens in New York zu kontaktieren, in der Hoffnung, die amerikanischen Namensvettern wären vielleicht bereit, ihm bei der Beschaffung einer Bürgschaft behilflich zu sein, entwickelte sich eine zunehmend intensive Korrespondenz zwischen dem jungen Mann und der Tochter der Kleinmans. Helen nahm die Angelegenheit entschlossen in die Hand: Drei Monate nach Kurts erster Kontaktaufnahme mit den Kleinmans, als Helen diesen Brief schrieb, war nicht nur Kurts Auswanderung in Bearbeitung. Sie hatte auch eine Tante aktiviert, für seinen Cousin eine Bürgschaft zu übernehmen, mit dem ihm in der Zwischenzeit die Flucht in die Schweiz gelungen war. Außerdem bestand Hoffnung, dass eine andere Tante dasselbe für Kurts Schwester und Schwager tun würde, die noch in Wien festsaßen.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Kurt und Helen Klenmann, AR 10738

Original:

Archivbox 1, Ordner 2

Zugzwang

Joachim Weinert erlebt Drängen und Warten im Kampf mit der Bürokratie

„Ich behalte mir strafrechtliche Maßnahmen gemäß § 33 Dev.V.O. vor und setze ihnen zur Erledigung eine Frist von 3 Tagen.“

WIEN

Innerhalb der ersten Monate nach der Annexion Österreichs durch die Nazis hatte Dr. Joachim Weichert, ein in der Tschechoslowakei geborener Rechtsanwalt, den größten Teil seiner Klienten verloren. Er hatte keine Wahl, als mit der Zusammenstellung der für die Emigration notwendigen Dokumente zu beginnen. Im Juni wurde die Familie vom Generalkonsulat der Vereinigten Staaten benachrichtigt, gültige Bürgschaften und andere Dokumente für sie seien für sie aus Amerika eingetroffen. Da jedoch die tschechische Quote für den Augenblick erschöpft war, wurden sie auf eine Warteliste gesetzt. Außerdem wurde ihnen Mitteilung gemacht, dass innerhalb der nächsten acht Monate nicht mit dem Erhalt der Visen zu rechnen sei. Am 22. August war es fast zwei Wochen her, dass Dr. Weichert von der Devisenstelle in Wien aufgefordert worden war, innerhalb einer Woche eine detaillierte Liste seines Besitzes aufzustellen. In dieser offiziellen Mitteilung vom 22. August wird ihm ein Ultimatum von drei Tagen gestellt, nach dessen Ablauf er mit strafrechtlichen Massnahmen rechnen müsse.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Weichert Familie, AR 25558

Original:

Archivbox 1, Ordner 1

Fragebogen

Antisemitismus im sächsischen Merseburg treibt Bernhard Taitza ins Ausland

„Mittel für den Existenzaufbau unter der Voraussetzung, dass die Mitnahme bewilligt wird; Mittel für Reisespesen: ‘Keine. RM 8000.- in Deutschland beschlagnahmt, um deren Freigabe ich mich bemühe. Andernfalls stellen die Verwandten in Amerika genügend Existenzmittel zur Verfügung.’”

Prag

Die unbedeutende Anzahl von Juden im sächsischen Merseburg (50 Personen bei einer Gesamtbevölkerung von 31.576 im Jahr 1933) brachte die Nationalsozialisten vor Ort nicht davon ab, sie in Angst und Schrecken zu versetzen: Bereits 1934 berichtete Bernhard Taitza, ein Kaufmann, von der Qual jüdischer Einwohner, an deren Wohnungen Nazi-Formationen vorbeimarschierten und antisemitische Lieder sangen. Schließlich wurde die Situation so unerträglich, dass er 1938 Deutschland verließ und nach Prag ging. Tage später, am 18. August, reichte er diesen Fragebogen bei der HICEM ein, einer Organisation, die 1927 durch einen Zusammenschluss der Hebrew Immigrant Aid Society (HIAS), der Jewish Colonization Association und Emigdirect, einer weiteren jüdischen Migrationsorganisation, entstanden war. Glücklicherweise hatte Taitza zwei Kinder in Amerika und war bereits mit einer Bürgschaft ausgestattet, so dass er sich nicht allzu sehr sorgen musste, ob er das Geld, das die Nazis konfisziert hatten, je wiederbekommen würde.

QUELLE

Institution:

New Synagogue Berlin – Centrum Judaicum

Original:

Bernhard Taitza, früher Merseburg, trifft in der CSR ein.

Selbst ist die Frau

Eine unabhängige Unternehmerin muss um Hilfe bitten

„Ich glaube, ich schreibe an die Kinder von Emanuel und Victoria Magen, und ich flehe Euch an, uns zu helfen, nach Amerika zu kommen.“ ”

Berlin

Die Berlinerin Gusty Bendheim hatte den amerikanischen Zweig ihrer Familie nie kennengelernt. 42 Jahre alt und geschieden, hatte sie keine andere Wahl, als sich an ihre Verwandten in Übersee zu wenden. Sie bat die quasi Fremden um Hilfe, ihr und ihren Kindern Ralph (13) und Margot (17) die Auswanderung zu ermöglichen. Gusty war ein unternehmerischer Typ: Zum Zeitpunkt ihrer Heirat mit Arthur Bendheim, einem Kaufmann aus Frankfurt am Main, hatte sie bereits das dritte Knopfgeschäft gegründet. Nach der Hochzeit übernahm Arthur die Geschäftsleitung, und Gusty wurde zur Hausfrau. Trotz der zunehmend besorgniserregenden anti-jüdischen Maßnahmen des Naziregimes war Arthur nicht gewillt, das Land zu verlassen. Nach der Scheidung des Paares 1937 nahm Gusty die Dinge selbst in die Hand: In diesem Brief vom 14. August 1938 an ihre unbekannten Verwandten ergänzt sie ihre Bitte um Hilfe durch die Versicherung, ihr geschiedener Mann sei bereit, die Reisekosten für sie und die Kinder in die Vereinigten Staaten zu übernehmen.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Margot Friedlander, AR 11397

Original:

Archivbox 1, Ordner 1

Nichts Nachteiliges bekannt

Seelsorgestelle bescheinigt Edmund Wachs' Unbedenklichkeit

„Von der gefertigten Seelsorge wird hiermit bestätigt, dass gegen Herrn Edmund Wachs hieramts nichts Nachteiliges bekannt ist.“

Wien

Dieses Zeugnis, ausgestellt vom Rabbinat der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien, war nur eines unter einer Vielzahl von Dokumenten, die Edmund Wachs zusammengestellt hatte, um seine Auswanderung in die Vereinigten Staaten zu ermöglichen. Kurz nach dem „Anschluss“ war Wachs in „Schutzhaft“ genommen worden, ein Mittel, das den Nazis durch die „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“, auch als „Reichstagsbrandverordnung“ bekannt, in die Hand gegeben worden war: Der Reichstagsbrand am 27. Februar 1933, ein Brandanschlag auf das Parlamentsgebäude in Berlin, hatte als Anlass und Rechtfertigung für das Gesetz gedient. Es wurde bereits am darauffolgenden Tag erlassen und legalisierte die willkürliche Festnahme jeder Person, die der mangelnden Loyalität gegenüber dem Regime verdächtigt wurde. Das Gesetz legte den exakten Tatbestand nicht fest und kam weithin gegen Juden und politische Gegner zur Anwendung.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Edmund und Berta Wachs, AR 25093

Original:

Archivbox 1, Ordner 2

Fluchtplanung mit touristischem Abstecher

Ein Reisebüro aus New York hilft Ursula Meseritz bei ihrer Reise in die USA

„Im Anschluss an ihren heutigen Besuch in unserem Bureau gestatten wir uns, Ihnen nachstehend Reiseplan und Abrechnung zu übersenden.“

New York

Als einziges Mitglied ihrer Familie hatte die 18jährige Ursula Meseritz Deutschland im Juli verlassen und sich auf der R.N.S. „Britannic“ von Le Havre aus nach New York eingeschifft. Adolf Floersheim, ein ehemaliger Nachbar, der seit 1937 in den Vereinigten Staaten ansässig war, hatte die Bürgschaft übernommen. Ihre Eltern, Olga und Fritz Meseritz, die die Ausreise in die Wege geleitet hatten, blieben in Hamburg zurück. Ein offenbar von deutsch-jüdischen Einwanderern geführtes Reisebüro, Plaut Travel auf der Madison Avenue in New York, hatte die Route für Ursulas Weiterreise an die Westküste – mit einem touristischen Abstecher in die Hauptstadt – ausgearbeitet und am 8. August an sie abgeschickt.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Ursula Meseritz Elgart Familie, AR 25544

Original:

Archivbox 1, Ordner 14

Wir sehen uns in Genf

Mit neuen Rassengesetzen ist Rom keine Option mehr für Anneliese

„Bitte schreib mir nur nach Genf, wann wir uns sehen können. Ich freue mich schon sehr auf unser Wiedersehen.“

Biel/Villars-sur-Ollon

Bis 1933 spielte ihre jüdische Identität kaum eine Rolle im Leben von Anneliese Riess, einer vollkommen säkularen Studentin der klassischen Archäologie. Sobald jedoch die Nazis an die Macht kamen, war ihr klar, dass sie als Jüdin in Deutschland keine Zukunft hatte. Sie entschloss sich, nach Italien auszuwandern, wo sie promovierte (Rom, 1936). Da die Chancen, in Italien in ihrem Bereich Arbeit zu finden, äußerst gering waren, belegte die junge Frau 1937 einen anspruchsvollen Kurs für Kinderpflegerinnen in Genf. Nach einer Operation im Juni 1938 verbrachte sie mehrere Monate in Villars-sur-Ollon. Im Juli wurde in Italien das Generaldirektorium für Demographie und Rasse eingerichtet, das damit beauftragt war, die Rassengesetze des Landes zu formulieren. Somit fiel Rom als möglicher Zufluchtsort weg. Im selben Monat war der Vater in Amerika angekommen und bemühte sich nun, auch ihr die Einwanderung zu ermöglichen. Diese Postkarte, datiert vom 7. August und an Anneliese in Villars adressiert, war erfrischend frei von jedem Bezug auf die prekären Entwicklungen in Europa und verschaffte ihr die willkommene Aussicht auf ein Wiedersehen mit einem Freund inmitten aller Unsicherheit.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Anneliese Riess, AR 10019

Original:

Archivbox 1, Ordner 9

Wartenummer

Helina Mayer ist auf Platz 9443 der Warteliste für einen Termin im US-amerikanischen Konsulat

„Sie sind unter der Nummer 9443 in der Warteliste der Visumantragsteller [sic] eingetragen und sollten jede Adresseänderung [sic] prompt mitteilen.“

Stuttgart

Juden waren bei Weitem nicht die einzigen „Unerwünschten“, die mit dem US-Einwanderungsgesetz von 1924 aus dem Land ferngehalten werden sollten. Zum Zeitpunkt der Einführung des Gesetzes waren bereits seit einem halben Jahrhundert Bemühungen im Gang, gewisse Nationalitäten auszuschließen, besonders Chinesen, Japaner und andere Asiaten. Anfang der zwanziger Jahre wurde ein Quotensystem eingeführt, das Einwanderer aus Nordeuropa begünstigte. Trotz der schweren Flüchtlingskrise, die durch die Verfolgung der Juden durch Nazi-Deutschland ausgelöst wurde, erfuhr das System in den dreißiger Jahren keine Anpassung an die dramatischen Umstände. Selbst für Angehörige der bevorzugten Ursprungsländer war die Erfüllung aller bürokratischen Voraussetzungen höchst beschwerlich, und das Warten konnte demoralisierend sein. Wie durch diese vom Generalkonsulat der Vereinigten Staaten in Stuttgart an Helina Mayer aus Mainz ausgestellte Karte dokumentiert, konnten die Antragsteller erwarten, gemäß ihrer Wartenummer zu einer Untersuchung vorgeladen zu werden, gesetzt den Fall, sie hatten „zufriedenstellende Beweise“ vorgelegt, dass ihr Lebensunterhalt in den Vereinigten Staaten gesichert sei.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Joan Salomon Familie, AR 25380

Original:

Archivbox 1, Ordner 5

Nach sieben Tagen, Kanada

Anton Felix Perl erhält erzbischöfliche Hilfe

Stempel für zivile Begutachtung

Quebec

In den Augen der Nazis machte die Tatsache, dass die Eltern Anton Felix Perls zum Katholizismus übergetreten waren und er als Säugling getauft worden war, ihn nicht weniger jüdisch. Nach dem Besuch einer katholischen Schule in Wien, des Schottengymnasiums, studierte er Medizin und machte 1936 seinen Abschluss. Nach zwei Jahren als Assistenzarzt im Allgemeinen Krankenhaus wurde er aus „rassischen“ Gründen entlassen. In dieser spannungsreichen Situation trat Dr. Perl mit führenden katholischen Geistlichen in Kanada in Verbindung. Mit Hilfe der Erzbischöfe von Winnipeg und Regina wurde seine Einwanderung in die Wege geleitet. Nach einer sieben Tage langen Reise erreichte er Kanada und erhielt am 29. Juli 1938 den Stempel für zivile Begutachtung von den Einwanderungsbehörden in Quebec. Kanadas Einwanderungspolitik war extrem restriktiv, besonders gegenüber Menschen, die aus religiösen oder „rassischen“ Gründen verfolgt wurden. Diesmal erwies sich Dr. Perls Taufschein doch noch als hilfreich.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Perl Familie Sammlung, AR 25190

Original:

Archivox 1, Ordner 1

Brot für Fremde

Ein Geschäftsmann vom Rhein sieht die USA als Ort der Großzügigkeit

„Unsere Hauptsorge bleibt der Hausverkauf, das Geschäft können wir zweimal verkaufen, oder auch auflösen. Darüber brauchen wir uns also weniger Gedanken zu machen.“

Neuwied am Rhein/New York

Ohne viel Drama schildert der Kaufmann Isidor Nassauer, wohnhaft in Neuwied am Rhein, der befreundeten Familie Moser, die bereits in Amerika ist, seine Situation: Unaufgefordert hat ihm sein Schwager eine Bürgschaft geschickt, die wegen einer fehlenden Unterschrift nicht verwendbar war und zurückgeschickt werden musste. Während er auf das unterschriebene Dokument wartet, nimmt er Englischstunden. Obwohl er keine Ahnung hat, wovon er in Amerika leben soll, erfüllt ihn die Tatsache, dass dort schon „so viel Brot für Fremde gebacken“ wurde, mit Zuversicht. Ein Grund zur Sorge ist für ihn jedoch der Verkauf des Hauses, während es leicht zu sein scheint, das Geschäft (eine Bürstenfabrik) zu verkaufen oder zu liquidieren. In der Regel waren Juden gezwungen, ihren Besitz weit unter Wert zu verkaufen.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Betty and Morris Moser Sammlung, AR 25497

Original:

Archivbox 1, Ordner 2

Nichts geht mehr

Visa-Stopp am US-amerikanischen Konsulat in Berlin

Berlin

Am 19. Juli berichtet die Jewish Telegraphic Agency, dass das US-amerikanische Generalkonsulat in Berlin einen Annahmestopp für neue Visaanträge verhängt hat. Nach Angaben des Konsulats hatten sich zuletzt etwa 2000 Personen pro Monat für Visa beworben. Aufgrund der wachsenden Nachfrage entschloss sich das Konsulat nun dazu, zunächst die bereits anhängigen Anträge abzuarbeiten. Zwar gibt es eine Warteliste für neue Bewerber, die oft mühsam beschafften Bürgschaften und andere Dokumente, die sie sich bereits besorgt hatten, werden allerdings nicht mehr angenommen. All dies bedeutet, dass Juden, die ihre Ausreise aus Deutschland oder dem annektierten Österreich planen, in 1938 keine Chance mehr haben, sich um ein Visum zu bewerben. Es kann angenommen werden, dass die 60.000 bis 70.000 Bewerbungen, die am 19. Juli im Konsulat darauf warten, bearbeitet und beschieden zu werden, die jährliche Quote der USA von 27.370 Visas für Bewerber aus dem Deutschen Reich bereits bei Weitem überstieg.

Eine unangemessene Unterstellung

Ein US-Amerikaner warnt seinen Cousin, Amerika sei kein Ort zum Faulenzen

„Ich möchte nicht, dass Du in die Irre geleitet wirst und hinterher bereust, also teile ich Dir im voraus mit, dass Du ehrgeizig arbeiten musst, um voranzukommen. Wenn Du irgendwelche Illusionen hast, Deutschland zu verlassen, um der Arbeit zu entgehen und Dir ein leichtes Leben zu machen, begehst Du einen schweren Fehler.“

New York/Wien

Im Mai 1938 hatte Betty Blum ihren Neffen Stanley Frankfurt in New York kontaktiert: Ihr Sohn Bruno habe seine Anstellung in Wien verloren und es sei unwahrscheinlich, dass er eine andere Beschäftigung finden würde. Über die Situation der österreichischen Juden im allgemeinen seit der Annexion des Landes durch Nazi-Deutschland breitete sie sich nicht weiter aus, fragte aber, ob Stanley etwas für Bruno tun könnte. Als Bruno Stanleys Brief vom 16. Juli bekam, muss er gleichzeitig erleichtert und betreten gewesen sein: während sein Cousin ihm versicherte, er sei für ihn tätig gewesen und habe die erforderliche bürokratische Vorarbeit für seine Einwanderung in die Vereinigten Staaten geleistet, hielt er es für notwendig, ihn darauf hinzuweisen, dass er im Irrtum sei, falls er vorhabe, nach Amerika zu kommen um „sich ein leichtes Leben zu machen“. War Stanley tatsächlich so wenig informiert über das Schicksal der österreichischen Judenheit unter den neuen Machthabern? Es kann angenommen werden, dass seine aufrichtigen Bemühungen um seinen österreichischen Cousin die Verblüffung, die er mit dieser unangemessenen Unterstellung hervorgerufen haben muss, ausgeglichen haben.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Blum Familie Sammlung, AR 25132

Original:

Archivbox 1, Ordner 5

Aus dem „Roten Wien“ vertrieben

Die Nutzung öffentlichen Wohnungsbaus verwehrt, wird auch die Einreise in die Schweiz nicht gestattet

„Indem wir uns auf Ihre Eingabe vom 10. Juni 1938 berufen, müssen wir Ihnen leider mitteilen, dass Ihrem Gesuche um Bewilligung der Einreise in die Schweiz zur Zeit nicht entsprochen werden kann.“

Bern/Wien

Für einen eingefleischten Sozialdemokraten wie den Journalisten, Übersetzer und Schriftsteller Maurus (Moritz) Mezei, müssen die Veränderungen, die unmittelbar nach der ungehinderten Annexion des Landes durch Nazi-Deutschland in Österreich Platz griffen, doppelt problematisch gewesen sein. Während der Ära des „Roten Wien“, der ersten Zeit demokratischer Regierung der Stadt von 1918 bis 1934, war Familie Mezei in den Karl-Marx-Hof, einen Gemeindebau (Komplex von Sozialwohnungen) gezogen. Von 1938 an waren „nicht-arische“ Familien wie die Mezeis mit der Ausweisung aus dem Komplex bedroht. Während nach dem Regierungswechsel anfänglich der Mieterschutz auch für Juden in Kraft blieb, galt er nicht für Gemeindebauten. Am 10. Juni hatte Mezei die Einwanderung in die Schweiz beantragt, doch die Antwort, geschrieben am 14. Juli, fiel negativ aus: Nur wenn er ein Einreisevisum für ein überseeisches Land beschaffe, würden die Schweizer Einwanderungsbehörden seinen Fall erneut überprüfen und ihm möglicherweise vorläufiges Asyl gewähren.

QUELLE

Institution:

Jüdisches Museum Wien

Original:

Brief der Eidgenössischen Fremdenpolizei an Maurus Mezei ; Inv. Nr. 20991/ 26

Wahlverwandschaft

Gemeinsamer Nachname gibt Mut zum Risiko

„Bevor ich weiter ausführe, möchte ich ausdrücklich sagen, dass meine Familie Ihre Ankunft in New York kaum erwarten kann.“

NEW YORK/WIEN

Als der 28-jährige Wiener Kurt Kleinmann an Familie Kleinman in Amerika schrieb, hätte er nicht auf eine freundlichere, überschwänglichere Antwort hoffen können als die von der 25-jährigen Helen. Nachdem er die Adresse einer Familie Kleinman in den USA gefunden hatte, bat Kurt die völlig Fremden in einem Brief vom 25. Mai, ihm durch Übernahme einer Bürgschaft zu helfen, Österreich zu verlassen. Er hatte in Wien ein Jura-Studium absolviert und führte nun die väterliche Weinhandlung. Helen übernahm bereitwillig die Theorie, dass die Kleinmanns und die Kleinmans tatsächlich miteinander verwandt sein könnten und versprach ihrem „Cousin“, ihm innerhalb einer Woche eine Bürgschaft zu beschaffen. Liebenswürdig und lebhaft versicherte sie ihm, die Kleinmans würden mit ihm korrespondieren, um ihm die Zeit bis zur Abreise kürzer erscheinen zu lassen.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Kurt und Helen Kleinman Sammlung, AR 10738

Original:

Archivbox 1, Ordner 2

Papiere in Ordnung?

Die Unbedenklichkeitsbescheinigung eines Zehnjährigen

„Gegen die Ausreise des Hans Weichert, Gymnasiast (10 Jahre) [...] habe ich keine Bedenken.”

Wien

Juden, die sich der Schikane und physischen Gefahr unter den Nazis durch Auswanderung entziehen wollten, mussten eine große Anzahl von Dokumenten beschaffen, um sowohl die Nazi-Behörden als auch die Behörden im Zielland zu befriedigen. Um Erlaubnis zu erhalten, das Land zu verlassen, mussten die Antragsteller nachweisen, dass sie dem Reich keine Steuergelder schuldeten. Zusätzlich zu den Steuern, die allen Staatsangehörigen auferlegt waren, mussten zukünftige Auswanderer die sogenannte „Reichsfluchtsteuer“ zahlen. Das ursprüngliche Ziel dieser während der Weltwirtschaftskrise Ende der zwanziger Jahre eingeführten Steuer war, ein weiteres Ausbluten der Kassen durch Verlust von Steuereinkünften zu verhindern. Unter den Nazis jedoch war das Hauptziel, Juden zu schikanieren und auszubluten. Die Steuerbehörden der Nazis leisteten gründliche Arbeit: als Familie Weichert aus Wien, bestehend aus dem Rechtsanwalt Joachim Weichert, seiner Frau Käthe und den Kindern Hans und Lilian, sich auf das Weggehen vorbereiteten, würde selbst für den zehnjährigen Sohn eine steuerliche Unbedenklichkeitserklärung ausgestellt. Die Gültigkeitsdauer betrug einen Monat. Alle Dokumente innerhalb der Gültigkeitsdauer bereit zu haben, wenn die eigene Quotennummer an die Reihe kam, war eine weitere Herausforderung, der sich die Auswanderungswilligen stellen mussten.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Weichert Familie Sammlung, AR 25558

Original:

Archivbox 1, Ordner 2

Richtungswechsel

Der „Hilfsverein der Juden in Deutschland“ unterstützt jüdische Aus- anstatt Einwanderer

Berlin

Der 1901 in Berlin gegründete „Hilfsverein der deutschen Juden“ unterstützte vor allem jüdische Einwanderer nach Deutschland. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten kümmerte sich der nun zwangsweise umbenannte „Hilfsverein der Juden in Deutschland“ umgekehrt um die Vorbereitung und Umsetzung der Emigration aus Deutschland. Dazu bot er Hilfe bei Behördenfragen, Passangelegenheiten oder beruflicher Umschulung an und gewährte auch finanzielle Unterstützung. Ein wichtiges Organ für seine Arbeit war das Periodikum „Jüdische Auswanderung“, das über allgemeine Lebens- und Arbeitsbedingungen, aber auch über spezifische Fragen jüdischer Kultur in verschiedenen Ländern informierte. Im Juli-Heft von 1938 wurden die USA, Kuba und die Philippinen vorgestellt.

QUELLE

Institution:

Deutsches Historisches Museum

Original:

Informationsheft „Jüdische Auswanderung“. Korrespondenzblatt für Auswanderungs- und Siedlungsfragen ; Inv. Nr: Do2 91/194

Besuch beim US-Konsulat

Heinz Ries kann endlich einwandern

Havanna

Nachdem sein erster offizieller Einwanderungsversuch unter abenteuerlichen Bedingungen gescheitert war, bemühte sich der zwanzigjährige Heinz Ries aus Berlin ein weiteres Mal darum, dauerhaft und rechtmäßig in den USA leben zu dürfen. Monatelang hatte er sich illegal in New York durchgeschlagen. Erst mit Hilfe einer Bürgschaft, einer erneuten Einreise über Havanna (Kuba) und wiederholter Vorsprache beim dortigen amerikanischen Konsulat, wo er am 23. Juni 1938 erstmals vorstellig wurde, gelang sein Vorhaben. Nach dem Krieg kehrte er zunächst als Mitarbeiter der Alliierten, dann als Fotoreporter der New York Times für einige Zeit nach Deutschland zurück. Aus diesen Jahren stammen die Fotos der Berliner Blockade und Luftbrücke, die ihn unter dem Namen Henry Ries weltberühmt machten.

QUELLE

Institution:

Deutsches Historisches Museum

Original:

Einwandererausweis der Vereinigten Staaten von Amerika für Heinz Ries ; Inv.No. Do2 2009/488

Ein Strohhalm

Gelingt eine Bürgschaft trotz dünnem Kontakts?

„Es ist sehr schwierig, Ihnen zu schreiben, denn ich bin sicher, Sie haben keine Ahnung, wer ich bin.“

Wien

Erika Langstein war eine junge Englischlehrerin und lebte in Wien. Im Juni 1938, nachdem sie bereits einige Monate lang die Verfolgung der Juden in der österreichischen Hauptstadt persönlich miterlebt hatte, schickte Erika einen Brief an Donald Biever, einen amerikanischen Staatsbürger, und flehte ihn an, ihr und ihrem jüdischen Vater zu helfen, aus Österreich zu entkommen, indem er eine Bürgschaft übernahm. Nichts daran wäre ungewöhnlich, wäre da nicht der Umstand, dass die junge Frau Mister Biever nur ein einziges Mal begegnet war, kurz, auf einer Bahnfahrt ein Jahr zuvor, und seither nicht mit ihm kommuniziert hatte. Ohne sich durch den Mangel an Kontakt von ihrem Vorhaben abbringen zu lassen, beschreibt Erika die Hoffnungslosigkeit der Situation in Wien. Für den Fall, dass Biever sich nicht an ihre Begegnung erinnern könne, heftet sie ihr Foto bei.

Anne weiß es besser

Familie Frank feiert den 9. Geburtstag ihrer Tochter

Amsterdam

Um das zunehmend antisemitische Deutschland hinter sich zu lassen, war Familie Frank aus Frankfurt am Main kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in die Niederlande geflohen. Sie ließ sich auf dem Merwedeplein in Amsterdams Fluss-Viertel nieder, wo mehr und mehr deutschsprachige Flüchtlinge Zuflucht fanden. So groß war der Zustrom von Juden, dass manche unter den lokalen Juden besorgt waren, es würde ihren gesellschaftlichen Stand beeinträchtigen und Antisemitismus hervorrufen. Die ältere Tochter der Franks, Margot, ging auf der Jekerstraat zur Schule. Anne besuchte die 6. Montessori-Schule, die nur fünf Minuten Fußweg von der Wohnung der Familie entfernt war. Fünfzehn ihrer Klassenkameraden waren jüdisch. Sie liebte es, Geschichten zu erzählen und zu schreiben. Anne war neugierig, anspruchsvoll, interessiert und ausgesprochen wortgewandt. Wie die Mutter ihrer guten Freundin Hanneli zu sagen pflegte, “Gott weiß alles, aber Anne weiß es besser.“ 1938 beantragte Annes Vater Otto Frank Einreisevisen für die Vereinigten Staaten. Der 12. Juni 1938 war ihr 9. Geburtstag.

QUELLE

Lebensrettende Verwandschaft

Frank Fenner aus Michigan bürgt für seinen Neffen in Wien

„... dass ich willens und in der Lage bin, alle hier erwähnten Personen zu empfangen, zu unterhalten und zu unterstützen und ich hiermit dafür bürge, die Vereinigten Staaten, jeden Staat, Stadt, Dorf oder Gemeinde davor zu schützen, dass einer der hier erwähnten Ausländer der Öffentlichkeit zur Last fällt.“

Mendon, Michigan

Fast 50 Jahre, bevor er eine Bürgschaft für seinen Neffen Karl Grosser in Wien ausstellte, war Frank W. Fenner selbst aus Europa in die Vereinigten Staaten eingewandert. Als Besitzer eines Restaurants und einer Konditorei in Mendon, Michigan, konnte er seinen jungen Verwandten unterstützen, bis dieser in der Lage wäre, für sich selbst zu sorgen. Das Auffinden eines Bürgen war eine wichtige Bedingung für den Erhalt eines Einreisevisums, die oft schwer zu erfüllen war. Der Visumsprozess begann mit der Anmeldung beim nächsten amerikanischen Konsulat, wo dem Antragsteller ein Platz auf der Warteliste zugeteilt wurde. Die Länge der Liste war abhängig von der Anzahl der Menschen, die laut dem 1924 eingeführten Quotensystem der Vereinigten Staaten jeweils aus einem Land einwandern durften. Trotz der schweren Flüchtlingskrise 1938 hatte es keinerlei Revision erfahren. Während der Wartezeit mussten die Auswanderungskandidaten sämtliche benötigten Dokumente beschaffen, und mit etwas Glück waren sie noch gültig, wenn ihre Nummer an die Reihe kam.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Carl A. Grosser. AR 10559

Original:

Archivbox 1, Ordner 1

Henry Kissinger wird 15

In seinem Heimatort Fürth bekommt er den Ernst der Lage zu spüren

FÜRTH

Am 27. Mai feierte der fünfzehnjährige Heinz Alfred (später Henry) Kissinger seinen Geburtstag noch einmal in seinem Geburtsort Fürth. Heinz hatte die jüdische Volksschule und ein Gymnasium in seiner Heimatstadt besucht. Seit 1933 durften jüdische Kinder nicht mehr staatliche Schulen besuchen, so dass ihm und seinem jüngeren Bruder Walter nur die Israelitische Realschule offenstand. Auch anderswo machten sich die neuen Zeiten im Leben der Kinder bemerkbar: Plötzlich durften sie bei Besuchen bei den Großeltern in Leutershausen nicht mehr mit den anderen Kindern in der Altmühl schwimmen. Auch Heinz‘ Fußballbegeisterung wurde ein Riegel vorgeschoben: Juden war es untersagt, die Spiele der Spielvereinigung Fürth zu besuchen. Obwohl sein Vater Louis von seiner Stelle als Lehrer im Lyzeum mit Inkraftreten des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums im Jahr 1933 unbefristet beurlaubt worden war und zunehmende gesellschaftliche Isolation erfuhr, war er geneigt, durchzuhalten. Es war seiner Mutter Paula (geb. Stern) zu verdanken, dass Louis Kissinger im April 1938 Pässe beantragte und im Mai die Vorbereitungen der Familie zur Auswanderung auf Hochtouren liefen. Zum Glück waren Verwandte Paulas bereits vor 1933 in die Vereinigten Staaten ausgewandert und halfen nun mit der bürokratischen Vorarbeit.

Reichsfluchtsteuer

Auswanderer müssen ein Meer an finanziellen und bürokratischen Hürden überwinden

LÖRRACH

Seit 1937 bemühten sich Lina und Siegmund Günzburger aus Lörrach in Südwestdeutschland und ihr Sohn Herbert, ihre Auswanderungspapiere zusammenzustellen. Die Auflagen waren nichts weniger als ein Albtraum: Zukünftige Auswanderer mussten eine Vielzahl persönlicher Dokumente, Empfehlungsschreiben und Bürgschaften beschaffen und waren verpflichtet, ein Inventar ihres gesamten Besitzes zusammenzustellen. Auch mussten sie dokumentieren, dass keine Steuerrückstände bestanden. Besonders perfide war die sogenannte „Reichsfluchtsteuer“: Ursprünglich eingeführt in der Endphase der Weimarer Republik, um die Kapitalflucht in Reaktion auf die Sparpolitik der Regierung zu verhindern, wurde sie zu einem Werkzeug in der Hand der Regierung, um die Juden für das Verlassen des Landes zu bestrafen, das es ihnen unerträglich machte, zu bleiben.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Herbert Guenzburger, AR 5947

Original:

Archivbox 1, Ordner 2

Betty Blum kämpft für ihren Sohn

Blick in die USA nach Verlust der Arbeitsstelle in Wien

Bruno, mein ältester Sohn, trägt seit Jahren zu unserem Unterhalt bei. Nun, nachdem er seine Stelle verloren und keine Aussicht auf eine neue hat, beabsichtigt er, das Land zu verlassen. Doch leider verschließen sich fast alle Länder vor Einwanderern. Daher sehe ich keine andere Möglichkeit als zu versuchen, eine Einreisegenehmigung in die Vereinigten Staaten zu bekommen.

Wien/New York

Unmittelbar nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten in Österreich waren jüdische Geschäfte und Firmen der Leitung „arischer“ Kommissare übergeben worden. Im Verlauf dieser „Arisierung“ – tatsächlich die Enteignung und der Raub jüdischen Besitzes – hatte der 30jährige Bruno Blum nach kaum mehr als vier Jahren seine Stelle bei der „Wiener Margarin-Compagnie“ verloren. Da sie begriff, wie gering die Chancen ihres ältesten Sohnes waren, unter dem Naziregime eine neue Stelle zu finden, wandte sich Betty Blum an ihren Cousin Moses Mandl in New York um Hilfe mit einer Bürgschaft. Als sie keine Antwort bekam, schrieb sie diesen Brief an ihren Neffen Stanley Frankfurter, um ihn zu bitten, Moses Mandl zuzureden oder mit der Bitte um Unterstützung an die Hebrew Immigrant Aid Society (HIAS) heranzutreten.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Blum Family, AR 25132

Original:

Archivbox 1, Ordner 5

Hürden mit vielen Nullen

Die Reichsstelle für Devisenbewirtschaftung verlangt viel Geld von auswandernden Juden

Berlin/Dresden

Bevor Martha Kaphan ihre Reise in das unter britischem Mandat stehende Palästina antreten konnte, musste sie bei der Dresdner Bank den sehr hohen Geldbetrag von 800 Reichsmark als Depositum für die Ausstellung eines Touristenvisums hinterlegen. Grundlage dafür war eine Bestimmung der Reichsstelle für Devisenbewirtschaftung, die im NS-Staat maßgeblicher Träger der Ausplünderung auswanderungswilliger deutscher Juden war. Mit solchen Touristenvisa suchten einige tausend Juden als „illegale“ Einwanderer den Weg nach Palästina, um dort eine permanente Aufenthaltserlaubnis zu erlangen. Martha Kaphan emigrierte wohl nicht dauerhaft: Das britische Konsulat bestätigte 24. Dezember 1938 die Abreise, das Depositum wurde am 29. Dezember in Breslau ausgezahlt und das Konto am 10. Januar 1939 erledigt. Ob es sich hier um die 1877 in Militsch geborene Martha Kaphan handelt, die 1942 im Lager Grüssau interniert war, kann nicht mit letzter Sicherheit gesagt werden.

QUELLE

Institution:

Deutsches Historisches Museum

Original:

Hinterlegungsbescheinigung für den Erhalt eines Touristenvisums nach Palästina; Do2 2000/1000

Reisebüro „Kompass“

Auswandern ist schwieriger als es klingt

„Wollen Sie Ihre Verwandten hier haben? Brauchen Sie Hilfe, die Schwierigkeiten zu überwinden?“

New York

In einer Anzeige im „Aufbau“, die auf deutsche Einwanderer abzielte, bot das „Compass Travel Bureau“ in New York „fachmännische Beratung aller [sic] Einwanderungsangelegenheiten und die Erledigung aller Reiseformalitäten“. Wem es gelungen war, sich bis Mai 1938 noch ein wenig Optimismus zu bewahren, hätte meinen können, keine größere Anstrengung sei vonnöten. Doch die Beschaffung aller erforderlichen Dokumente konnte ein zermürbend langer Prozess sein: Juden, die verzweifelt versuchten, Deutschland zu verlassen, mussten zuerst Quotennummern und eine Unzahl von Dokumenten aus verschiedenen deutschen Behörden beschaffen und sich mit dem langsamen Postdienst abgeben, während sie versuchten, in Amerika Bürgen zu finden.

Neubeginn mit 40

Moses Wainstein überwindet die Hürden internationaler Bürokratie

Marseille

Marseille war für die Exilanten einer der wichtigsten Abfahrthäfen nach Übersee. Hier beschaffte sich Moses Wainstein die restlichen Papiere für seine Emigration nach Uruguay. Diese Bescheinigung über eine Reiseimpfung war zur Vorlage bei den dortigen Behörden in Spanisch abgefasst. Seine Habseligkeiten hatte sich der Berliner bereits durch eine deutsche Spedition nach Marseille schicken lassen. Wainstein war zu diesem Zeitpunkt 40 Jahre alt.

QUELLE

Institution:

Deutsches Historisches Museum

Original:

Impfbescheinigung, ausgestellt auf dem Dampfer „Campana“ für Moses Wainstein.

Jahreschronik 1938

Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden

Ein von National-Sozialisten beschädigtes Geschäft in Wien. United States Holocaust Memorial Museum.

Hermann Göring erlässt die „Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden“. Dernach sind alle Juden im Deutschen Reich unter Androhung von Geld-, Haft- und Zuchthausstrafen angehalten, ihr Vermögen im In- und Ausland zu melden, wenn es den Betrag von 5.000 Reichsmark übersteigt. Alf Krüger, Ministerialrat im Reichswirtschaftsministerium, nennt die Regelung den „Wegbereiter zu der völligen und endgültigen Entjudung der deutschen Wirtschaft“. Drei Tage später wird in einem Arbeitstreffen bei Göring geplant, das jüdische Vermögen so umzuwandeln, dass es “keinen wirtschaftlichen Einfluss mehr gestatte[t]“. Göring erläutert später, dass in der Besprechung im April bereits der Beschluss gefasst wurde, „die deutsche Wirtschaft zu arisieren, den Juden aus der Wirtschaft heraus und in das Schuldbuch hineinzubringen und auf die Rente zu setzen. […] Die Entschädigung wird im Schuldbuch vermerkt und zu einem bestimmten Prozentsatz verzinst. Davon hat er zu leben.“ Nach den Novemberprogromen nutzten die Nationalsozialisten die erworbenen Daten als Grundlage, um den Juden ein Viertel ihres Vermögens abzunehmen. Als nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Entschädigungsverfahren begannen, dienten die Daten dazu, die ursprünglichen Eigentümerschaften festzustellen.

 

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