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Die Grenzen des Einzelnen

Fritz Machlup signalisiert Bedenken und Hilfsbereitschaft

„Gestern, an einem einzigen Tage, erhielt ich sage und schreibe 11 Ersuchen um Einwanderungsaffidavits, darunter die Ersuchen von gemeinsamen Freunden“.

Buffalo, New York/Wien

Dank eines Rockefeller-Stipendiums, das 1933 an ihn vergeben worden war, hatte der herausragende Wiener Volkswirtschaftler Fritz Machlup Österreich Jahre vor dem „Anschluss“ verlassen. 1935 erhielt er eine Professur für Volkswirtschaftslehre an der Universität Buffalo. Es überrascht nicht, dass Freunde und Kollegen ihre Hoffnungen darauf setzten, ihn als Bürgen zu gewinnen, als die Nazis in Österreich Fuß zu fassen begannen. In diesem Brief vom 5. April an seinen Freund Alfred Schütz äußert er die Sorge, seine Hilfsversprechen, so vielen gegeben, würden an Glaubwürdigkeit verlieren. Er fügt aber dennoch ein Schreiben bei, in dem er Schütz anbietet, ihm bei der Niederlassung in den Vereinigten Staaten behilflich zu sein.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Alfred Schutz, AR 25500

Original:

Archivbox 1, Ordner 17

So weit weg wie möglich

Die Auswanderungsanträge im australischen Konsulat in Österreich erreichen einen neuen Höchststand

„The British consulate general admitted the would-be emigrants in groups of a hundred, giving out applications for visas and information on requirements for settlement in all parts of the British empire“.

Wien

Mehr als zwei Wochen waren seit der Machtübernahme der Nazis in Österreich vergangen. Nach dem anfänglichen Schock und der Fassungslosigkeit unter den Juden des Landes griffen Verzweiflung und Panik um sich. Viele reagierten, indem sie sich über Visabestimmungen für Länder wie die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Australien erkundigten, die Sicherheit und ausreichende Distanz zu der dramatischen neuen Situation in Österreich versprachen. Zwischen dem 24. und dem 28. März gingen allein beim australischen Konsulat 6000 Einwanderungsanträge ein – eine Zahl, die die offizielle Einwanderungsquote des Landes bei Weitem überstieg.

Familienbande

Eine Bürgschaft vom Onkel

„Sobald ich all diese Angaben von Dir bekomme, stelle ich die erforderlichen Bürgschaften und schicke die Angaben an Dr. Pollak, der ebenfalls seine Bürgschaften schicken wird, so dass Du und Deine Familie kommen könnt.“

Newark, New Jersey/Baden

Charles Manshel, ein wohlhabender, selbst aus Österreich stammender Geschäftsmann, verspricht seiner Cousine Irene Ehrlich in Baden bei Wien, er werde Bürgschaft für sie und ihre Familie übernehmen, sobald er die erforderlichen persönlichen Daten bekäme. Der Brief zeigt Manshels aufrichtiges Bemühen, seinen Angehörigen nicht nur den Weg zur Einwanderung zu bahnen, sondern auch etwas für die berufliche Integration des Ehemanns seiner Nichte, Dr. Eduard Ehrlich, zu tun. Unbeschadet seines Erfolges später im Leben war Manshel Not nicht fremd: Als Sechzehnjähriger war er durch den Tod des Vaters gezwungen gewesen, zum Ernährer seiner Familie zu werden.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung George und Paul Ehrlich, AR 11418

Original:

Archivbox 1, Ordner 1

Uruguay als gelobtes Land

Der Elektriker Wainstein plant die Emigration nach Montevideo

Berlin

Im Frühjahr 1938 traf der Berliner Elektroinstallateur Moses Wainstein Vorbereitungen, um sich dem steten Strom jüdischer Emigranten anzuschließen. Ziel war das ferne Montevideo. Der geplante Reiseweg sollte von Berlin nach Marseille führen, von wo aus er sich nach Südamerika einschiffen wollte. Das nötige französische Transitvisum wurde ihm am 1. März erteilt. Uruguay galt als Land mit starken demokratischen Traditionen, wenig Druck zur Anpassung auf die Neuankömmlinge und guten Aussichten für Handwerker. Jüdische Hilfsorganisationen und Reiseagenturen berieten Emigrationswillige bei der Wahl der neuen Heimat, zur bestmöglichen Route und bei der Beschaffung der notwendigen Papiere.

QUELLE

Institution:

Deutsches Historisches Museum

Sammlung:

Transitbescheinigung der Reederei „Chargeurs Réunis & Sud Atlantique“ für Moses Wainstein zur Durchreise durch Frankeich

Original:

Inv. Nr. Do2 89/1008.6

Liebeskummer

Ein Freund spendet Trost angesichts der drohenden Trennung von der Geliebten

„Ich sage es ist gut, wenn man sich lange nicht sieht, erst dann kann man erkennen, wie sehr oder wie wenig Menschen sich geändert haben.“

Hamburg/Meran

1938 war Familie Hirsch aus Hamburg bereits nach Italien ausgewandert. Angesichts der instabilen Situation in Europa hatten mehrere Familienmitglieder begonnen, nach Möglichkeiten der Emigration in die Vereinigten Staaten oder nach Südamerika Ausschau zu halten. Julius Hirsch hatte Elisabeth Schiff 1935 bei einem Besuch in Belgien kennengelernt und sich in sie verliebt. Familie Schiff hatte keine Pläne, Europa zu verlassen, und als Visen für El Salvador für Julius und andere Familienangehörige beschafft worden waren, muss ihn der Gedanke der Trennung von seiner Geliebten geschmerzt haben: In diesem Brief versichert ihm ein Freund aus Hamburg, eine vorübergehende Trennung sei keine schlimme Sache. Die Vereinigten Staaten verweigerten ihm das notwendige Transit-Visum, und Julius musste in Italien zurückbleiben. Schließlich kam er in England wieder mit seiner Elisabeth zusammen.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Julius und Elisabeth Hirsch, AR 25585

Original:

Archivbox 1, Ordner 3

Ohne Gesundheit keine Sicherheit

Ein Gesundheitszeugnis von der kolumbianischen Botschaft

Berlin/Breslau

Angesichts der drohenden Gefahr erwog der junge Breslauer Jazzmusiker Werner Dambitsch verschiedene Optionen der Auswanderung. Wie viele andere auch betrachtete er Kuba – ein Zielland, für das es bedeutend leichter war, ein Visum zu bekommen – als eine Art „Wartezimmer“ auf dem Weg zum Ziel so Vieler, den Vereinigten Staaten. Während der Antrag zur Einwanderung nach Kuba lief, scheint Dambitsch zur Sicherheit auch bei der kolumbianischen Botschaft in Berlin ein Visum beantragt zu haben. Bei dem hier gezeigten Dokument handelt es sich um das Gesundheitattest, das vom Arzt der kolumbianischen Botschaft ausgestellt wurde und dem zukünftigen Einwanderer beste Gesundheit bescheinigt – eine der unabdingbaren Voraussetzungen zum Erhalt eines Visums.

Alles in Ordnung im Gefängnis

Die Briefe des Häftlings Alfred Rahn

„Es geht mir den Verhältnissen entsprechend gut und wenn ihr euch keine Sorgen macht, dann werde ich alles doppelt so leicht tragen können.“

Nürnberg/Fürth

Da er das Familienunternehmen nicht aufgeben wollte und in der Hoffnung, die Situation der Juden werde sich mit der Zeit wieder bessern, hatte Alfred Rahn zunächst gezögert, an Emigration zu denken. 1937 jedoch besorgte sich die Familie Visen für die Vereinigten Staaten und verkaufte das Geschäft an einen Nicht-Juden. Da die Nazis dem Verkauf nicht offiziell zugestimmt hatten, bezichtigten sie Rahn der versuchten Unterschlagung und er wurde zu einer 14-monatigen Haftstrafe verurteilt. Aus der Haft schreibt Rahn seiner Frau Lilli in sachlichem Ton von seiner Hoffnung auf Verlegung in eine andere Abteilung, von der ihm auferlegten Arbeit und von seiner Lektüre und erweckt den Eindruck, alles sei in bester Ordnung.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Rahn Familie, AR 25538

Original:

Archivbox 1, Ordner 10

Familie transkontinental

Physische Ängste, wirtschaftliche Sorgen und emotionale Zwangslagen

„Nebenbei, hast Du zufällig Mutters Schmuck bei Dir? Mutter hat mich nämlich gefragt, ob ich Dir etwas davon gesagt hätte, denn ich habe ihnen geraten, ihn zu verkaufen, damit sie etwas haben, wovon sie leben können.“

Chelles/New York

Im Februar 1938 diskutieren zwei Brüder, die auf verschiedenen Kontinenten leben, Joszi Josefsberg in Europa (Chelles, Frankreich) und Arthur Josefsberg in Amerika (New York) in ihrer Korrespondenz, wie man Bürgschaften für die Eltern beschaffen könnte, um diese zu retten. Aber nicht nur die noch nicht sichergestellte Emigration der Eltern beunruhigt Joszi, den Schreiber des Briefes – auch um ihr materielles Überleben macht er sich Sorgen. Überlegungen dieser Art waren weit verbreitet unter Juden, die Eltern, Geschwister und oft auch Ehepartner zurückgelassen hatten. Während der jahrelangen Bemühungen der Nazis, Juden aus zahlreichen Berufen zu verdrängen, war es für die in Deutschland zurückgebliebenen immer schwierger geworden, ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

 

Einige Monate nach Abschluss des 1938Projekts erfuhr das LBI, dass der Brief bei der Transkription falsch datiert wurde. Obwohl der Brief später als Februar 1938 geschrieben wurde, beschloss das LBI, ihn aufgrund des wichtigen Inhalts weiterhin im Projekt unter dem bisherigen Datum zu belassen.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Korrespondenz von Arthur Josefsberg, AR 25590

Original:

Archivbox 1, Ordner 1

(K)ein Halbgott in weiß

An intentional misdiagnosis remedied

„Es ist deshalb völlig unerklärlich, wieso ein früherer Untersucher in Stuttgart zur Annahme einer tuberkulösen Lungenerkrankung bei diesem kerngesunden, jungen Menschen gelangen konnte.“

Zürich

Monate nachdem er Deutschland verlassen hatte, hielt sich Herbert Friedmann (später Freeman) noch immer in Zürich auf und wartete darauf, sich endlich seiner Familie anschließen zu können, die bereits in Amerika war. Infolge einer anscheinend absichtlichen Fehldiagnose als „Tuberkuloseträger“ im US-Konsulat in Stuttgart hatte Herbert nicht mit seiner Mutter und seinem Bruder emigrieren können. Schließlich, am 2. Februar 1938, attestierte ein Zürcher Arzt dem Jungen einen „weit überdurchschnittlichen Gesundheitszustand“ und schrieb die frühere Diagnose einem Irrtum zu. Der Arzt, der dieses entscheidende medizinische Gutachten ausstellte, war Dr. Ernst Hanhart, ein Genetiker und Eugeniker, der während des Naziregimes regelmäßig in Deutschen Zeitschriften über „Rassenhygiene“ veröffentlichte und z.B. die medizinisch-genetischen Informationen lieferte, die die Zwangssterilisation Taubstummer legitimierte.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Herbert Freeman, AR 25346

Original:

Archivbox 1, Ordner 7

Willkürliche Zerreissproben

Der kleine Herbert wartet auf ein Visum

Erinnert Papa sich noch an den „Mistkäfer“ wo Herr M. sagte, dass er niemals aus Deutschland herausginge und in Deutschland eine Judenkolonie gebaut werden sollte? Scheinbar hat er sich's jetzt anders überlegt.

Zürich/New York

Herbert Freeman wurde am 13. Dezember 1925 als Herbert Friedmann in Frankfurt am Main geboren. Sein Vater Leo Friedmann wanderte als erster nach Amerika aus. Die Mutter, Herbert und sein Bruder beantragten in Stuttgart ihre Visa. Bei der obligatorischen Untersuchung wurde der kerngesunde Herbert als „Tuberkuloseträger“ diagnostiziert und durfte nicht mitkommen, als seine Mutter und seine Bruder 1936 die Reise nach Amerika antraten. Nach mehreren weiteren erfolglosen Versuchen wurde der zwölfjährige Herbert nach Zürich geschickt, um die Stuttgarter US-Botschaft zu umgehen (die Erlaubnis, den Antrag außerhalb Deutschlands zu stellen, war nicht zuletzt der Intervention Albert Einsteins zu verdanken). Den Brief schrieb er während seines Aufenthaltes in der Schweiz. Er erwähnt seinen bevorstehenden Besuch im Konsulat und die erneute Beantragung eines Visums und beschreibt die Zeit der Trennung von der Familie.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Familie Herbert Freeman, AR 25346

Original:

Archivbox 1, Ordner 4

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