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Falsche Großzügigkeit

Zwang zur Ausreise aus dem Burgenland

„Zweihundert jüdische Einwohner des Burgenlandes wurden ,eingeladen‘, Österreich unterstützt von einem Auswanderer-Schleuser-Projekt zu verlassen.“

Eisenstadt

„Kostenlos“ – Es mag wie ein generöses Angebot daherkommen, aber hinter dem „kostenlosen“ Angebot steckte eiskalte Kalkulation: Nach dem Willen der Nazis sollten alle noch verbliebenen Juden im österreichischen Burgenland die Region verlassen. Säuberung hieß das im Nazi-Jargon. Das Burgenland war die erste österreichische Region, in der man damit begonnen hatte, die jüdische Bevölkerung nach dem „Anschluss“ systematisch zu enteignen und zu vertreiben. Die Jewish Telegraphic Agency berichtete am 12. September, dass von den 3.800 Juden, die zuvor im Burgenland gelebt hatten, 1.900 bereits vertrieben, 1.600 Personen vorübergehend nach Wien geflohen und 300 weitere noch in Ghettos im Burgenland selbst interniert seien. Das „Angebot“ der Schleuser-Gruppe wurde laut JTA finanziell von der Gestapo unterstützt – mit 100.000 Mark aus dem Besitz der zuvor enteigneten Juden in der Region.

Nicht wegen Bettelns vorgemerkt

Ein polizeiliches Führungszeugnis im Jahr 1938

„…hiermit bestätigt, dass gegen ihn während der letzten fünf Jahre keinerlei bedenkliche, die Reise behindernden Tatsachen inbesondere auch nicht wegen Bettelns vorgemerkt sind.“

Wien

Es mag auf den ersten Blick abstrus erscheinen: Einem Versicherungsangestellten, dem Wiener Franz Resler, wird im polizeilichen Führungszeugnis bestätigt, er sei in der Vergangenheit inbesondere „nicht wegen Bettelns“ aufgefallen. Auf den zweiten Blick aber ist es genau die Betonung des Bettelns, die auf all die existenziellen Krisen verweist, in denen sich viele österreichische Juden 1938 zunehmend befanden. Mit dem „Anschluss“ hatten die Nazis den wirtschaftlichen Druck auf die in Österreich lebenden Juden enorm erhöht. „Arisierungen“ von Unternehmen und Berufsverbote entzogen zahlreichen Personen die Lebensgrundlage. Franz Resler und seine Frau Anna planten deswegen ihre Ausreise nach Argentinien, dort lebte Franz Reslers Schwester Fanny bereits seit den 1920er Jahren.

QUELLE

Institution:

Jüdisches Museum Wien

Original:

Polizeiliches Führungszeugnis für Franz Resler, zum Zweck der Ausreise nach Argentinien; Arch. Inv. Nr. 5769/3

Nicht aufgeben

Der Arzt Max Wolf will dem drohenden Berufsverbot entgehen

„Ihrem Wunsch gemäß bestätigen wir Ihnen, dass Sie von 1924 bis 30. September 1938 ordentliches Mitglied der Gesellschaft der Ärzte in Wien waren.“

Wien

Dr. Max Wolf hatte sein Fachgebiet schon vor Jahren gefunden: Seit 1922 arbeitete Wolf als Dermatologe in der Wiener Poliklinik, nebenher publizierte er zahlreiche Fachaufsätze. Studiert hatte der gebürtige Wiener noch zur Zeit des Ersten Weltkrieges, kurz darauf hatte er an der italienischen Front als Lazarett-Arzt gedient. Nun aber stand seine Karriere vor dem Aus. Nach dem „Anschluss“ hatten die Nazis bereits jüdische Anwälte und Richter in Österreich mit einem Berufsverbot belegt, ein Verbot für jüdische Ärzte stand kurz bevor. Max und seine Frau Margarata Wolf bereiteten indessen ihre Emigration vor. Die Bescheinigung über Wolfs Mitgliedschaft in der Wiener Gesellschaft der Ärzte lässt erahnen: Max Wolf hatte nicht vor, seinen Beruf im Exil aufzugeben.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Manx und Margareta Wolf, AR 10699

Original:

Archivbox 1, Ordner 4

Ein letztes Klassenfoto

Gisela und ihre Familie standen kurz vor der Emigration

DRESDEN

Gisela Kleinermann (obere Reihe, r.) war erst vor Kurzem 10 Jahre alt geworden. Den Arm um ihre Mitschülerin gelegt, blickt sie mit einem leichten Lächeln in die Kamera. Zu diesem Zeitpunkt mag sie bereits gewusst haben, dass sie nicht mehr lange Teil dieser Klasse der Jüdischen Schule in Dresden sein würde: Bereits im Spätsommer 1938 bereitete ihre Mutter Erna die Emigration der Familie Kleinermann in die Vereinigten Staaten vor. Schrittweise hatten die Nazis in den vergangenen Jahren eine „Rassentrennung“ in öffentlichen Schulen forciert. In vielen jüdischen Großgemeinden – so auch in Dresden – waren daraufhin neue jüdische Schulen gegründet worden.

„Israel“ und „Sarah“

Wenn Namen politisch werden...

„Wäre das Motiv, dem jene Verordnung entsprungen ist, nicht so abgründig gemein – an ihrem Inhalt gibt es nichts zu tadeln: ,Israel‘ bedeutet ,Gottesstreiter‘ und ,Sarah‘ oder ,Sara‘ […] bedeutet ,Fürstin.‘“

NEW YORK

Im August 1938 war eine neue Verordnung erlassen worden: Juden, deren Namen laut Auffassung der Nazis nicht als „typisch jüdisch“ erkennbar waren, sollten zukünftig (spätestens ab dem 1. Januar 1939) einen zweiten Vornamen tragen: „Sara“ für Frauen, „Israel“ für Männer. Die September-Ausgabe des Aufbau brachte die Perfidität dieser Verordnung auf den Punkt: „Wäre das Motiv, dem jene Verordnung entsprungen ist, nicht so abgründig gemein – an ihrem Inhalt gibt es nichts zu tadeln: „Israel” bedeutet ‚Gottesstreiter‘ und „Sarah“ oder „Sara“ […] bedeutet ‚Fürstin‘.” Die Nazis bedienten sich somit nicht nur an Inhalten jüdischer Kultur, sie missbrauchten diese auch, um die Privatsphäre der Juden in Deutschland erneut auf massive Weise einzuschränken.

Hauptsache raus

Wachsende Demoralisierung der Juden drängt sie aus dem Land

„Der Arisierungsprozess geht unaufhaltsam weiter, da gibt es kein Halten mehr. Ob noch einmal die Wunder des Alten Testaments kommen werden? Wie war es doch so schön zu dieser Zeit! Der Durchzug durch das Rote Meer .....! Heuschreckenplage .....! Sterben der Erstgeborenen .....! usw. - aber wir liegen heute in der verkehrten Zone, und das Alte Testament darf nicht mehr gelesen werden.“

BONN/NEW YORK

In diesem Brief an seine Freunde Betty und Morris Moser in New York, geschrieben am 31. August 1938, nahm der Bonner Ludwig Gottschalk kein Blatt vor den Mund: Inzwischen seien die Juden in Deutschland dermaßen demoralisiert und lebten in einem so beständigen Zustand der Angst, dass der Wunsch, das Land zu verlassen, allgegenwärtig sei, egal, was „draußen“ zu erwarten sei. Seinen Informationen zufolge sei das US-Konsulat in Stuttgart durch die Vielzahl der Einwanderungsanträge derartig überlastet, dass neue Bürgschaften zur Zeit gar nicht bearbeitet würden. Die Gottschalks hatten bereits eine Nummer auf der Warteliste und rechneten damit, relativ bald emigrieren zu können. In der Zwischenzeit lernten sie Englisch. Ludwig spielte auf die Veränderungen, die sich seit der Abreise der Freunde in Deutschland ereignet hatte, an, indem er sie „Israel“ und „Sara“ nannte: Am 17. August war ein Erlass ergangen, der die Juden zwang, ihrem Vornamen je nach Geschlecht einen dieser Namen hinzuzufügen und damit ihre jüdische Identität unübersehbar zu machen.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Betty und Morris Moser, AR 25497

Original:

Archivbox 1, Ordner 3

Widerstand durch Passfälschung

Der Postausweis des Felix Perls

Berlin

Der jüdische Kaufmann Felix Perls wird 1883 in Beuthen in Oberschlesien geboren. Zum 1. April 1938 muss er aufgrund von NS-Bestimmungen seine Tätigkeit als Direktor der Oberschlesischen Holzindustrie-Aktiengesellschaft aufgeben. Zwei Monate später ziehen er und seine Frau Herta nach Berlin-Grunewald, um den Anfeindungen in Beuthen zu entgehen. Perls‘ Postausweis aus dem Jahr 1938 wurde von ihm gefälscht: Er änderte das Ausgabedatum und die Gültigkeitsdauer. Postausweiskarten wurden für den Empfang vertraulicher Postsendungen benötigt, wurden aber auch außerhalb der Post als Ausweisdokument anerkannt.

Not macht erfinderisch

Intellektuelle planen Wohnkolonie in USA für arbeitslose jüdische Ärzte

„Sie wissen, dass wir alle vom 1. Oktober an nicht mehr Ärzte sind; die deutsche Approbation ist allen unseres Glaubens entzogen. Es gibt natürlich eine Menge, die dann nicht wissen, wovon zu leben und auch hier nicht weiter leben können.“

BERLIN/NEW YORK

Die Existenzkrise jüdischer Ärzte in Deutschland, die verschiedene Stadien (Ausschluss aus dem öffentlichen Gesundheitswesen und aus Krankenkassen, Verbot der Zusammenarbeit zwischen jüdischen und „arischen“ Ärzten etc.) durchlaufen hatte und durch das Berufsverbot im Juli 1938 eskalierte, machte schöpferische Lösungsansätze erforderlich. Am 25. August schrieb Dr. Felix Pinkus, ein renommierter Berliner Dermatologe, an seinen Freund Sulzberger in Amerika, um ihn als Mitstreiter für ein Hilfsprojekt zu gewinnen: Der Soziologe und Nationalökonom Franz Oppenheimer war darauf gekommen, in den Vereinigten Staaten eine Art Wohnkolonie für ehemalige Ärzte einzurichten, deren Finanzierung durch Spenden amerikanisch-jüdischer Ärzte bestritten werden sollte. Laut Oppenheimers Berechnungen wäre damit zu rechnen, dass etwa 1000 Ärzte diese Lösung in Anspruch nehmen würden. (Dr. Pinkus schätzte, es wären eher 3000.)

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Felix Pinkus Familie, AR 25456

Original:

Archivbox 1, Ordner 41

Zugzwang

Joachim Weinert erlebt Drängen und Warten im Kampf mit der Bürokratie

„Ich behalte mir strafrechtliche Maßnahmen gemäß § 33 Dev.V.O. vor und setze ihnen zur Erledigung eine Frist von 3 Tagen.“

WIEN

Innerhalb der ersten Monate nach der Annexion Österreichs durch die Nazis hatte Dr. Joachim Weichert, ein in der Tschechoslowakei geborener Rechtsanwalt, den größten Teil seiner Klienten verloren. Er hatte keine Wahl, als mit der Zusammenstellung der für die Emigration notwendigen Dokumente zu beginnen. Im Juni wurde die Familie vom Generalkonsulat der Vereinigten Staaten benachrichtigt, gültige Bürgschaften und andere Dokumente für sie seien für sie aus Amerika eingetroffen. Da jedoch die tschechische Quote für den Augenblick erschöpft war, wurden sie auf eine Warteliste gesetzt. Außerdem wurde ihnen Mitteilung gemacht, dass innerhalb der nächsten acht Monate nicht mit dem Erhalt der Visen zu rechnen sei. Am 22. August war es fast zwei Wochen her, dass Dr. Weichert von der Devisenstelle in Wien aufgefordert worden war, innerhalb einer Woche eine detaillierte Liste seines Besitzes aufzustellen. In dieser offiziellen Mitteilung vom 22. August wird ihm ein Ultimatum von drei Tagen gestellt, nach dessen Ablauf er mit strafrechtlichen Massnahmen rechnen müsse.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Weichert Familie, AR 25558

Original:

Archivbox 1, Ordner 1

Sara und Israel

Pflicht zu jüdischen Zusatz-Vornamen

„(1) Soweit Juden andere Vornamen führen, als sie nach § 1 Juden beigelegt werden dürfen, müssen sie vom 1. Januar 1939 ab zusätzlich einen weiteren Vornamen annehmen, und zwar männliche Personen den Vornamen Israel, weibliche Personen den Vornamen Sara.“

Berlin

Zweimal im Verlauf der deutschen Geschichte wurden die Juden gezwungen, ihre Namen zu ändern: Zum ersten Mal durch die Einführung von (oft stigmatisierenden) Familiennamen während der Emanzipation, zum zweiten Mal durch die Einführung der obligatorischen Zusatz-Vornamen Sara für jüdische Frauen und Israel für jüdische Männer (17. August 1938). Auf diese Weise sorgte das Regime für die Ausgrenzung der Juden, deren Identität nun keine Privatsache mehr sein konnte. Wenn der Vorname eines Juden oder einer Jüdin auf einer offiziell abgesegneten Liste stand, wurde kein zusätzlicher Name verlangt. Außerdem verlangte das Regime von Juden, die ihren Familiennamen geändert hatten, um sich anzugleichen und Diskriminierung zu verhindern, ihren vorherigen Namen wieder anzunehmen.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Kurt Hirschfeld, AR 25708

Original:

Archivbox 1, Ordner 1

Jahreschronik 1938

Juden gezwungen, neue Vornamen anzunehmen

Auf dem Pass einer jüdischen Frau ist der gesetzlich verordneten Mittelname „Sara“ deutlich sichtbar. Sammlung Marianne Salinger, Leo Baeck Institute.

Jüdische Deutsche mit einem Vornamen, der aus Sicht der Nationalsozialisten nicht „typisch jüdisch“ ist, werden per Verordnung gezwungen, ab 01. Januar 1939 einen zusätzlichen Vornamen anzunehmen—Männer den Namen Israel, Frauen den Namen Sara. Die Zweite Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen zielte darauf ab, Juden anhand ihrer Vornamen als Juden kenntlich zu machen. Es handelt sich um den ersten Versuch, die Juden äusserlich als solche zu kennzeichnen und dauerhaft von der übrigen deutschen Bevölkerung zu trennen. Am 24. Januar 1939 dehnen die Nationalsozialisten die Gültigkeit der Verordnung auf Österreich und die sudetendeutschen Gebiete aus.

Zur Jahreschronik 1938

Ferienidylle

Ein sonniger Brief an den Vater

„Uns geht es gut. Die Sonne scheint seit zwei Tagen, so dass wir schwimmen gehen konnten, aber für morgen sagt das Radio Regen an.“

Nespeky/Prag

Hitlers Pläne für die Tschechoslowakei hätten eindeutiger nicht sein können: Am 30. Mai 1938 hatte er in einer Weisung an die Wehrmacht mitgeteilt, es sei sein „unabänderlicher Beschluss“, die Tschechoslowakei „in absehbarer Zeit“ zu zerschlagen. Schon Monate zuvor hatte er den Führer der seit Jahren teilweise von Nazideutschland finanzierten Sudetendeutschen Partei, Konrad Henlein, dazu angestachelt, durch nicht erfüllbare Forderungen für die deutsche Minderheit eine Konfrontation heraufzubeschwören. Unter dem Einfluss der Ereignisse in Deutschland hatte der Antisemitismus im Land zugenommen, hatte aber bisher nur in den überwiegend von Deutschen bewohnten Grenzgebieten Nord- und Westböhmens zu Boykotten und tätlichen Übergriffen geführt. Während sich im Hintergrund eine Krise zusammenbraute, war der Psychiater und Schriftsteller Josef Weiner mit seiner Frau Hanka und den zwei kleinen Töchtern im zentralböhmischen Städtchen Nespeky in Urlaub. Hankas Briefchen (in tschechischer Sprache) an ihren Vater, den renommierten Prager Rechtsanwalt Oskar Taussig, atmet reine Ferienidylle und verschont den rekonvaleszenten Empfänger vor allem Unerfreulichen.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Winn Familie, AR 25493

Original:

Archivbox 1, ordner 5

Selbst ist die Frau

Eine unabhängige Unternehmerin muss um Hilfe bitten

„Ich glaube, ich schreibe an die Kinder von Emanuel und Victoria Magen, und ich flehe Euch an, uns zu helfen, nach Amerika zu kommen.“ ”

Berlin

Die Berlinerin Gusty Bendheim hatte den amerikanischen Zweig ihrer Familie nie kennengelernt. 42 Jahre alt und geschieden, hatte sie keine andere Wahl, als sich an ihre Verwandten in Übersee zu wenden. Sie bat die quasi Fremden um Hilfe, ihr und ihren Kindern Ralph (13) und Margot (17) die Auswanderung zu ermöglichen. Gusty war ein unternehmerischer Typ: Zum Zeitpunkt ihrer Heirat mit Arthur Bendheim, einem Kaufmann aus Frankfurt am Main, hatte sie bereits das dritte Knopfgeschäft gegründet. Nach der Hochzeit übernahm Arthur die Geschäftsleitung, und Gusty wurde zur Hausfrau. Trotz der zunehmend besorgniserregenden anti-jüdischen Maßnahmen des Naziregimes war Arthur nicht gewillt, das Land zu verlassen. Nach der Scheidung des Paares 1937 nahm Gusty die Dinge selbst in die Hand: In diesem Brief vom 14. August 1938 an ihre unbekannten Verwandten ergänzt sie ihre Bitte um Hilfe durch die Versicherung, ihr geschiedener Mann sei bereit, die Reisekosten für sie und die Kinder in die Vereinigten Staaten zu übernehmen.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Margot Friedlander, AR 11397

Original:

Archivbox 1, Ordner 1

Kündigung, weil Jude

Wohnprekariat trifft Juden in Wien

„Der Gekündigte ist Jude und kann den anderen Mietbewohnern [sic] ein Zusammenwohnen nicht länger zugemutet werden.“

WIEN

Bis 1938 lebten etwa 60.000 Juden im Wiener Bezirk Leopoldstadt, was ihr den Spitznamen „Mazzesinsel“ einbrachte. Zwischen dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Aufstieg des „Austrofaschismus“ 1934 hatte die sozialdemokratische Stadtregierung begonnen, Sozialwohnungen zu schaffen. Zur Zeit des Anschlusses herrschte in der Stadt ein massiver Wohnungsmangel. Die Nazis begannen, Juden aus Sozialwohnungen zu delogieren. Angesichts der Neigung der Polizei, Übergriffe auf jüdischen Besitz zu ignorieren, war es für antisemitische Vermieter leicht, diesem Beispiel zu folgen: Judesein genügte als Kündigungsgrund. Als der Hausbesitzer Ludwig Munz das Kündigungsformular für seine Mieter Georg und Hermine Topra ausfüllte, gab er gleich drei Gründe an: Angeblichen Eigenbedarf, Mietrückstand und Rücksicht auf die Nachbarn, denen ein Zusammenleben mit Juden nicht zugemutet werden könne.

QUELLE

Institution:

Jüdisches Museum Wien

Original:

Inv. Nr. 5171/2

Nichts Nachteiliges bekannt

Seelsorgestelle bescheinigt Edmund Wachs' Unbedenklichkeit

„Von der gefertigten Seelsorge wird hiermit bestätigt, dass gegen Herrn Edmund Wachs hieramts nichts Nachteiliges bekannt ist.“

Wien

Dieses Zeugnis, ausgestellt vom Rabbinat der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien, war nur eines unter einer Vielzahl von Dokumenten, die Edmund Wachs zusammengestellt hatte, um seine Auswanderung in die Vereinigten Staaten zu ermöglichen. Kurz nach dem „Anschluss“ war Wachs in „Schutzhaft“ genommen worden, ein Mittel, das den Nazis durch die „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“, auch als „Reichstagsbrandverordnung“ bekannt, in die Hand gegeben worden war: Der Reichstagsbrand am 27. Februar 1933, ein Brandanschlag auf das Parlamentsgebäude in Berlin, hatte als Anlass und Rechtfertigung für das Gesetz gedient. Es wurde bereits am darauffolgenden Tag erlassen und legalisierte die willkürliche Festnahme jeder Person, die der mangelnden Loyalität gegenüber dem Regime verdächtigt wurde. Das Gesetz legte den exakten Tatbestand nicht fest und kam weithin gegen Juden und politische Gegner zur Anwendung.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Edmund und Berta Wachs, AR 25093

Original:

Archivbox 1, Ordner 2

Wir sehen uns in Genf

Mit neuen Rassengesetzen ist Rom keine Option mehr für Anneliese

„Bitte schreib mir nur nach Genf, wann wir uns sehen können. Ich freue mich schon sehr auf unser Wiedersehen.“

Biel/Villars-sur-Ollon

Bis 1933 spielte ihre jüdische Identität kaum eine Rolle im Leben von Anneliese Riess, einer vollkommen säkularen Studentin der klassischen Archäologie. Sobald jedoch die Nazis an die Macht kamen, war ihr klar, dass sie als Jüdin in Deutschland keine Zukunft hatte. Sie entschloss sich, nach Italien auszuwandern, wo sie promovierte (Rom, 1936). Da die Chancen, in Italien in ihrem Bereich Arbeit zu finden, äußerst gering waren, belegte die junge Frau 1937 einen anspruchsvollen Kurs für Kinderpflegerinnen in Genf. Nach einer Operation im Juni 1938 verbrachte sie mehrere Monate in Villars-sur-Ollon. Im Juli wurde in Italien das Generaldirektorium für Demographie und Rasse eingerichtet, das damit beauftragt war, die Rassengesetze des Landes zu formulieren. Somit fiel Rom als möglicher Zufluchtsort weg. Im selben Monat war der Vater in Amerika angekommen und bemühte sich nun, auch ihr die Einwanderung zu ermöglichen. Diese Postkarte, datiert vom 7. August und an Anneliese in Villars adressiert, war erfrischend frei von jedem Bezug auf die prekären Entwicklungen in Europa und verschaffte ihr die willkommene Aussicht auf ein Wiedersehen mit einem Freund inmitten aller Unsicherheit.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Anneliese Riess, AR 10019

Original:

Archivbox 1, Ordner 9

Wehrdienst

Seine jüdische Abstammung befreit Bruno Blum vom Wehrdienst

„Es wird bescheinigt, dass Herr Bruno Blum, geboren am 11. Aug. 1907 in Buczacz, laut den hieramts vorgelegten Urkunden Volljude ist.“

WIEN

Artikel 1 von §15 des Reichswehrgesetzes (verabschiedet am 21. Mai 1935) legte fest: „Arische Abstammung ist eine Voraussetzung für den aktiven Wehrdienst“. Nach der Gesetzesänderung des Jahres 1936 war die Ausdrucksweise noch klarer: „Ein Jude kann nicht aktiven Wehrdienst leisten“. Um Erlaubnis zu bekommen, das Land zu verlassen, mussten männliche Auswanderungsanwärter der örtlichen Militärbehörde ein Dokument vorlegen, das ihre jüdische Abstammung nachwies und damit bewies, dass sie sich durch Auswanderung nicht ihrer Wehrpflicht zu entziehen beabsichtigten. Im Rahmen der Formalitäten, die Bruno Blum zu erledigen hatte, um eine Auswanderungsgenehmigung zu erhalten, bestätigte am 4. August 1938 das Matrikelamt der Israelitischen Kultusgemeinde Wien seine jüdische Abstammung auf beiden Seiten.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Blum Familie, AR 25132

Original:

Archivbox 1, Ordner 1

Schrittweise Arisierung

Jüdische Ärzte sollen nun die Zulassung verlieren

„Die Anzahl der Juden, die von dieser neuen Verordnung betroffen sind, wird auf zwischen 6000 und 7000 geschätzt.”

Berlin

Der Anteil von Juden unter den deutschen Ärzten war so hoch, dass den Nazis anfänglich ein umfassendes Berufsverbot nicht opportun erschien. Einstweilen begnügten sie sich damit, durch die „Verordnung über die Zulassung von Ärzten zur Tätigkeit bei den Krankenkassen“ vom 22. April 1933 „nicht-arischen“ Ärzten die Zulassung zur Arbeit in Zusammenhang mit den gesetzlichen Krankenkassen zu entziehen. Ausnahmen waren möglich, wenn sie bereits vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs praktiziert hatten oder beweisen konnten, dass sie selbst oder ihr Vater Frontkämpfer gewesen seien. Ab 1937 konnten Juden nicht länger den Doktortitel erwerben. In einer Nachricht vom 3. August weist die Jewish Telegraphic Agency auf die Vierte Verordnung zum Reichsbürgergesetz hin, die einige Tage zuvor erlassen worden war und laut der jüdische Ärzte mit Gültigkeit vom 30. September ihre Zulassung verlieren würden.

Aus Respekt gegenüber der Volksgemeinschaft

Neue Gesetze erklären jüdische Erbschaften für ungültig

„§ 48 Eine Verfügung von Todes wegen ist nichtig, soweit sie in einer gesundem Volksempfinden gröblich widersprechenden Weise gegen die Rücksichten verstößt, die ein verantwortungsvoller Erblasser gegen Familie und Volksgemeinschaft zu nehmen hat.“

Berlin

Mit dem Ermächtigungsgesetz von 24. März 1933 hatte die neu eingesetzte Regierung unter Adolf Hitler wenig Zweifel hinsichtlich ihrer Rechtsauffassung gelassen: Das neue Gesetz erlaubte es ihr, nach Belieben die Verfassung außer Kraft zu setzen, Dekrete und Gesetze zu formulieren und Abkommen mit anderen Staaten zu schaffen, ohne der Zustimmung des Reichstags oder der Übereinstimmung mit der Verfassung zu bedürfen. Die Willkür und Beliebigkeit des Rechtssystems, das so geschaffen wurde, wurde noch verstärkt durch die häufige Berufung auf das „gesunde Volksempfinden“, ein Begriff, der implizierte, dass die unverdorbenen, natürlichen Instinkte des Volkes die Grundlage der deutschen Rechtsprechung bilden sollten. Ein solcher Fall war das „Gesetz über die Errichtung von Testamenten und Erbverträgen“ (§48) vom 31. Juli: Indem es „Rücksichten gegenüber der Volksgemeinschaft“ heraufbeschwor, benutzte es diese Wendung, um zu implizieren, dass Verträge, durch die der Besitz einer verstorbenen Person an einen Juden vererbt wurde, als ungültig zu betrachten seien.

Mit einem Anstrich der Legalität

Juden müssen nun Identifizierungskarten bei sich tragen

„Der Besitz der Karte ist Pflicht für jeden Juden und für jeden ,Arier‘ im militärpflichtigen Alter, aber freiwillig für alle anderen Arier.‘“

Berlin

Laut Erlass des Innenministers Frick am 22. Juli 1938 waren in Deutschland Kennkarten zur Verwendung im Inland eingeführt worden. Frick, von Hause aus Jurist, versah konsequent die anti-demokratischen, anti-jüdischen Maßnahmen des Regimes mit dem Anstrich der Legalität. Es kann daher keine große Überraschung gewesen sein, als bereits am 23. Juli geklärt wurde, was am Vortag vage belassen worden war („Der Reichsminister des Innern bestimmt, welche Gruppen von deutschen Staatsangehörigen und in welchem Umfang diese Gruppen dem Kennkartenzwang unterliegen.“): Abgesehen von nicht-jüdischen Männern in militärpflichtigem Alter waren es in erster Linie Juden aller Altersgruppen, die Kennkarten beantragen mussten. Der Zweck der Kennkarten war, Juden klar zu identifizieren und zu stigmatisieren und sie zusätzlich vom Rest der Bevölkerung zu trennen. In einer Mitteilung am 28. Juli berichtet die Jewish Telegraphic Agency über diese neueste juristische Untat.

QUELLE

Institution:

Jewish Telegraphic Agency

Sammlung:

“Reich Jews from Age of 3 Months Must Carry Identity Cards”

Original:

Archivbox 1, Ordner 5

Im Gedenken

Ludwig Schönmanns Goldene Jahre nehmen eine dunkle Wendung

„Trauer-Album dem Andenken meines teueren Vaters Ludwig Schönmann“

Wien

Ludwig Schönmann, der 1865 in Neu-Isenburg in Deutschland geboren wurde, war als junger Mensch nach Österreich gekommen, was ihm die ersten fünf Jahre des Hitlerismus ersparte. Doch von dem Tag an, als die Wehrmacht im März 1938 in Österreich einmarschierte, um das Nachbarland zu annektieren, war der über Siebzigjährige gezwungen, Ähnliches mitzuerleben, wie die Juden in Deutschland – nur in schnellerer Abfolge: Jüdische Geschäfte wurden zerstört und geplündert, ihre Besitzer enteignet, andere Juden öffentlich gedemütigt, Glaubensgenossen aus dem Burgenland vertrieben, wo sich die ersten Juden im 13. Jahrhundert niedergelassen hatten, jüdische Studenten und Dozenten wurden aus der Universität verdrängt, die berüchtigten Nürnberger Gesetze eingeführt, was zu der Entfernung der Juden aus dem öffentlichen Dienst führte, und anderes mehr. Die erste Seite eines Gedenkalbums zu Ludwig Schönmanns Ehren nennt den 24. Juli als seinen Todestag.

QUELLE

Institution:

Jüdisches Museum Wien

Sammlung:

Traueralbum für Ludwig Schönmann

Original:

Archiv. Inv. Nr. 1094

„Juden ohne Maske“

Die NS-Zensur erklärt antisemitischen Film für „staatspolitisch wertvoll“

„Inhaltsangabe. Der Film bringt einen Querschnitt durch das jüdische Filmschaffen der Systemzeit [abwertende Bezeichnung für die Weimarer Republik] und zeigt die Notwendigkeit der Nürnberger Gesetze, die diese Zersetzungsarbeit in kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht beendeten.“

Berlin

Sofort nach ihrem Aufstieg zur Macht im Januar 1933 begannen die Nazis, ihre Kontrolle auf alle Aspekte kulturellen Lebens in Deutschland auszudehnen. Als populäres Medium, das große Mengen von Menschen erreichen konnte und als jüdisch dominiert galt, war der Film für das neue Regime von zentraler Bedeutung. Bevor die Produktion eines neuen Films beginnen konnte, musste das Drehbuch eine Vorzensur durchlaufen. Das Endprodukt wurde von der Film-Prüfstelle, die dem Reichspropagandaministerium unterstellt war, strengstens untersucht. Die Nazis änderten die Beziehung des Staates zur Filmindustrie: Während bisher das Hauptanliegen gewesen war, Material zu zensieren oder zu unterdrücken, das als schädlich betrachtet wurde, wurde die Filmindustrie nun auch aktiv vom Staat als Vehikel der nationalsozialistischen Weltanschauung benutzt. Der antisemitische Film „Juden ohne Maske“, dessen Prüfkarte hier gezeigt wird, ist ein solcher Fall. Er bekam das Prädikat „staatspolitisch wertvoll“, durfte aber nur im Rahmen von Veranstaltungen der NSDAP, nicht aber vor Jugendlichen, vorgeführt werden.

QUELLE

Institution:

New Synagogue Berlin – Centrum Judaicum

Original:

Zensurkarte der Film-Prüfstelle Berlin für den NS-Propagandafilm „Juden ohne Maske“ (1937) ; CJA, 7.78

Erfasst, gezählt, registriert

Erhebungen zu jüdischen Einwohnern im Landkreis Dillkreis

Dillenburg

Am 18. Juli verfasste der Landrat des hessischen Dillkreises einen Rundbrief an die Bürgermeister der Städte Herborn, Dillenburg und Haigern sowie die Gendarmerie-Beamten des Landkreises mit der Aufforderung, vierteljährlich eine Aufstellung der in der jeweiligen Gemeinde lebenden jüdischen Bevölkerung anzufertigen. Die Zählung in Herborn ergab, dass in der Stadt am 30. Juni 1938 51 Juden und Jüdinnen lebten und innerhalb der letzten drei Monate nur drei Personen ihre Heimat verlassen hatten. Diese auf lokaler Ebene ansetzende statistische Erfassung und Beobachtung der jüdischen Bevölkerung ergänzte andere, 1938 für das gesamte Reich erlassene, Maßnahmen zur Registrierung, wie etwa die zwangsweise Vermögensanmeldung, die Kennkartenpflicht oder die Änderung der Namen.

QUELLE

Institution:

Deutsches Historisches Museum

Original:

Rundbrief des Landrates des Dillkreises zur Erfassung der jüdischen Einwohner mit Antwortvermerk der Stadt Herborn ; Inv. Nr. Do2 88/1738.4

Doppelte Gefährdung

Als jüdischer Mensch mit Behinderung wurde Ursula Meseritz zum zweifachen Ziel der Nazipolitik.

„Die schöne Kehrseite in angeregter Unterhaltung. Hach, diese Sonne!“

Berlin

Als taubstumme Jüdin war Ursula Meseritz in den Augen der Nazis doppelt minderwertig: Seit dem 14. Juli 1933 galt das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“, das die Zwangssterilisierung von Menschen mit Behinderung sowie von Epileptikern legalisierte. Ursula hatte die einzige jüdische Schule für Gehörlose in Deutschland besucht, die „Israelitische Taubstummenanstalt“ in Berlin-Weißensee. Unter dem Naziregime wurde der Gebrauch von Zeichensprache in staatlichen Schulen verboten, und 1936 wurden jüdische Kinder aus Schulen ausgeschlossen, die gehörlose Kinder förderten. Laut einem „Fragebogen für Auswanderer“, den sie im April 1938 eringereicht hatte, war Ursula Laborantin für medizinische Diagnostik und hoffte, in Amerika in diesem Beruf tätig zu werden. Die Aufschriften auf diesen Fotos, datiert auf den 17. Juli 1938, zeigen, dass der Neunzehnjährigen ihr Sinn für Humor trotz der schwierigen Zeiten nicht abhanden gegangen war. Offenbar zeigen die Bilder Ursula mit ihrer Schwester und ihren Eltern, wie sie ein letztes Mal feiern vor der Abreise Ursulas in die USA.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Ursula Meseritz Elgart Familie Sammlung, AR 25544

Original:

Archivbox 1, Ordner 5

Aus dem „Roten Wien“ vertrieben

Die Nutzung öffentlichen Wohnungsbaus verwehrt, wird auch die Einreise in die Schweiz nicht gestattet

„Indem wir uns auf Ihre Eingabe vom 10. Juni 1938 berufen, müssen wir Ihnen leider mitteilen, dass Ihrem Gesuche um Bewilligung der Einreise in die Schweiz zur Zeit nicht entsprochen werden kann.“

Bern/Wien

Für einen eingefleischten Sozialdemokraten wie den Journalisten, Übersetzer und Schriftsteller Maurus (Moritz) Mezei, müssen die Veränderungen, die unmittelbar nach der ungehinderten Annexion des Landes durch Nazi-Deutschland in Österreich Platz griffen, doppelt problematisch gewesen sein. Während der Ära des „Roten Wien“, der ersten Zeit demokratischer Regierung der Stadt von 1918 bis 1934, war Familie Mezei in den Karl-Marx-Hof, einen Gemeindebau (Komplex von Sozialwohnungen) gezogen. Von 1938 an waren „nicht-arische“ Familien wie die Mezeis mit der Ausweisung aus dem Komplex bedroht. Während nach dem Regierungswechsel anfänglich der Mieterschutz auch für Juden in Kraft blieb, galt er nicht für Gemeindebauten. Am 10. Juni hatte Mezei die Einwanderung in die Schweiz beantragt, doch die Antwort, geschrieben am 14. Juli, fiel negativ aus: Nur wenn er ein Einreisevisum für ein überseeisches Land beschaffe, würden die Schweizer Einwanderungsbehörden seinen Fall erneut überprüfen und ihm möglicherweise vorläufiges Asyl gewähren.

QUELLE

Institution:

Jüdisches Museum Wien

Original:

Brief der Eidgenössischen Fremdenpolizei an Maurus Mezei ; Inv. Nr. 20991/ 26

Kein Berg zu hoch

Von den Nazis getrennt, bleiben Käthe und Regina in Kontakt

„Es lohnte sich um dessetwillen schon oft etwas wie ein Tagebuch zu führen. Und auch noch um vieler anderer Dinge Willen, die nur in unserem Jahrhundert sich zutragen. Tuen [sic] Sie dies, wenn Sie können, Tapfere, Bewunderungswürdige. Sie haben wohl manches zu sagen, aus diesem Abstand, Reflektionen, wirkliche, nicht erkünstelte.“

St. Gallen/Binghamton, New York

Käthe Hoerlin und Regina Ullmann hatten mindestens drei Dinge gemeinsam: Beide hatten jüdische Vorfahren, beide traten zum Katholizismus über und bei beiden wirkte das Nazi-Regime massiv auf den Lebensverlauf ein. Regina Ullmann, eine Dichterin und Schriftstellerin, wurde vom Schutzverband deutscher Schriftsteller ausgeschlossen und verließ Deutschland, um in ihre Heimatstadt St. Gallen (Schweiz) zurückzukehren. Käthe Hoerlins erster Ehemann, der Musikkritiker Willi Schmid, war 1934 aufgrund einer Verwechslung von den Nazis hingerichtet worden.Tage nach dieser Tragödie erfuhr Käthe, die als Pressesprecherin der verhängnisvollen Nanga Parbat-Expedition fungierte, dass neun der Teilnehmer tödlich verunglückt waren. Dank der Hilfe eines Nazi-Beamten, der ihr nach Schmids Tod mit ihren Entschädigungsforderungen geholfen hatte, bekam sie 1938 Erlaubnis, den nicht-jüdischen Bergsteiger und Physiker Hermann Hoerlin zu heiraten (Eheschließungen zwischen „Halbjuden“, wie ihre Klassifizierung lautete, und „deutschblütigen Personen“ erforderten Sondergenehmigungen, die nur selten erteilt wurden). — Diesen Brief voller aufrichtiger Empathie und Interesse am Wohlergehen der Freundin in der neuen Umgebung und des Ausdrucks ihrer katholischen Identität schrieb Regina Ullmann gleich nach der Emigration der Hoerlins in die Vereinigten Staaten.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Kate und Herman Hoerlin Sammlung, AR 25540

Original:

Archivbox 2, Ordner 13

Absage

Von der Post gekündigt weil sie Jüdin war, sucht Johanna eine neue Anstellung

„Ich bin 37 Jahre alt, war 14 Jahre auf dem Postamt Berlin und bin auf Grund des Arierparagraphen entlassen worden. Das Amt war mit meinen Leistungen sehr zufrieden.“

Berlin

„Der betreffende Posten ist bereits anderweitig besetzt“, hieß es lapidar als Antwort zu einer Bewerbung der ehemaligen Postbeamtin Johanna Rosenthal vom 11. Juli 1938. Nach 14 Dienstjahren bei der Deutschen Reichspost war sie Jahresende 1933 entlassen worden. Das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ hatte ihre Beschäftigung als Jüdin im öffentlichen Dienst, was sie in ihrem Schreiben auch anmerkt, unmöglich gemacht. Die ihr übergangsweise zugesprochene Rente von 68 Reichsmark im Monat reichte indes nicht zum Lebensunterhalt. So versuchte sie, als einfache Telefonistin Arbeit zu finden.

QUELLE

Institution:

Deutsches Historisches Museum

Original:

Bewerbungsschreiben von Johanna Rosenthal mit Ablehnungsvermerk ; Inv.Nr. Do2 2002/762

Das Loew-Sanatorium

Jüdische Ärzte werden arbeitslos als das bekannte Sanatorium schließt

„Zahlreiche jüdische Ärzte in Wien haben durch die Schließung des berühmten Loew-Sanatoriums ihren Lebensunterhalt verloren.“

Wien

Bis zu seiner zwangsweisen Schließung, von der die Jewish Telegraphic Agency am 7. Juli 1938 berichtete, diente das Loew-Sanatorium als Privatkrankenhaus für Wohlhabende in Wien. Prominente jüdische und nicht-jüdische Patienten kamen hierher, um sich behandeln oder operieren zu lassen. Unter den vielen illustren Patienten der Einrichtung waren der Philosoph Ludwig Wittgenstein, der Komponist Gustav Mahler, der Maler Gustav Klimt und die Gesellschaftsdame und Komponistin Alma Mahler-Werfel. Der Bericht der JTA erwähnt insbesondere die jüdischen Ärzte, die infolge der Schließung des Krankenhauses ihre Anstellung verloren. Laut der von den Nazis aufgestellten Kriterien waren unter Wiens 4900 Ärzten nicht weniger als 3200 Juden und „Judenstämmlinge“, während etwa ein Drittel der Ärzte im ganzen Land jüdischer Abkunft waren.

Dr. Singers Koffer

Lilian Singer war eine Pionierin und Ärztin in Prag

PRAG

Lilly Popper (später Lilian Singer) wurde 1898 in Brünn geboren. Nach dem Gymnasium nahm sie in Wien ein Medizinstudium auf, das sie in Berlin weiterführte. Dort machte sie 1923 ihren Führerschein, was für Frauen gerade erst gesellschaftlich akzeptabel zu werden begann. Nach mehreren Jahren Unterbrechung, die sie teils teils bei einer Firma in Amsterdam, teils im väterlichen Geschäft verbrachte, nahm sie das Studium wieder auf. 1933 promovierte sie an der Friedrich Wilhelms Universität in Berlin, die seit 1892 Frauen als Gasthörerinnen (und seit 1908 als Studentinnen) zuließ, eine Gelegenheit, die anfangs von einer überproportional großen Anzahl von Jüdinnen ergriffen wurde. Mit dem „Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen“ vom April 1933 begrenzten die Nazis die Zulassung von Juden und Frauen zu höherer Bildung, wovon Ausländer allerdings nicht betroffen waren. Nach dem Studienabschluss kehrte Lilian in die Tschechoslowakei zurück. 1938 war sie in der Facharztausbildung zur Chirurgin an einem Lehrkrankenhaus in Prag. Der auf dem Foto abgebildete Koffer begleitete sie auf ihren vielen Reisen.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Lilian Singer Sammlung, AR 25363

Original:

LBI Sammlung der Historischen Objekten

Richtungswechsel

Der „Hilfsverein der Juden in Deutschland“ unterstützt jüdische Aus- anstatt Einwanderer

Berlin

Der 1901 in Berlin gegründete „Hilfsverein der deutschen Juden“ unterstützte vor allem jüdische Einwanderer nach Deutschland. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten kümmerte sich der nun zwangsweise umbenannte „Hilfsverein der Juden in Deutschland“ umgekehrt um die Vorbereitung und Umsetzung der Emigration aus Deutschland. Dazu bot er Hilfe bei Behördenfragen, Passangelegenheiten oder beruflicher Umschulung an und gewährte auch finanzielle Unterstützung. Ein wichtiges Organ für seine Arbeit war das Periodikum „Jüdische Auswanderung“, das über allgemeine Lebens- und Arbeitsbedingungen, aber auch über spezifische Fragen jüdischer Kultur in verschiedenen Ländern informierte. Im Juli-Heft von 1938 wurden die USA, Kuba und die Philippinen vorgestellt.

QUELLE

Institution:

Deutsches Historisches Museum

Original:

Informationsheft „Jüdische Auswanderung“. Korrespondenzblatt für Auswanderungs- und Siedlungsfragen ; Inv. Nr: Do2 91/194

Dass einem schwindelig wird

Ständig ändernde Bestimmungen zu Ausreise und Ausfuhr

„Ihr werdet sagen, warum ist das nicht schon geschehen, aber das liegt an der raschen Folge der Vorschriften & da ist so rasch die Auskunft nicht erhältlich.”

FRANKFURT AM MAIN/NEW YORK

Dieser Brief eines Vaters an seine Kinder wird fast ausschließlich dominiert von Sorgen bezüglich des Transfers von Personen und Gegenständen aus dem deutschen Staatsgebiet hinaus. Laut dem Schreiber änderten sich die Bestimmungen mit solcher Geschwindigkeit, dass es schwierig war, den Überblick zu behalten. Letztens war verfügt worden, dass sowohl für Umzugsgut als auch für Reisegepäck detaillierte, genehmigungspflichtige Listen einzureichen seien. Dies konnte recht zeitraubend sein. Der Schreiber des Briefes hatte das Gefühl, die Geschwindigkeit, mit der Antworten gegeben wurden hielte nicht Schritt mit der Geschwindigkeit der Veränderungen, die Erkundigungen erforderlich machten.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Gerda Dittmann Sammlung, AR 10484

Original:

Archivbox 1, Ordner 3

Gestapo-Schutzhaftbefehl

Malerin Lea Grundig im Dresdner Gerichtsgefängnis

Berlin/Dresden

Der Gestapo-Schutzhaftbefehl vom 29. Juni 1938 bestätigte die bis dahin formell nur vorläufig gültige Festnahme der jüdischen und kommunistischen Malerin Lea Grundig (siehe auch Eintrag vom 1. Juni). Nach ihrer Verurteilung wegen Hochverrats war Grundig im Dresdner Gerichtsgefängnis.

QUELLE

Institution:

Deutsches Historisches Museum

Original:

Schutzhaftbefehl der Zentrale der Geheimen Staatspolizei Berlin für Lea Grundig; Inv.Nr. Do 62/1126.4

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