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Alles in Ordnung im Gefängnis

Die Briefe des Häftlings Alfred Rahn

„Es geht mir den Verhältnissen entsprechend gut und wenn ihr euch keine Sorgen macht, dann werde ich alles doppelt so leicht tragen können.“

Nürnberg/Fürth

Da er das Familienunternehmen nicht aufgeben wollte und in der Hoffnung, die Situation der Juden werde sich mit der Zeit wieder bessern, hatte Alfred Rahn zunächst gezögert, an Emigration zu denken. 1937 jedoch besorgte sich die Familie Visen für die Vereinigten Staaten und verkaufte das Geschäft an einen Nicht-Juden. Da die Nazis dem Verkauf nicht offiziell zugestimmt hatten, bezichtigten sie Rahn der versuchten Unterschlagung und er wurde zu einer 14-monatigen Haftstrafe verurteilt. Aus der Haft schreibt Rahn seiner Frau Lilli in sachlichem Ton von seiner Hoffnung auf Verlegung in eine andere Abteilung, von der ihm auferlegten Arbeit und von seiner Lektüre und erweckt den Eindruck, alles sei in bester Ordnung.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Rahn Familie, AR 25538

Original:

Archivbox 1, Ordner 10

25 Pfennige

Jüdische Winterhilfe lindert bitterste Armut mit Pflichtbeitrag für Juden in Deutschland

„In gewissen Gemeinden dieser Bezirke beträgt die Anzahl der Notleidenden 40 bis 90 Prozent der gesamten jüdischen Bevölkerung. Das ist teilweise durch die Tatsache erklärbar, dass ländliche Gemeinden der vollen Kraft der antisemitischen Propagandamaschinerie besonders offen gegenüberstehen.“

Berlin

Mitte Februar 1938 berichtet die „Jewish Telegraphic Agency“, seit Jahren eine aufmerksame Beobachterin der Situation der deutschen Juden, einmal wieder über die Situation der Glaubensbrüder in Deutschland und die Bemühungen der Jüdischen Winterhilfe, den akuten Bedürfnisse der Ärmsten gerecht zu werden. Während der neue Pflichtbeitrag eine vorübergehende Erleichterung bedeutet und das Überleben des Winters einfacher macht, führen die zahlreichen Berufsverbote für Juden, die das Naziregime seit 1933 verhängt, zu einer irreversiblen Verschlechterung ihrer materiellen Situation.

Familie transkontinental

Physische Ängste, wirtschaftliche Sorgen und emotionale Zwangslagen

„Nebenbei, hast Du zufällig Mutters Schmuck bei Dir? Mutter hat mich nämlich gefragt, ob ich Dir etwas davon gesagt hätte, denn ich habe ihnen geraten, ihn zu verkaufen, damit sie etwas haben, wovon sie leben können.“

Chelles/New York

Im Februar 1938 diskutieren zwei Brüder, die auf verschiedenen Kontinenten leben, Joszi Josefsberg in Europa (Chelles, Frankreich) und Arthur Josefsberg in Amerika (New York) in ihrer Korrespondenz, wie man Bürgschaften für die Eltern beschaffen könnte, um diese zu retten. Aber nicht nur die noch nicht sichergestellte Emigration der Eltern beunruhigt Joszi, den Schreiber des Briefes – auch um ihr materielles Überleben macht er sich Sorgen. Überlegungen dieser Art waren weit verbreitet unter Juden, die Eltern, Geschwister und oft auch Ehepartner zurückgelassen hatten. Während der jahrelangen Bemühungen der Nazis, Juden aus zahlreichen Berufen zu verdrängen, war es für die in Deutschland zurückgebliebenen immer schwierger geworden, ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

 

Einige Monate nach Abschluss des 1938Projekts erfuhr das LBI, dass der Brief bei der Transkription falsch datiert wurde. Obwohl der Brief später als Februar 1938 geschrieben wurde, beschloss das LBI, ihn aufgrund des wichtigen Inhalts weiterhin im Projekt unter dem bisherigen Datum zu belassen.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Korrespondenz von Arthur Josefsberg, AR 25590

Original:

Archivbox 1, Ordner 1

Aus dem Leeren schöpfen

Wie ihrer Familie in Deutschland helfen, wenn sie selbst kaum über die Runden kommt?

„Ich habe mich an eine alte Bekanntschaft erinnert und geschrieben, man hat sehr nett geantwortet und ich hoffe, dass er in den nächsten Tagen sich bei mir meldet. Ich will mal Ratschläge hören wegen der Ollen und so [...].“

Turin/Rom

In diesem kurzen, schwesterlich-saloppen Brief aus Turin an ihre Schwester Anneliese in Rom kommuniziert Elsa Riess ihre Sorgen um die Eltern, die in Deutschland zurückgeblieben sind. Elsa macht sich Gedanken wegen der beruflichen Situation des Vaters und äußert ihre Absicht, sich nach Möglichkeiten zu erkundigen, den Eltern zu helfen, von denen sie seit einiger Zeit nicht gehört hat. Anneliese war 1933 nach Rom gegangen, um Archäologie zu studieren und hatte 1936 promoviert. Aufgrund ihrer eigenen unsicheren materiellen Situation war sie nicht in der Lage, ihren Eltern finanziell unter die Arme zu greifen. Da sie als Ausländerin in Italien keine Anstellung finden konnte und in der Hoffnung, durch den Erwerb einer praktischen Fähigkeit ihre Erwerbschancen zu verbessern, belegte sie 1937 in Genf einen Kurs als Kinder- und Säuglingsschwester.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Anneliese Riess, AR 10019

Original:

Archivbox 1, Ordner 9

Jahreschronik 1938

Gesetz über die Änderung von Vor- und Familiennamen

Seite aus dem Protokollbuch der Gesellschaft der Freunde in Berlin, 1792 - 1793.

Mit dem Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen regeln die Nationalsozialisten die Änderung des Namens von deutschen Staatsangehörigen oder Staatenlosen mit Wohnsitz im Deutschen Reich. Das Gesetz ermächtigt den Reichsminister des Innern, Vorschriften über die Führung von Vornamen zu erlassen und Vornamen zu ändern, die diesen Vorschriften nicht entsprechen. Eingeschlossen sind Namen, die noch vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 geändert worden waren. Dies betrifft vor allen Dingen assimilierte Juden, die einen als typisch jüdisch geltenden Nachnamen abgelegt hatten und sich nach Ansicht der Nationalsozialisten damit tarnten. Mit dem Erlass des Gesetzes war die rechtliche Grundlage für den Plan geschaffen, alle Juden durch einen Zwangsvornamen zu kennzeichnen.

Zur Jahreschronik 1938

Atmosphäre der Ausweglosigkeit

Aus dem Tagebuch eines einstmals gefeierten Beamten des Gesundheitswesens

„Ein von Juden gegründetes Unternehmen nach dem anderen wird „arisiert“ - wie der euphemistische Ausdruck lautet; aus den anderen Betrieben werden die jüdischen Angestellten herausgedrängt und der Wohlfahrt in die Arme getrieben. Die Sperrmark steigt ins Bodenlose, damit wird die Auswanderung der wenigen Kapitalisten noch erschwert.“

Berlin

„Möge es Ihnen vergönnt sein, Ihre bewährten Kräfte noch recht lange dem Wohle und zum Nutzen der Stadt widmen zu können.“ Mit diesen Worten gratulierte der Berliner Bürgermeister, Heinrich Sahm, Prof. Erich Seligmann, dem Direktor der Wissenschaftlichen Institute im Hauptgesundheitsamt und der obersten Instanz in Fragen der öffentlichen Gesundheit, im Oktober 1932 zu seinem 25. Dienstjubiläum. Kaum ein halbes Jahr später, im März 1933, wurde Seligmann entlassen – ungeachtet seiner anerkannten wissenschaftlichen Leistungen und seiner herausragenden Kenntnisse im Bereich der Seuchenbekämpfung, die er u.a. als Stabsarzt im Ersten Weltkrieg unter Beweis gestellt hatte. In diesem Tagebucheintrag aus dem Jahr 1938 berichtet Seligmann in Zusammenhang mit einer geplanten Reise nach Rom, wo er und seine Frau Elsa ihren Sohn Rolf zu treffen hofften, Juden würden „in großem Umfang die Pässe eingezogen“ und es herrsche „eine Atmosphäre der Ausweglosigkeit“.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Erich Seligmann, AR 4104

Original:

DM 79, Tagebuch 2

Die vielen Leben des Leo Perutz

Der Verlust des deutschen Absatzmarktes zwingt zur Auswanderung

„Denn es ist die menschliche Natur, selbst in der äußersten Not einen Funken der Hoffnung zu sehen und ihn zur Flamme zu machen.” ― Leo Perutz, Nachts unter der steinernen Brücke

Wien/Tel Aviv

Leo Perutz kann auf vielfältige Weise beschrieben werden: als Romancier, als Mathematiker, als gebürtiger Prager, als Schach-Liebhaber – um nur einige Möglichkeiten zu nennen. Als Schriftsteller wurde er von Kollegen und Millionen von Lesern bewundert: So groß war sein Erfolg, dass er sich 1923 entschloss, seinen Brotberuf als Versicherungsmathematiker aufzugeben. Die Weltwirtschaftskrise traf ihn schwer, da sie sich nicht nur negativ auf den Buchhandel auswirkte sondern auch die Familienfirma, an der er beteiligt war, weniger profitabel machte. Zu allem Unglück verlor sein jüdischer Verleger, Paul Zsolnay, nach der Machtergreifung mit Deutschland seinen größten Absatzmarkt. Dies ist eines der letzten Fotos von Perutz vor seiner Emigration nach Palästina in 1938.

Jahreschronik 1938

Aktion „Arbeitsscheu Reich”

Plakat des Reichsarbeitsdiensts, 1938.

Heinrich Himmler kündigt einen „einmaligen, umfassenden und überraschenden Zugriff“ auf die „Arbeitsscheuen” an. Arbeitsscheu waren demnach alle Männer im arbeitsfähigen Alter, die zweimal einen ihnen angebotenen Arbeitsplatz abgelehnt oder nach kurzer Zeit aufgegeben hatten. Mit der Durchführung dieser Aktion wird die Gestapo beauftragt, die die nötigen Informationen im Zusammenwirken mit den Arbeitsämtern besorgt. Vom 21. bis 30. April werden reichsweit zwischen 1500 und 2000 Männer als arbeitsscheu identifiziert und im Konzentrationslager Buchenwald inhaftiert. Ein Haftprüfungstermin ist erst binnen des zweiten Haftjahres vorgesehen.

Zur Jahreschronik 1938

Das „Harrods von Berlin“

Das Kaufhaus Natan Israel

Berlin

Diese Ansichtskarte zeigt das älteste und zeitweise größte Kaufhaus Berlins, benannt nach dem Geschäftsgründer, Nathan Israel. Die Familie Israel hatte sich bereits im 18. Jahrhundert in Berlin angesiedelt. Der letzte Standort des Unternehmens war die Spandauer Straße 28, gegenüber vom Roten Rathaus. Unter seinem letzten Direktor, Wilfrid Israel, zeichnete sich das Kaufhaus durch eine außergewöhnlich soziale Einstellung gegenüber den Angestellten aus, für die z.B. eine eigene Kranken- und Sozialversicherung eingerichtet wurde.

Die Schlinge zieht sich zu

Die Reichsvertretung der Deutschen Juden appelliert an die Regierung

„Ein beträchtlicher Teil der Judenheit in Deutschland, die überwiegend aus älteren Menschen besteht, ist nicht imstande zu emigrieren und wird seine Tage in Deutschland beenden. Wenn er dem staatlichen Wohlfahrtswesen nicht zur Last fallen soll, darf er nicht vollkommen von allen Erwerbsmöglichkeiten ausgeschlossen werden. Selbst die Fortsetzung einer geordneten Auswanderung - und nur dies hält die Tore der Auswanderung offen - ist nur dann möglich, wenn die wirtschaftliche Existenzgrundlage der Juden nicht weiter beschränkt wird.”

Berlin

Die zunächst so genannte Reichsvertretung der Deutschen Juden war im September 1933 als Interessenvertretung gegründet worden. Nach dem Erlass der Nürnberger Gesetze musste sie sich in „Reichsvertretung der Juden in Deutschland“ umbenennen. Ihr Präsident war Rabbiner Leo Baeck. Infolge der zunehmenden Verarmung der jüdischen Bevölkerung, der systematisch die Erwerbsmöglichkeiten entzogen wurden, appellierte die Reichsvertretung der Juden in Deutschland an die Regierung, von weiteren Einschränkungen abzusehen: nicht genug damit, dass die fortschreitende Erwerbslosigkeit eine Belastung für das Wohlfahrtssystem bedeute, sie mache auch die Auswanderung unmöglich.

Ein Tipp aus New York

Überweisungen an jüdische Empfänger in Nazi-Deutschland

Wir möchten darauf hinweisen, dass die Benutzung der Haavaramark die jüdische Auswanderung aus Deutschland fördert.

New York

Ein Vertreter des New Yorker Büros der Intria International Trade & Investment Agency Ltd., London, legt einer Klientin in New York nahe, für „Überweisungen an Personen jüdischer Herkunft, die in Deutschland wohnen“, die „Haavaramark“ zu nutzen. Das Haavara (Transfer) -Abkommen war 1933 zwischen zionistischen Vertretern und den Nazis geschlossen worden: Es ermöglichte den Auswanderen, Geld auf ein deutsches Konto einzuzahlen, das für den Import deutscher Waren nach Palästina verwendet wurde. Der Erlös aus dem Verkauf dieser Waren in Palästina, abzüglich von Kosten, wurde an die Neueinwanderer ausgezahlt.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Familie Ludwig Rosenberger, AR 5824

Original:

Archivbox 1, Ordner 25

Große Kleinigkeiten

Ein Brief aus dem Gefängnis

„Under the circumstances I am doing fine, and when I think that it will be already two weeks tomorrow, I can hardly believe it. One must not think and brood too much, that’s the only way to keep one’s spirit up. And that’s what I want!“

Fürth

In Vorbereitung der Auswanderung nach Amerika verkaufte Alfred Rahn im November 1937 die Familienfirma, die Eisen- und Metallhandlung M.S. Farrnbacher in Fürth – ohne Zustimmung der Nazi-Behörden. Anstatt, wie geplant, Ende Dezember in die USA aufzubrechen, musste er deshalb eine 14-monatige Gefängnisstrafe antreten. Von seiner Gefängniszelle in Fürth aus kommuniziert Alfred Rahn Dankbarkeit für empfangene Gaben und weitere Bedürfnisse an seine Frau Lilly, eine Literaturwissenschaftlerin, die 1934 als letzte jüdische Doktorandin die Universität Erlangen absolviert hatte (siehe Eintrag vom 19.2.).

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Familie Rahn, AR 25538

Original:

Archivbox 1, Ordner 10

Krisenmanagement

Fabrikteilhaber reagieren auf die Anforderungen des Tages

„Wie sich die Verhältnisse gestalten werden, kann niemand von uns voraussagen, dass wir an dem gemeinsam Aufgebauten festhalten, solange es geht, kann uns kein Mensch übel nehmen, und ob alles, was wir jetzt oder in nächster Zeit tun, richtig ist, kann auch von niemand abgewertet werden, vielleicht war alles falsch und alles zu spät.”

Göppingen

Familie Fleischer betrieb eine Papierfabrik in Eislingen und lebte im benachbarten Göppingen. In dieser internen Mitteilung werden die Adressaten dringend ermahnt, sich trotz der harten Zeiten an den Geschäftsvertrag zu halten. Der Unterzeichner kündigt an, er werde in die USA reisen, um sich dort zu „orientieren“. Auch wenn die politische Situation nicht explizit erwähnt wird, ist die Spannung deutlich spürbar.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Familie Fleischer-Steiner, AR 25083

Original:

Archivbox 1, Ordner 3

Jahreschronik 1938

Gesetz über die Änderung von Vor- und Familiennamen

Seite aus dem Protokollbuch der Gesellschaft der Freunde in Berlin, 1792 - 1793.

Mit dem Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen regeln die Nationalsozialisten die Änderung des Namens von deutschen Staatsangehörigen oder Staatenlosen mit Wohnsitz im Deutschen Reich. Das Gesetz ermächtigt den Reichsminister des Innern, Vorschriften über die Führung von Vornamen zu erlassen und Vornamen zu ändern, die diesen Vorschriften nicht entsprechen. Eingeschlossen sind Namen, die noch vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 geändert worden waren. Dies betrifft vor allen Dingen assimilierte Juden, die einen als typisch jüdisch geltenden Nachnamen abgelegt hatten und sich nach Ansicht der Nationalsozialisten damit tarnten. Mit dem Erlass des Gesetzes war die rechtliche Grundlage für den Plan geschaffen, alle Juden durch einen Zwangsvornamen zu kennzeichnen.

Zur Jahreschronik 1938

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