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Den Nazibehörden ausgeliefert

Die bürokratischen Erfordernisse der Auswanderung

„Dem Herrn Ernst Aldor, am 30.5.1904 in Wr. Neustadt geboren, zuständig nach Wr. Neustadt in Wien, XVIII., Weimarerstrasse 3 wohnhaft, wird auf sein Ansuchen zum Zwecke der Erlangung des amerikanischen Einreisevisums hiemit [sic] bestätigt, daß gegen ihn Nachteiliges nicht vorgemerkt ist.“

Wien

Nicht lange nach der Machtübergabe an die Nazis verlor das schon während der Weimarer Republik oft eher Hoffnung als Realität reflektierende Motto „Die Polizei – Dein Freund und Helfer“ für Regimegegner und Juden jegliche Bedeutung. Ein bereits im Februar 1933 eingeführtes Gesetz legte fest, dass Polizisten, die gegen Menschen, die als Feinde des Regimes eingestuft wurden, ihre Waffen einsetzten, straffrei ausgehen sollten. Als Teil einer unheiligen Dreifaltigkeit, gemeinsam mit SA und SS, wurde die Polizei schnell zu einem Instrument nationalsozialistischen Terrors. Daher war die Beschaffung eines polizeilichen Führungszeugnisses wahrscheinlich nicht das einfachste der Erfordernisse an angehende Auswanderer, die Visen für die USA beantragen wollten. Am 24. Dezember 1938 wurde dieses wichtige Dokument an den Wiener Ernst Aldor ausgestellt.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Renee Aldor, AR 10986

Original:

Archivbox 1, Ordner 3

Source available in English

Stigmatisierende Bürokratie

Die Namensänderung wird offiziell

„Hierdurch teile ich pflichtgemäss mit, dass obengenannte 4 Personen ab 1. Januar 1939 die zusätzlichen Vornamen ,Sara‘ bzw. ,Israel‘ entsprechend der gesetzlichen Vorschrift führen.“

Schwandorf, Bayern

Am 17. August war dem „Gesetz über die Änderung von Familiennamen“ eine Verordnung beigestellt worden, die deutsche Juden zwang, sich durch die Hinzufügung des Namens „Sara“ bzw. „Israel“ zu ihrem Vornamen als Juden kenntlich zu machen. Diese Bestimmung sollte am 1. Januar 1939 in Kraft treten. Die vollzogene Änderung war bis Ende Januar beim zuständigen Standesamt und bei der Ortspolizei zu melden. In diesem Kontext ist diese Mitteilung der Familie Friedmann vom 21. Dezember 1938 an die Ortspolizeibehörde Schwandorf (Bayern) zu verstehen. Gleichzeitig wird mitgeteilt, dass auch die zuständigen Standesämter von der bevorstehenden Namensänderung Amalie, Bruno, Lillian und Georg Friedmanns in Kenntnis gesetzt worden seien.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung George und Lilian Friedman, AR 7223

Original:

Archivbox 1, Ordner 1

Ein alter Kopf begegnet neuen Herausforderungen

Von der Schwierigkeit, ein älterer Einwanderer zu sein

„Ich selbst habe Englisch und Ivrith angefangen. Es geht aber in einen alten Kopf nur sehr schwer etwas Neues hinein. Geld zum Stundennehmen habe ich nicht.“

Haifa

Im September 1938 hatten Dr. Hermann Mansbach und seine Frau Selma ihr Zuhause in Mannheim verlassen und sich in Haifa niedergelassen. Ihr Sohn Herbert, ein Zahnarzt wie sein Vater, saß in der Schweiz fest und versuchte, sich seinen Eltern anzuschließen. Nach einem Erlass der Nazis im April 1937, laut dem die Verleihung der Doktorwürde an Juden mit sofortiger Wirkung eingestellt zu werden habe, hatte Herbert Deutschland sofort verlassen und sein Studium in der Schweiz zu Ende geführt. Ein Zertifikat zur Einreise nach Palästina zu bekommen, erwies sich als schwierig, und um die Sache noch schlimmer zu machen, war Herbert um sein gesamtes Geld betrogen worden. Am 19. Dezember erstattete Hermann Mansbach Familie Frank in Zürich, die seinem Sohn zur Seite stand, und Herbert selbst Bericht von seinem neuen Leben in Palästina: durch die diskriminierende Politik der Nazis, die darauf hinzielte, das Leben von Juden in Deutschland wirtschaftlich unmöglich zu machen, und kostspielige Auswanderungsauflagen hatte das Ehepaar wenig Geld übrig, was den Neuanfang erschwerte. Dazu hatte er Mühe, Englisch und Hebräisch zu lernen und einen Lebensunterhalt zu verdienen. Als wären das nicht genug, köchelten im Hintergrund pausenlos politische Unruhen. Frau Mannsbach fügte hinzu, dass sie und ihr Mann das Haus nie gleichzeitig verließen, um ja keinen Patienten zu verpassen. Die Lage war schwer, aber, wie Dr. Mansbach schrieb, in einem Konzentrationslager zu sein, wäre schlimmer.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Herbert Joseph Mansbach, AR 7073

Original:

Archivbox 1, Ordner 2

Ein sicherer Ort für Marianne

Leo Baecks Enkelin wird nach England umgeschult

„Ich schreibe Ihnen, um Ihnen mitzuteilen, dass meine Kollegin Fräulein Martin und ich Ihre Tochter Marianne gern als Schülerin in unserer Schule aufnehmen werden.“

Westgate-on-Sea, Kent/Berlin

Für viele jüdische Kinder in Deutschland war der Gang zur Schule zur Qual geworden: die ständige antisemitische Indoktrination deutscher Schüler vergiftete die Atmosphäre. Als Ausführende dieser Politik setzten Lehrer sich selten für ihre jüdischen Schüler ein, und der bloße Akt, in die Schule und zurück zu gehen, konnte zum Spießrutenlaufen werden. Infolgedessen hatte die Zahl jüdischer Schulen stark zugenommen, und wer es sich leisten konnte, schickte seine Kinder auf Internate im Ausland. Als Ruth Berlak in Berlin diese freundliche Nachricht von der St. Margaret’s School in Westgate-on-Sea, Kent, bekam, dass ihre dreizehnjährige Tochter Marianne als Schülerin zugelassen werde, war kaum mehr als ein Monat vergangen, seit das Naziregime die Entfernung jüdischer Schüler aus deutschen Schulen verordnet hatte. — Mariannes Großvater mütterlicherseits war Rabbiner Dr. Leo Baeck, der Präsident der Reichsvertretung der Juden in Deutschland. Ihr Großvater väterlicherseits war Leo Berlak, der Vorsitzende des Verbands jüdischer Heimatvereine.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Brief von Leo Baecks Enkelin, Marianne Dreyfus. Mit freundlicher Genehmigung von Marianne Dreyfus.

Totale Willkür

Juden im Polizeistaat

„Auflage: Sie haben sich sofort bei der Ortspolizeibehörde Ihres Wohnortes Stapostelle Potsdam zu melden.“

Sachsenhausen

Eines der Werkzeuge in den Händen der Nazis, die Juden zu terrorisieren, war willkürliche Inhaftierung: das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 reichte dem Regime die rechtliche Grundlage für die perfide Institution der „Schutzhaft“: Menschen, die man als „Gefahr für die Sicherheit des Volkes“ einstufte, konnten ohne konkrete Anklagepunkte festgenommen werden. Angeblich war die Maßnahme auf politische Gegner ausgerichtet. Tatsächlich wurde sie oft gegen Juden zum Einsatz gebracht. Der Verkäufer Hans Wilk war unter ihren ersten Opfern: 1933, als 24jähriger, verbrachte er über vier Monate im Konzentrationslager Lichtenburg. Während der Pogrome im November 1938 war er unter den etwa 30.000 jüdischen Männern, die in Konzentrationslager gesperrt wurden. Am 16. Dezember wurde er aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen in Oranienburg bei Berlin entlassen. Die Auflage, sofort bei der Staatspolizei seines Heimatorts vorzusprechen, machte deutlich, dass die Schikane noch nicht vorüber war.

Die reine Wahrheit

Berufsverbot für Rechtsanwälte

„[...] ich muss immer wieder sagen, so sehr Ihr uns fehlt und so gross die Sehnsucht ist, so sind wir doch glücklich und zufrieden, dass es Euch so gut geht.“

Hamburg/Broadstairs, Kent

Julie Jonas in Hamburg und ihre Töchter Elisabeth und Margarethe hatten einander geschworen, wahrheitsgemäß über ihr seelisches Wohlbefinden Bericht zu erstatten. Fast täglich wurden Postkarten ausgetauscht. Seit wenigen Wochen waren beide Mädchen in England. Ihr Vater, der Rechtsanwalt Julius Jonas, hatte verschiedene NS-Gesetze, deren Ziel die Verdrängung von Juden und Regimegegnern aus juristischen Berufen war, überdauert. Doch mit Inkraften der „Fünften Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ am 30. November 1938 wurde er aus der Anwaltschaft ausgeschlossen. Der 15. Dezember war sein Geburtstag. Schon am Vortag hatte Julie Jonas den Kindern geschrieben, ihre Nerven seien „recht dünn“ geworden und es sei ihnen gar nicht nach Geburtstag zumute. Trotzdem bemühte sie sich tapfer, ihre Freude über das gute Befinden der Mädchen zu zeigen.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Samlung Elizabeth Melamid, AR 25691

Original:

Archivbox1, Ordner 1

Mit dem Segen der Nazis

Eine jüdisches Presseerzeugnis mit dem Segen des Propagandaministeriums

„R.M.f.V.u.P. [Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda] (Abt. 2A) Gegen das Erscheinen dieser Ausgabe (Nr. 6 vom 13.XII.38) bestehen keine Bedenken. Das ,Jüdische Nachrichtenblatt‘ ist zur Verbreitung im jüdischen Bevölkerungsteil des deutschen Reichsgebietes genehmigt.“ Berlin, den 12.XII.38 gez. Hinkel (aus der Berliner Ausgabe des Jüdischen Nachrichtenblatts)

WIEN

Bis 1938 gelang es Dutzenden jüdischer Periodika, dem zunehmenden Druck des Regimes standzuhalten. Bereits ab 1935 waren sie allerdings nicht mehr im öffentlichen Verkauf erhältlich, und ab 1937 unterlag die Freiheit der Berichterstattung erheblichen Einschränkungen. Nach der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November wurde mit einem umfassenden Verbot die über 130jährige Geschichte der jüdischen Presse in Deutschland abrupt beendet. Um dennoch durch ein spezifisch an Juden gerichtetes Blatt amtliche Verlautbarungen verbreiten zu können, wurde das „Jüdische Nachrichtenblatt“ ins Leben gerufen, dessen erste Ausgabe am 23. November in Berlin herauskam. Zwar von Juden redigiert, unterlag es der völligen Kontrolle durch das Reichministerium für Volksaufklärung und Propaganda. Am 13.12. erschien erstmals die Wiener Ausgabe.

Widersprüchliche Botschaften

Die Nazi-Presseagentur verbreitet Fehlinformation

„Eine Untersuchung ergab, dass die Verlautbarung, die ankündigte, nach dem 1. Januar würden bestimmte Straßen, Hotels und Restaurants Juden wieder zugänglich sein und empört jede Andeutung zurückwies, das Reich beabsichtige die Einrichtung eines Ghettos, nur für den ausländischen Gebrauch veröffentlicht wurde.“

Berlin

Inzwischen war die Verbannung der Juden aus dem öffentlichen Raum weit fortgeschritten. Bereits 1933 waren jüdische Kulturschaffende aus dem staatlichen Kulturbetrieb entlassen worden. Seit dem 12.11. 1938 waren Juden auch als Publikum für „Darbietungen der deutschen Kultur“ nicht mehr zugelassen, wurden sie aus Konzertsälen, Opernhäusern, Kinos, Bibliotheken und Museen verbannt. Immer mehr Restaurants und Geschäfte verwehrten Juden den Zutritt. Am 12. Dezember 1938 wies die Jewish Telegraphic Agency auf eine auffallende Diskrepanz hin: Während das Deutsche Nachrichtenbüro, die zentrale, den Weisungen des Propagandaministeriums folgende Presseagentur des Reichs, im Ausland verbreitete habe, es sei ab dem 1. Januar 1939 mit der Lockerung gewisser anti-semitischer Maßnahmen zu rechnen, sei den Juden im Reich eher das Gegenteil kommuniziert worden. Aus einer Tatsache werde jedoch kein Hehl gemacht: das Ziel sei, sämtliche Juden zur Auswanderung zu veranlassen, „auch im Interesse der Juden selbst“, wie es das DNB formulierte.

Jahreschronik 1938

Aktion „Arbeitsscheu Reich”

Plakat des Reichsarbeitsdiensts, 1938.

Heinrich Himmler kündigt einen „einmaligen, umfassenden und überraschenden Zugriff“ auf die „Arbeitsscheuen” an. Arbeitsscheu waren demnach alle Männer im arbeitsfähigen Alter, die zweimal einen ihnen angebotenen Arbeitsplatz abgelehnt oder nach kurzer Zeit aufgegeben hatten. Mit der Durchführung dieser Aktion wird die Gestapo beauftragt, die die nötigen Informationen im Zusammenwirken mit den Arbeitsämtern besorgt. Vom 21. bis 30. April werden reichsweit zwischen 1500 und 2000 Männer als arbeitsscheu identifiziert und im Konzentrationslager Buchenwald inhaftiert. Ein Haftprüfungstermin ist erst binnen des zweiten Haftjahres vorgesehen.

Zur Jahreschronik 1938

Banken als Komplizen

Deutsche Banken sperren jüdische Konten

„Selbst das Kind habe ich weggeschickt. Die Angst und Unsicherheit im eigenen Haus ist zu gross. Ich sitze und schreibe an Patienten und bitte die Rechnung zu bezahlen. Zum ersten Mal in meinem Leben muss ich um Geld bitten.“

Berlin

Als Doppelverdienern ging es den Nathorffs jahrelang materiell recht gut: die Kinderärztin Hertha Nathorff war Leiterin eines vom Roten Kreuz betriebenen Kinder- und Säuglingsheimes in Berlin-Charlottenburg, ihr Mann Erich Internist am Krankenhaus Moabit. Daneben führte das Ehepaar eine private Praxis. Kurz nach Machtantritt der Nazis verloren beide ihre Stellen, führten aber weiter die gemeinsame Praxis, bis im September 1938 allen jüdischen Ärztinnen und Ärzten die Approbation entzogen wurde. Erich Nathorff war unter den wenigen, die als sogenannte „Krankenbehandler“ ausschließlich jüdische Patienten versorgen durften. Doch während der Novemberpogrome wurde er festgenommen und im Konzentrationslager Sachsenhausen inhaftiert. Am 4. Dezember vertraute Hertha Nathorff ihrem Tagebuch an, sie habe wegen der Unsicherheit der Lage den Sohn „weggeschickt“ und stecke in finanziellen Schwierigkeiten: Infolge der Politik der Nazis, die Konten von Juden zu sperren, die materiell zur Auswanderung in der Lage waren, hatte sie keinen Zugriff auf ihr Geld.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Hertha Nathorff, Reichstagsbrand, ME 460

Original:

Archivbox 1, Ordner 1

Kunst in Kisten

Die Erbin eines Kunstsammlers trifft Vorbereitungen zur Auswanderung

„Gegen die Ausreise der Spitzer, Hanna, Privatlehrerin habe ich keine Bedenken.“

Wien

Hätte die Geschichte Österreichs einen normalen Verlauf genommen, so wäre die Privatlehrerin Hanna Spitzer wohl in Wien geblieben und als geachtete Bürgerin dort alt geworden. Als Tochter des 1923 verstorbenen Juristen und Kunstförderers Dr. Alfred Spitzer war sie Miterbin einer bedeutenden Kunstsammlung, die Werke solcher Größen wie Kokoschka und Slevogt umfasste. Auch Egon Schiele war darin vertreten – u.a. mit einem Portrait Alfred Spitzers, der sein Rechtsanwalt und Förderer gewesen war und seinen Nachlass verwaltet hatte. Doch die Flut antisemitischer Maßnahmen, die durch den „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland losgetreten worden war, machte das Bleiben unerträglich und gefährlich: Diese Abschrift einer steuerlichen Unbedenklichkeitsbescheinigung vom 24. November 1938 gibt Zeugnis von Hanna Spitzers Bemühungen, die Papiere zusammenzustellen, die für die Auswanderung benötigt wurden. Den Transport von 11 Kisten Umzugsgut, darunter Bilder, nach Melbourne und eine weitere Sendung an die Adresse ihrer Schwester Edith Naumann in Haifa hatte sie bereits im Januar in die Wege geleitet.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Hanna Spitzer, AR 25537

Original:

Archivbox 2, Ordner 2

Berufsverbot in allen Künsten

Ungeeignet für die Förderung deutscher Kultur

„Nach dem Ergebnis meiner Überprüfung der in Ihren persönlichen Verhältnissen begründeten Tatsachen besitzen Sie nicht die erforderliche Eignung und Zuverlässigkeit, an der Förderung deutscher Kultur in Verantwortung gegenüber Volk und Reich mitzuwirken.“

Berlin/Dresden

Die Arbeiten des expressionistischen Malers und Grafikers Bruno Gimpel waren im Dritten Reich als „entartete Kunst“ eingestuft. Weder sein freiwilliger Dienst als Lazarettgehilfe im Ersten Weltkrieg noch seine „Mischehe“ mit einer „arischen“ Frau ersparten ihm die üblichen Repressalien: Am 22. November 1938 erhielt er einen Brief von der Reichskammer der bildenden Künste, die ihm erneut die Mitgliedschaft verweigerte und ihm Berufsverbot in allen Sparten seines Metiers erteilte. 1935 hatte diese Institution des Dritten Reiches schon einmal ein Aufnahmegesuch des Dresdner Künstlers abgeschlagen. Seit 1937 blieb ihm zum Broterwerb nichts anderes übrig, als jüdischen Kindern Zeichenunterricht zu erteilen.

QUELLE

Institution:

Deutsches Historisches Museum

Sammlung:

Schreiben des Präsidenten der Reichskammer der bildenden Künste mit der Ablehnung des Antrages auf Mitgliedschaft von Bruno Gimpel

Vom Regen in die Traufe

Schwindender Freundeskreis

Seit 14 Tagen sind die alten Goldmanns sang- und klanglos verschwunden. Wir wissen nicht, wo sie sind.

BERLIN

Schon einmal hatten die Intrators fliehen müssen: Die judenfeindliche Atmosphäre in ihrer polnischen Heimat hatte Rachel (Rosa) und Jakob Intrator 1905 veranlasst, ihren Wohnsitz nach Berlin zu verlegen. Der im selben Jahr geborene Sohn Alexander wurde ein erfolgreicher Konzertgeiger. Der fünf Jahre jüngere Gerhard studierte Jura, doch kaum waren die Nazis an die Macht gebracht worden, begannen sie, systematisch jüdische Juristen zu verdrängen. Angesichts der Aussichtslosigkeit einer juristischen Karriere in Deutschland emigrierte der 27jährige 1937 in die Vereinigten Staaten. Nun war er massiv bemüht, die Eltern nachzubringen. Am 19.11. berichtete ihm sein Vater Jakob vom Erhalt der zur Einwanderung nötigen Bürgschaft (“affidavit”). Allerdings sei in näherer Zukunft nicht mit Visen zu rechnen. Unterdessen wurde der Kreis der Verwandten und Freunde immer kleiner: Manche wurden von den Nazis zur Rückkehr nach Polen gezwungen. Andere verschwanden einfach.

QUELLE

Institution:

Mit freundlicher Genehmigung von Joanne Intrator

Sammlung:

Brief von Jakob Intrator an Gerhard Intrator

Wo ist Paul Weiner?

Verstörende Nachrichten von den Verwandten

„Paul, der Ärmste, ist schon eine Woche im Konzentrationslager, wo, weiß Berta auch nicht, die Wohnung ist bis auf das Schlafzimmer total demoliert [...].“

Basel/New York

Willi Jonas und seine Frau Hilde führten ein Schuhgeschäft im ruhigen Basel. Voller Sorge um die Verwandten in Deutschland, schickte Willi Jonas seinen Schweizer Chauffeur, um die Lage zu erkunden. In einem Brief vom 18. November 1938 berichtet das Ehepaar ausgewanderten Freunden in Amerika von den Erlebnissen ihrer Angehörigen während und nach der Pogromnacht: Louis Jonas, ein Viehhändler in Waldbreitbach bei Neuwied, ist ohne materielle Verluste davongekommen. Nachdem er aber vier Tage im Gefängnis verbringen musste und nur deshalb freigelassen wurde, weil er über fünfzig ist, will er nichts mehr, als Deutschland zu verlassen. Die Nachrichten aus Worms sind noch beunruhigender: Paul Weiner ist in ein Konzentrationslager gebracht worden, und niemand hat es für nötig befunden, seine Frau Berta (geb. Jonas) wissen zu lassen, in welches. Die Wohnung des Paares wurde fast vollständig zerstört, ein Teil des Besitzes gestohlen.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Betty und Morris Moser, AR 25497

Original:

Archivbox 1, Ordner 3

Source available in English

No reprieve

The wave of violence continues

A new wave of arrests, accompanied by violence, has netted hundreds of Jewish victims in the last 48 hours in Frankfurt-am-Main and other provincial centers.

Berlin

Whoever had hoped that peace and quiet would return after the pogroms on and through the night of November 9th to 10th (later known as „Kristallnacht“ or „Night of Broken Glass“) had been mistaken. In its November 17th dispatch, the Jewish Telegraphic Agency gives account of a new wave of arrests and violence. The initial round of violence had been orchestrated to look like a spontaneous outburst of popular rage after the assassination of an employee at the German Embassy in Paris, Ernst vom Rath, at the hand of a 17-year-old Jew. The pogrom was followed by a series of legislative measures eliminating Jews from commercial life in Germany and forcing them to “restore the streetscape” after the arson attacks on synagogues and the destruction of Jewish businesses. Apparently, the diplomat’s funeral in Düsseldorf was now serving as a subterfuge for renewed violence. The US consulate in Berlin was flooded by Jews seeking asylum for fear of additional assaults—in vain, as the article states.

QUELLE

Institution:

Jewish Telegraphic Agency

Sammlung:

“Hundreds Seized in New Wave of Arrests, Violence; 3,000 Jews Seek U.S. Protection”

Original:

Box 1, folder 9

Source available in English

Sensibler Exzentriker

Ein politischer Aktivist gibt auf

Berlin

In diesem Portrait eines jungen Mädchens zeigt sich der eher als scharf bekannte Künstler John Hoexter von einer ungewöhnlich milden Seite. Der Expressionist und Dadaist war ein linker Aktivist und Idealist, der nichts vom Geldverdienen verstand: jahrelang steuerte er Beiträge für das Magazin „Der blutige Ernst“ bei, das undogmatisches linkes Gedankengut verbreitete. Die erstklassigen Mitarbeiter des Blattes arbeiteten ohne Bezahlung. Hoexters finanzielle Situation wurde auch dadurch belastet, dass er beim Versuch, sein Asthma unter Kontrolle zu halten, schon früh im Leben morphiumsüchtig geworden war. So war er gezwungen, sich neben seinem erheblichen künstlerischen Talent auch Fähigkeiten als „Schnorrer“ anzueignen. Er war zu Hause im Kreis der Bohemiens, die Orte wie das „Cafe Monopol“ und das „Romanische Cafe“ bevölkerten. Nach der Machtübergabe an die Nazis 1933 schrumpfte Hoexters linker Freundeskreis mehr und mehr, was ihn, zusammen mit der fortschreitenden Erniedrigung der Juden durch das Regime, schwer belastete. Unter dem Eindruck der während der Pogromnacht erlebten Gewalt beging Hoexter am 15. November Selbstmord.

Jahreschronik 1938

Ausschluss jüdischer Kinder vom Schulbesuch

Ein Schüler übt Hebräisch in der jüdischen Goldschmidt-Schule in Berlin, 1938.

Die Nationalsozialisten verweisen jüdische Kinder der öffentlichen Schulen. Jüdische Kinder dürfen nur noch segregierte jüdische Schulen besuchen, die die jüdischen Gemeinden führen und finanzieren müssen — zu einem Zeitpunkt, zu dem jüdischen Gemeinden jegliche wirtschaftliche Grundlage bereits entzogen ist.

Zur Jahreschronik 1938

Solidarität

Die öffentliche Meinung in Großbritannien ist einstimmig

„Die erste Lehre, die wir aus den Verfolgungen ziehen sollten", sagte Sir Archibald, „ist die dringende Notwendigkeit einer großzügigen Erfüllung britischer Verpflichtungen gegenüber den Juden in aller Welt und dem Völkerbund gemäß dem Palästina-Mandat.“

London

Nach Ansicht der Jewish Telegraphic Agency waren alle Teile der Öffentlichkeit in England vereint in ihrem Entsetzen über den Ausbruch anti-jüdischer Gewalt in Deutschland: Indem sie „Empörung und Ekel“ zum Ausdruck brachten und die jüngste anti-jüdische Gewalt in Deutschland als „Rückfall in die Barbarei“ und als „unmenschliche Raserei“ bezeichneten, verurteilten sie die von den Nazis inszenierten Pogrome. Manche, wie die Sunday Times und Sir Archibald Sinclair, der Führer der Liberalen Partei, nahmen die Geschehnisse zum Anlass, die Notwendigkeit einer nationalen Heimstätte für die Juden zu bekräftigen.

Keine Spur von Onkel Arthur

Konzentrationslager als Kollektivstrafe

„Vorläufig wurden nur 2 Verordnungen verlautbart: die 1., dass bis Januar alle jüdischen Betriebe aufgelöst sein müssen. Die 2. war, dass den Juden einen Betrag von 1 Milliarde Reichsmark auferlegt wird. Brrrrrr!“

Wien

Harry Kranner war 12 Jahre alt, als die Nazis eine Welle anti-jüdischer Gewalt inszenierten, wie es sie in diesem Umfang und in solcher Intensität noch nie gegeben hatte – angeblich ein „spontaner Ausbruch des Volkszorns“ als Reaktion auf die Ermordung eines Angestellten der deutschen Botschaft in Paris durch einen jungen Juden. Harrys Tagebucheinträge zeigen jedoch, dass er sich des Geschehens um ihn herum sehr wohl bewusst war. Am frühen Morgen des 10. November, als die grausamen Ereignisse der Nacht von Deutschland nach Österreich hinüberzuschwappen begannen, waren zwei Gestapobeamte in die Wohnung der Familie in Wien gekommen – angeblich auf der Suche nach Waffen. Harry verstand, welches Glück er gehabt hatte, mit dem Schrecken davonzukommen: er hatte von Juden gehört, die in ihre Wohnungen ein- oder aus ihnen ausgesperrt worden waren. Aber eine große Sorge blieb: am 12. November gab es noch immer keine Spur von seinem Onkel Arthur, der mit Tausenden von anderen Juden festgenommen worden war. Aufgrund eines Radioberichts, dass alle Festgenommenen vom Westbahnhof aus in die Konzentrationslager Dachau und Mauthausen deportiert werden sollten, eilten Harrys Vater und Tante dorthin, doch ohne Erfolg. Inzwischen hieß es, man werde den Juden ein erhebliches Bußgeld auferlegen – für die Gewalt, der sie selbst zum Opfer gefallen waren.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Harry Kranner Fiss, AR 25595

Original:

Archivbox 1, Ordner 12

Jahreschronik 1938

Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben

Ein in der Progromnacht zerstörtes Geschäft in Magdeburg im November 1938.

Die nationalsozialistische Regierung Deutschlands erlässt die “Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben”. Von nun an ist es Juden verboten, in Einzelhandel und Handelsagenturen zu arbeiten und ein Handwerk auszuüben. Darüber hinaus dürfen Juden keine Güter und Dienstleistungen mehr anbieten. Kurze Zeit später, am 3. Dezember 1938, werden Juden zum Verkauf ihrer Immobilien gezwungen und ihnen die Verfügung über ihre Ersparnisse entzogen.

Zur Jahreschronik 1938

Glück im Unglück

Totale Zerstörung und ein bisschen Glück

„Es ist bei uns nicht ein Stück ganz geblieben. Alles Geschirr kaputt, alles Essbare auf den Boden geschmissen, Mehl, Zucker etc., alles zerstreut, zum Teil noch zertrampelt, wie Kuchen etc., man kann sich das nicht vorstellen.“

Ludwigshafen/New York

Richard Neubauer hatte Glück: Als während der Novemberpogrome, in der Nacht vom 9. auf den 10. November, Nazi-Schläger den Besitz seiner Verwandten in Deutschland zerstörten, war er bereits in New York, in Sicherheit. In diesem Brief beschreibt ihm sein Bruder Fritz in lebendigen Einzelheiten die schreckliche Zerstörung, die über die Juden und ihren Besitz gekommen war und den Schrecken, den das brutale Vorgehen der Nazis hervorgerufen hatte. Die Brüder hatten von ihrem Onkel die Druckerei Neubauer in Ludwigshafen geerbt, die infolge der Zerstörung der freien Presse durch die Gleichschaltung unter den Nazis sämtliche Geschäfte eingebüßt hatte. Dank einer Reihe glücklicher Zufälle waren Fritz, seine Frau Ruth und ihre beiden Kinder im Besitz von Fahrkarten, mit denen sie legal in die Schweiz einreisen konnten. Ruth hatte sie aus den Trümmern ihrer Wohnungseinrichtung gerettet.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Otto Neubauer, AR 25339

Original:

Archivbox 1, Ordner 2

Jahreschronik 1938

Die Novemberpogrome

Die in Brand gesetzte Synagoge in Bamberg in der Nacht vom 9. auf den 10. November.

In der Nacht vom 9. auf den 10. November kommt es in Deutschland, Österreich und dem Sudentenland zu gewaltsamen Übergriffen auf die dort leben den Juden. Die Pogrome sind staatlich sanktioniert. Mehr als 90 Juden werden in dieser Nacht getötet. 267 Synagogen werden in Brand gesteckt oder auf andere Weise zerstört, Geschäften, die von Juden geführt werden, werden die Fenster eingeworfen, Gemeindezentren und Privathäuser werden geplündert und zerstört. Nationalsozialistische Randalierer schänden jüdische Friedhöfe, Krankenhäuser und Schulen. Polizei und Feuerwehr schauen tatenlos zu. Die „Kristallnacht“ stellt einen doppelten Wendepunkt dar im ohnehin schon schicksalsträchtigen Jahr 1938: Die antijüdischen Diskriminierungen der Nazis kennen keine Grenzen mehr. Für viele Juden sind die November-Pogrome das letzte Warnsignal, die Flucht zu ergreifen.

Zur Jahreschronik 1938

Mord in Paris

Ein Akt der Verzweiflung

Paris

Am 3. November 1938 hatte Herszel Grynszpan, ein junger Jude polnischer Abstammung, Nachricht erhalten, seine Eltern und zwei Geschwister seien aus ihrem Wohnort Hannover nach Polen vertrieben worden. Das polnische Parlament hatte kürzlich ein Gesetz erlassen, laut dem Bürger, die seit fünf oder mehr Jahren im Ausland waren, ausgebürgert werden konnten. Aus Furcht, 70.000 polnische Juden würden unwiderruflich in Deutschland bleiben, hatte das Naziregime wenige Tage zuvor etwa 17.000 von ihnen deportiert. Herszel, dem bereits 1936 die Einreise nach Frankreich gelungen war, lebte zu diesem Zeitpunkt bei Onkel und Tante in Paris. Aufgebracht über das Schicksal seiner Landsleute, betrat er am 7. November die deutsche Botschaft, erschoss einen deutschen Karrierediplomaten, den 29jährigen Ernst vom Rath, und wurde sofort festgenommen.

Abschied für immer?

Trennung um des Überlebens Willen

„Edith lernt jetzt fleissig spanisch, denn es besteht eine leise Aussicht, dass sie nach Südamerika kommt. Wir sind sehr traurig darüber, denn wir sind uns klar, dass das einen Abschied fürs Leben bedeutet, und wir sind trotz des Wissens um die Notwendigkeit ihrer Ausreise fassungslos.“

Wien/Brooklyn

Aus der blühenden neunzehnjährigen Idealistin Hedwig Weiler, in die sich Franz Kafka 1907 bei einem Ferienaufenthalt in Triesch (Mähren) verliebte, ist inzwischen eine promovierte Akademikerin und die Ehefrau des Ingenieurs Leopold Herzka geworden. Die Ereignisse des Jahres 1938 in Österreich haben zum Auseinanderdriften ihres Freundeskreises in alle Himmelsrichtungen geführt. Am 6. XI. 1938 zählt sie in einem Brief an ihre ehemaligen Wiener Nachbarn, die nach Amerika ausgewanderte Familie Buxspan (später Buxpan), eine lange Reihe von Verwandten und gemeinsamen Freunden auf, die entweder bereits emigriert sind oder beabsichtigen, es zu tun. Besonders schwer ist für Hedwig Herzka die Aussicht auf die Auswanderung ihrer Tochter Edith nach Südamerika, und ihre Nerven liegen blank.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Max Buxpan, AR 6141

Original:

Archivbox 1, Ordner 5

Die Vertreibung polnischer Juden

Die Vertreibung polnischer Juden

Köln

Da es einen massiven Zustrom polnischer Juden aus dem von Nazi-Deutschland annektierten Österreich befürchtete, verabschiedete das polnische Parlament im März 1938 ein Gesetz, das es ermöglichte, Menschen die Staatsbürgerschaft abzuerkennen, die mindestens fünf Jahre außer Landes waren. Am 15. Oktober erging eine Verfügung, wonach nur Personen mit einem Prüfvermerk des polnischen Konsulats die Einreise gestattet sei. Die Verfügung sollte am 30. Oktober in Kraft treten. Angesichts der Anwesenheit von weit über 70.000 polnischen Juden im Reichsgebiet entschloss sich das Regime zu schnellem Handeln: Im Rahmen der sogenannten „Polenaktion“ vom 27. bis zum 29. Oktober wurden tausende polnischer Juden ausgewiesen. Viele dieser polnischen Staatsbürger hatten wenig oder überhaupt keine Verbindung zu ihrem Ursprungsland und nichts und niemanden, zu dem sie hätten zurückkehren können. Eines der Opfer der Aktion war Ida, die Haushälterin der Familie Schönenberg in Köln: Am 29. Oktober schreibt Dr. Schönenberg, seit drei Jahren Idas Dienstherr, an seinen Sohn Leopold in Palästina, wie sich die junge Frau mit gerade einmal 3 1/2 Stunden Vorwarnung bei der Polizei habe einfinden müssen. Ida war gebürtige Kölnerin und hatte einen Verlobten in Deutschland.

QUELLE

Institution:

NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln

Original:

Best. 46

Rausschmiss mit Pensionsentzug

Martin Lachmann verliert seine Anstellung und die längst zugesicherte Pension

„Ich könnte aus diesem Bestand nicht diese Rente beziehen, da aus einem Bestand, der zum grössten Teil arisch genannt werden muss, ein Nicht-Ar. nicht Bezüge haben dürfte.“

BERLIN

Niemand zog Martin Lachmanns außergewöhnlichen Erfolg als Versicherungsagent im Dienst der Allianz in Zweifel. Dennoch beschloß die Gesellschaft „unter dem Druck der Verhältnisse“, ihm nach 31 Jahren engagierter Mitarbeit zu kündigen. In Anerkennung der Leistungen Lachmanns wurde versucht, ihn nach Zürich zu versetzen. Der Erfolg dieser Bemühungen war allerdings von den Schweizer Einwanderungsbehörden abhängig. Zu allem Unglück war Lachmann erklärt worden, er habe keinen Anspruch mehr auf die ihm vertraglich zugesicherte Pension. Es war unfassbar für ihn, dass ein Vertrag, der lange vor dem politischen Umbruch in Deutschland abgeschlossen wurde, nun plötzlich für ungültig erklärt werden konnte. Die Pension, die dem herausragenden Angestellten von der Allianz „freiwillig“ angeboten wurde, betrug gerade ein Drittel seines Gehalts und war weit davon entfernt, seine Bedürfnisse zu decken.

Diskriminierung von Mischehen

Entlassung nach 25 Dienstjahren

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BERLIN

Der schwer kriegsversehrte Berliner Kriminalpolizei-Angestellte Ernst Patzer verlor im März 1938 seine Stellung. Der Grund dafür war das 1937 erlassene Deutsche Beamtengesetz, das „jüdisch Versippten“ die Arbeit im Staatsdienst verbot – und Patzer war seit 1925 mit einer deutschen Jüdin verheiratet. Dieser weitere Schritt des NS-Regimes, Juden und ihre Angehörigen aus allen Bereichen des Lebens zu verdrängen, traf das Ehepaar Patzer sehr hart: Er war Alleinverdiener und verlor nach 25 Dienstjahren nicht nur seine Stellung, sondern auch alle Pensionsansprüche. Dieses Schreiben vom 24. Oktober 1938 zeigt, wie Ernst Patzer Schritt für Schritt von öffentlicher Teilhabe ausgeschlossen wurde. Vergebens schrieb er als ehemaliger Frontsoldat an Hitler und Göring, um eine Weiterbeschäftigung in einer Behörde zu erwirken. Die Ehe blieb bestehen und er fand schließlich Arbeit als Rechnungsprüfer bei der Firma AEG. Den Nationalsozialismus hat das Ehepaar Patzer überlebt.

QUELLE

Institution:

Deutsches Historisches Museum

Sammlung:

Inv.Nr. Do 89/102II

Ein Freudenfest in schweren Zeiten

Eine Hochzeit als Atempause

„Für diesen von Gott geweihten Ehebund erflehen wir Heil, Frieden und Segen.“

BERLIN

In einem Jahr, das durch zahlreiche beunruhigende anti-jüdische Maßnahmen gezeichnet war, muss die Hochzeit von Frieda Ascher und Bernhard Rosenberg am 23. Oktober in Berlin für ihre Freunde und Verwandten eine stark benötigte Atempause bedeutet haben. Der Offiziant bei der Zeremonie war der orthodoxe Rabbiner Dr. Moritz Freier. Rabbiner Freier wurde wiederholt von jungen Juden angesprochen, die infolge des zunehmenden Antisemitismus in Deutschland keine Stelle finden konnten. Seine Frau, Recha Freier, war bereits im Januar 1933 auf die Idee gekommen, jüdischen Jugendlichen zu helfen, in das palästinensische Mandatsgebiet einzuwandern und sich in Kibbutzim anzusiedeln, ein Projekt, das unter dem Namen „Jugend-Alija“ bekannt ist.

QUELLE

Institution:

New Synagogue Berlin – Centrum Judaicum

Original:

Trauurkunde für Bernhard Rosenberg und Frieda Ascher; 7.5

Vom Arzt zum „Krankenbehandler“

Diskriminierende Vorschriften für jüdische Ärzte

Die NS-Behörden nannten jüdische Ärzte fortan nur noch “Krankenbehandler” und zwangen sie, ihre Praxisschilder klar zu kennzeichnen.

BERLIN

3 ½ cm soll die Dreieckshöhe des Davidssterns betragen, den jüdische „Krankenbehandler“ künftig an ihrem Praxisschild anzubringen haben. Die Vorgaben im Schreiben der Berliner Reichsärztekammer vom 12. Oktober 1938 sind peinlich genau – und sie hören nicht bei Milimeterangaben auf: „Himmelblau“ solle die Hintergrundfarbe des Schildes sein, der Davidstern in der linken oberen Ecke die Farbe „zitronengelb“ haben. Mit dem 30. September war laut Reichsbürgergesetz die Approbation jüdischer Arzte erloschen; wenigen nur wurde erlaubt, als „Behandler“ ausschließlich jüdischer Patienten weiter zu praktizieren. Dass die Gängelung ihren Höhepunkt jedoch noch nicht erreicht hat, deuten die Verfasser dieses Schreibens ebenfalls noch an: um den Forderungen des „Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen“ (Inkrafttreten 1. Januar 1939) Rechnung zu tragen, sei es ratsam, seinen Namen auf dem Praxisschild doch am besten schon jetzt mit „Israel“ oder „Sara“ ergänzen – so könne man spätere Unkosten vermeiden.

 

QUELLE

Institution:

Jüdisches Museum Berlin

Sammlung:

Rundschreiben der Reichsärztekammer über die Bestimmungen für "Jüdische Behandler", Sammlung Familie Hirschberg

Umwälzungen erreichen Wohnung und Arbeitsplatz

Suche nach Wohnung und Arbeit

„Jetzt stell dir vor, zu all diesem Elend noch die Aussicht auf meine ,großen Ferien,‘ für mich als Muttels Ernährerin. Da kam gestern ein Lichtblick, ich habe vom Landesverband in Berlin die Erlaubnis engl. Unterrichts-Kurse in der Provinz abzuhalten.“

BRESLAU/BERLIN

Im August 1938 begann Irma Umlaufs Leben, aus den Fugen zu geraten: man benachrichtigte sie, dass die in jüdischen Händen befindliche Firma in Breslau, für die sie arbeitete, liquidiert und sie in die Arbeitslosigkeit entlassen werden sollte, und ihr Vermieter kündigte ihr. Obwohl es im Oktober 1938 kein Gesetz gab, laut dem Nichtjuden keine jüdischen Mieter haben durften, waren manche eifrig dabei, sich ihrer zu entledigen. In Irma Umlaufs Fall war das Problem, dass ihre jüdischen Mitbewohner die Miete nicht länger aufbringen konnten und auszogen. Der nichtjüdische Vermieter fürchtete sich nun laut Irma, neue jüdische Mieter anzunehmen, und da Juden und Nichtjuden nicht länger gemeinsamen Wohnraum teilen durften, hatte sie keine Wahl als auszuziehen. Unter den anderen Themen, die sie in diesem Brief an ihre Freundin Hilde Liepelt in Berlin anschneidet, ist ihre berufliche Situation: glücklicherweise hat ihr der Landesverband in Berlin Erlaubnis erteilt, in den jüdischen Gemeinden Münsterberg und Fraustadt, beide nicht zu weit von Breslau entfernt, Sprachunterricht zu erteilen, wodurch sie eine neue Existenzgrundlage erhält und weiter für den Unterhalt ihrer Mutter sorgen kann. Ein Zubrot verdient sie sich als Sängerin.

QUELLE

Institution:

New Synagogue Berlin – Centrum Judaicum

Original:

Brief von Irma Umlauf, Breslau, an ihre Freundin Hilde Liepelt in Berlin; 7.379, Bl. 14

Paragraphen, Paragraphen

Vorherige mündliche und schriftliche Anfragen und Gesuche sind zwecklos.

Vorherige mündliche und schriftliche Anfragen und Gesuche sind zwecklos.

WIEN

Das Leben vieler Juden in Österreich war innerhalb eines halben Jahres aus den Angeln gehoben worden. Berufsverbote, Arisierung, Enteignungen oder der Entzug der Staatsbürgerschaft. Nach dem „Anschluss“ fanden sich viele österreichische Juden in unsicheren und chaotischen Zuständen wieder. Umso zynischer mag es vielen von ihnen erschienen sein, mit einer komplizierten, teils pedantischen Visums-Bürokratie konfrontiert zu werden. Ein Schreiben vom 27. September 1938 des amerikanischen Generalkonsulates an Tony (Antonie) und Kurt Frenkl verdeutlicht dies: Ihr Visums-Antrag könne frühestens in Monaten entgegengenommen werden. Die Quoten für mitteleuropäische Einwanderer seien erschöpft. Um auf eine Warteliste für Visen gesetzt zu werden, mussten die Antragsteller einen Vormerkbogen ausfüllen. Und um „Verzögerungen zu vermeiden“, solle jeweils pro Person eine Bürgschaft eingereicht werden. Tony und Kurt mussten also weiter warten – und sich auf die nächsten bürokratischen Hürden gefasst machen.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Tony Frenkl, AR 11032

Original:

Archivbox 1, Ordner 1

Jahreschronik 1938

Berufsverbot für jüdische Rechtsanwälte

Diese antisemitische Karikatur zeigt einen jüdischen Anwalt der deutsche Bauern um Geld und Güter betrügt. Elvira Bauer, Trau keinem Fuchs auf grüner Heid und keinem Jud auf seinem Eid (Nuremberg: Stürmer Verlag, 1936). Leo Baeck Institute.

Die berufliche und finanzielle Situation für jüdische Anwälte und Juden, die in anderen rechtlichen Berufen tätig waren, verschlechtert sich zusehends. Viele von ihnen sind gezwungen, ihre Anwaltskanzleien zu schliessen, da sich ihre Klienten abwenden oder, wenn sie jüdisch sind, fliehen. Zu Beginn des Jahres 1938 arbeiteten noch rund 1750 „nichtarische“ Rechtsgelehrte in Deutschland. Am 27. September verhängen die Nazis ein Berufsverbot für alle noch praktizierenden jüdischen Anwälte. Das Verbot tritt am 30. November in Kraft, in Österreich am 31. Dezember. Von nun an sind nur noch einige wenige jüdische Rechtsanwälte aktiv. Als sogenannte Konsulenten konnten sie – ausschliesslich jüdische – Klienten beraten und vertreten.

Zur Jahreschronik 1938

Von jetzt auf gleich: staatenlos

Die Zahl der Ausbürgerungen steigt an

Berlin

Alfred Basch, geboren am 27. September 1915 in Magdeburg, war fortan staatenlos. Mit der Veröffentlichung seines Namens im deutschen Reichsanzeiger wurde Alfred Basch die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen. Grundlage dafür war das „Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit“. Es galt bereits seit fünf Jahren. Doch in den vergangenen Monaten waren die Ausbürgerungszahlen deutlich angestiegen, oftmals traf es Personen und Familien, die nach dem Ersten Weltkrieg dank der vergleichsweise liberalen Einbürgerungspolitik der Weimarer Republik deutsche Staatsbürger geworden waren. Allein im September 1938 waren es 116 Familien, die auf Grundlage dieses Gesetzes vom einen Tag auf den anderen zu Staatenlosen gemacht wurden. Und damit nicht genug: Die Veröffentlichung ihrer vollen Namen, Geburtsorte und -daten machte sie zu einer Zielscheibe für Diskriminierung, die normales Weiterleben, und sei es auch nur vorübergehend, unmöglich machten.

Wenn das Private politisch wird

Ein jüdischer Arzt soll seine Schweigepflicht brechen

„... mir möglichst umgehend eine Mitteilung darüber zukommen zu lassen, ob Sie während der Italienerbesuche in Stuttgart deutsche Mädchen oder Frauen an Geschlechtskrankheiten behandelt haben, die angaben, von Italienern angesteckt worden zu sein.“

Stuttgart

Dr. Ernst Schaumberger war Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten, ein eigentlich unpolitischer Beruf. Die nationalsozialistische Rassen- und Sittenideologie allerdings hatte den Geschlechtsverkehr zum Objekt politischen Interesses erklärt, und damit wurde auch Dr. Schaumbergers Arbeitsfeld politisch. Das vertrauliche Gesuch, das er am 20. September 1938 vom NS-Amt für Volksgesundheit in Stuttgart erhielt, ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: Er sollte mitteilen, ob er Mädchen und Frauen wegen Geschlechtskrankheiten behandelt habe, die sie sich beim Verkehr mit Italienern angesteckt hatten. Die sogenannte „Rassenhygiene“ im Nationalsozialismus schreckte also nicht davor zurück, ärztliche Schweigepflichten zu hintergehen. Als Dr. Schaumberger dieses Schreiben erhielt, waren seine Tage als praktizierender Arzt bereits gezählt. Schon im Juli hatte man ihn öffentlich als „jüdischen Arzt“ gekennzeichnet und eine Novelle des NS-Reichsbürgergesetzes erlassen, dass mit dem 30. September 1938 die Zulassungen jüdischer Ärzte erlöschen sollten. Trotzdem wurde von ihm erwartet, mit den Nazis zu kooperieren.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Irene Shomberg, AR 6256

Original:

Archivbox 1, Ordner 1

Frau Martha Braun, einstweilen

Martha Braun, nicht Martha “Sara” Braun

Wien

Der Pass Martha Brauns, einer Wiener Hausfrau, wurde am 16. September ausgestellt, wärend des kurzen Zeitfensters zwischen dem Erlass der Zweiten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen (17. August 1938) und deren Inkrafttreten (Januar 1939). Laut dieser Verordnung hatten Juden ihrem Vornamen den Zweitnamen „Sara“ bzw. „Israel“ hinzuzufügen. Da das Datum der Ausstellung in den September fiel, kam Frau Braun ohne den stigmatisierenden Zusatz davon – einstweilen.

QUELLE

Institution:

The United States Holocaust Memorial Museum

Sammlung:

Reisepass von Martha Braun

Schoenbergs Exil

Gleichzeitig unverstanden und bewundert

Los Angeles

Arnold Schoenberg war ein Pionier moderner Kompositionstechniken. Aber seine Musik spaltete auch die Geister – von den einen wurde sie frenetisch gefeiert, von anderen als Lärm zurückgewiesen. Am 13. September feierte der gebürtige Wiener (*1874) seinen 62. Geburtstag. Der Musiker lebte zu diesem Zeitpunkt schon fast fünf Jahre in den Vereinigten Staaten. Schoenberg, Sohn jüdischer Eltern, hatte kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten seinen Posten an der Preußischen Akademie der Künste verloren. Er floh daraufhin zunächst nach Paris und emigrierte dann in die Vereinigten Staaten. In Los Angeles konnte er seine Lehrtätigkeit an der University of Carlifornia wieder aufnehmen.

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