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Der sechste Geburtstag im Exil

Billy Wilder arbeitet für Paramount Pictures in den USA

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HOLLYWOOD

Samuel (später „Billy“) Wilder hatte seinen eigenen Kopf: 1906 als Kind einer österreichisch-jüdischen Familie in der galizischen Stadt Sucha Beskidzka geboren, wurde von ihm erwartet, dass er ins väterliche Geschäft einsteigen würde, das hauptsächlich aus einer Kette von Bahnhofslokalen bestand. Doch nach dem Realgymnasium und einem kurzen Versuch des Jura-Studiums (er sprang nach drei Monaten ab) in Wien, entschloss er sich, seinen eigentlichen Neigungen zu folgen: Bei der Zeitung „Die Stunde“, einer Boulevardzeitung von zweifelhaftem Ruf, bekam er die erste Gelegenheit, sein Schreibtalent zu üben. 1926 ergab sich für ihn die Möglichkeit, nach Berlin zu ziehen, wo er freiberuflich bei verschiedenen Boulevardzeitungen arbeitete und mit dem Schreiben von Drehbüchern begann. Nach der Machtübernahme der Nazis zog Wilder nach Paris und bekam die Gelegenheit, seinen ersten Film, „Mauvaise graine“, zu inszenieren. 1934 reiste er mit einem Besuchervisum in die Vereinigten Staaten ein. Ab 1936 stand er bei Paramount Pictures unter Vertrag. Der 22. Juni war sein 32. Geburtstag – der sechste, den er im Exil feierte.

QUELLE

Institution:

The Oscar Academy Award

Sammlung:

Billy Wilder

Eine Wochenzeitung als Rettungsanker

Die „Aufbau“ liefert Tipps zum Neuanfang

„159. Str., 575 West, Apt. 22—Schön möbliertes Frontzimmer für 1 oder 2 Personen, fliessendes Wasser, preiswert.“

New York

Als der Zustrom von Flüchtlingen aus Nazi-Deutschland zunahm, wurde aus dem, was als Jubiläumsheft des German Jewish Club begonnen hatte, schnell eine professionelle Publikation und ein Rettungsanker für die Entwurzelten: Die Wochenzeitung war mit ihrer breiten Auswahl kultureller und sportlicher Aktivitäten unter Schicksalsgenossen ein seelischer Anker, bot aber auch praktische Hilfe bei der Niederlassung im neuen Land. Diese Ausgabe des „Aufbau“ vom Juni 1938 zeichnet sich durch eine große Anzahl von Wohnungsangeboten aus, meist für voll möblierte Zimmer, oft im Stadtteil Washington Heights im Nordteil Manhattans, wodurch Besitzern oder Hauptmietern etwas zusätzliches Einkommen eingebracht wurde. Gleichzeitig wurde erschwinglicher Wohnraum für Flüchtlinge zur Verfügung gestellt, die in der Regel mit sehr wenig Geld und Besitz ankamen.

Post aus Shanghai

Ein deutsch-jüdischer Auswanderer berichtet

„Es gibt nicht einen einzigen Juden hier, der sich nicht ernähren kann.“

Schanghai/Berlin

Zu einer Zeit, als mehr und mehr Juden den dringenden Wunsch verspürten, das Land zu verlassen, muss dieser Brief eines deutsch-jüdischen Auswanderers in Shanghai, gerichtet an die „Herren vom Hilfsverein“, zukünftige Auswanderer mit neuer Hoffnung erfüllt haben: Der Schreiber dankt dem Hilfsverein überschwänglich für die Beratung und berichtet begeistert von der Vielzahl beruflicher Optionen, die Einwanderern an seinem neuen Standort zur Verfügung stehen: „Voraussetzung ist natürlich, dass man irgend etwas können muss und intensiv arbeiten kann.“ Seiner Einschätzung nach waren Musiker, Ärzte und Kaufleute stark gefragt und die Situation für Sekretärinnen und Stenotypistinnen besonders vielversprechend – unter der Bedingung, dass sie über perfekte Englischkenntnisse verfügten, was unter deutschen Juden in keiner Weise selbstverständlich war. Die Neuankömmlinge waren nicht die einzigen Juden im Land: Etwa seit der Mitte des 19. Jahrhunderts gab es eine sephardische Gemeinde, und seit Anfang des 20. Jahrhunderts, dann verstärkt durch den Zusammenbruch des Zarenreichs, hatten sich aschkenasische Juden in der Stadt angesiedelt.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Gemeindeblatt der Jüdischen Gemeinde zu Berlin

Original:

Vol 28, Nr. 25, S. 5.

Vogelfrei

Juden aus Burgendland vertrieben

„Man lernt hier, was wirklich wichtig ist im Leben. Den Leuten spielt auch Geld keine Rolle mehr, auch das ist unwichtig geworden.“

Eisenstadt

Die jüdische Gemeinde in Eisenstadt im österreichischen Burgenland war nie besonders groß gewesen, aber als älteste Gemeinde in der Gegend reichte sie bis ins 14. Jahrhundert zurück und hatte ein reiches kulturelles Leben. Im Augenblick der Annexion Österreichs an Deutschland am 12. März 1938 wurden Juden vogelfrei: Unter dem zutiefst rassistischen Gauleiter Tobias Portschy war das Burgenland der erste Teil Österreichs, der seine jüdische Bevölkerung vertrieb. Um ihren alten Eltern mit den Vorbereitungen zum Umzug zu helfen, hielt sich Hilde Schlesinger im Juni 1938 in Einsenstadt auf. In ihrem Geburtstagsbrief an ihre Tochter Elisabeth in Amerika bemerkt sie, diese sei „zu einem echten jüdischen Kind geworden, zu einem nicht sesshaften, zum Wandern immer bereiten“, im Gegensatz zu ihrer eigenen emotionalen Verbundenheit zu Eisenstadt, aus dem sie sich nun entwurzeln musste. Frau Schlesinger Schiff hofft, ihre Eltern werden bald die Einreisegenehmigung in die Tschechoslowakei erhalten, aber noch ist die bürokratische Seite nicht geklärt. Es ist offensichtlich, wie unangenehm sie die Erpichtheit der Nichtjuden auf Schnäppchen berührt, die sie als „Leichenraub“ bezeichnet, während Ihre Familie gezwungen ist, einen Großteil ihres Eigentums zu veräußern.

Anne weiß es besser

Familie Frank feiert den 9. Geburtstag ihrer Tochter

Amsterdam

Um das zunehmend antisemitische Deutschland hinter sich zu lassen, war Familie Frank aus Frankfurt am Main kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in die Niederlande geflohen. Sie ließ sich auf dem Merwedeplein in Amsterdams Fluss-Viertel nieder, wo mehr und mehr deutschsprachige Flüchtlinge Zuflucht fanden. So groß war der Zustrom von Juden, dass manche unter den lokalen Juden besorgt waren, es würde ihren gesellschaftlichen Stand beeinträchtigen und Antisemitismus hervorrufen. Die ältere Tochter der Franks, Margot, ging auf der Jekerstraat zur Schule. Anne besuchte die 6. Montessori-Schule, die nur fünf Minuten Fußweg von der Wohnung der Familie entfernt war. Fünfzehn ihrer Klassenkameraden waren jüdisch. Sie liebte es, Geschichten zu erzählen und zu schreiben. Anne war neugierig, anspruchsvoll, interessiert und ausgesprochen wortgewandt. Wie die Mutter ihrer guten Freundin Hanneli zu sagen pflegte, “Gott weiß alles, aber Anne weiß es besser.“ 1938 beantragte Annes Vater Otto Frank Einreisevisen für die Vereinigten Staaten. Der 12. Juni 1938 war ihr 9. Geburtstag.

QUELLE

Seelenverfassung

Keine Begeisterung, aber Wille zum Erfolg

„Ich glaube, wenn Du Dich für Palästina entscheiden solltest, dass Du dazu zwar keine Begeisterung brauchst. Die Mehrheit wandert heute ein ohne jede Begeisterung, aber Du brauchst den festen Willen hier trotz aller Schwierigkeiten, geringem Einkommen und schwerer Arbeit bei klimatischen Schwierigkeiten Dich durchzusetzen.“

TEL AVIV/ZÜRICH

Herbert Mansbach, ein deutscher Student der Zahnmedizin, der vorübergehend in der Schweiz ansässig war, hatte Glück: Ein Freund von ihm war bei der Krankenkasse (Kupat Cholim) des Allgemeinen Verbands der Arbeiter in Eretz Israel (Histadrut) angestellt und konnte ihm wertvolle Informationen zur Aufnahme in einem Kibbutz und zum Auffinden eines Arbeitsplatzes in Palästina geben: Die Hauptvoraussetzungen für eine Kibbuzmitgliedschaft waren die Zugehörigkeit zur HeChaluz-Pionier-Jugendbewegung und einige Hebräischkenntnisse. Um allerdings eine Anstellung als Zahnarzt in Tel Aviv zu bekommen, war perfektes Hebräisch unabdingbar. Herberts Freund zeichnete ein ernüchterndes Bild von der Seelenverfassung der Neueinwanderer: Die Mehrheit, schreibt er, käme ohne Begeisterung – Entschlossenheit zum Erfolg sei wichtiger.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Herbert Joseph Mansbach, AR 7073

Original:

Archivbox 1, Ordner 2

Reichsfluchtsteuer

Auswanderer müssen ein Meer an finanziellen und bürokratischen Hürden überwinden

LÖRRACH

Seit 1937 bemühten sich Lina und Siegmund Günzburger aus Lörrach in Südwestdeutschland und ihr Sohn Herbert, ihre Auswanderungspapiere zusammenzustellen. Die Auflagen waren nichts weniger als ein Albtraum: Zukünftige Auswanderer mussten eine Vielzahl persönlicher Dokumente, Empfehlungsschreiben und Bürgschaften beschaffen und waren verpflichtet, ein Inventar ihres gesamten Besitzes zusammenzustellen. Auch mussten sie dokumentieren, dass keine Steuerrückstände bestanden. Besonders perfide war die sogenannte „Reichsfluchtsteuer“: Ursprünglich eingeführt in der Endphase der Weimarer Republik, um die Kapitalflucht in Reaktion auf die Sparpolitik der Regierung zu verhindern, wurde sie zu einem Werkzeug in der Hand der Regierung, um die Juden für das Verlassen des Landes zu bestrafen, das es ihnen unerträglich machte, zu bleiben.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Herbert Guenzburger, AR 5947

Original:

Archivbox 1, Ordner 2

Durchbrochene Ausbildung

Ruth Wertheimer navigiert antisemitische Diskriminierung und Auswanderung

Paris

Ruth Wertheimer wurde 1915 in Halberstadt (Sachsen-Anhalt) geboren. Dank der Erträge aus einem erfolgreichen Korsett- und Damenunterwäsche-Geschäft mit mehreren Filialen lebte die Familie in bequemen Verhältnissen. Allerdings soll das Familienunternehmen bereits 1929, mehrere Jahre vor der Machtübernahme durch die Nazis, durch eine verleumderische, antisemitisch motivierte Behauptung gegen eine der Inhaberinnen, Ruths Tante Johanna, wirtschaftlichen Schaden erlitten haben. 1932, auf der Handelsschule in Berlin, wohin die Familie in Ruths Kindheit umgezogen war, war Ruth durch Lehrer und Mitschüler dermaßen starkem Antisemitismus ausgesetzt, dass sie sich entschloss, ohne Abschluss abzubrechen. Der hier gezeigte Pass wurde am 16. Mai in Paris ausgestellt und gibt Paris als Ruths Wohnort an: Ihre Mutter und ihr Stiefvater waren 1935 dorthin ausgewandert. In Paris nahm Ruth ihre Ausbildung wieder auf.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Ruth Worth, AR 25024

Original:

Archivbox 1, Ordner 1

Mit Dirigentenstab im Tonstudio

Erich Wolfgang Korngold arbeitet an Auftrag der Warner Brothers

HOLLYWOOD

Vom ersten Augenblick war das Naziregime bestrebt, jeden Teil der menschlichen Existenz ideologisch zu durchdringen. Bereits 1933 wurde die Reichskulturkammer gegründet, um alle Aspekte kulturellen Lebens in Deutschland unter Kontrolle zu bringen. Obwohl er Staatsbürger und Einwohner Österreichs war, bekam der Komponist und Dirigent Erich Wolfgang Korngold bald die Auswirkungen dieser Veränderung zu spüren, denn er arbeitete viel in Deutschland: Jüdische Künstler waren nicht länger willkommen. In diesem Klima musste er nicht lange nachdenken, ehe er 1934 der Einladung Max Reinhardts folgte, die Filmmusik zu seiner Hollywood-Produktion von „Ein Sommernachtstraum“ zu schreiben. Mit seiner Einführung der symphonischen Filmmusik schlug er neue Wege ein und schuf den typischen „Hollywood-Klang“. 1937, während eines ausgedehnten Besuches in Wien, um die Orchestrierung seiner Oper „Die Kathrin“ zu vervollständigen, erhielt er eine Einladung der Warner Brothers, die Filmmusik zu „Robin Hood, König der Vagabunden“ zu komponieren. Dieser Auftrag ersparte ihm die Wirren des „Anschlusses“: Er kehrte lange vor dem 12. März 1938 in die USA zurück. Dieses Foto zeigt wahrscheinlich eine Aufnahmesitzung für den Soundtrack des Filmes, in dem Errol Flynn die Hauptrolle spielte. Der Schauspieler auf dem Foto ist Basil Rathbone, der Robin Hoods Erzfeind, Sir Guy von Gisbourne, spielte. Für seine überzeugende Partitur gewann Korngold einen Oscar – seinen zweiten nach „Ein rastloses Leben“ (1937).

Keine Zeit zu verlieren

Jüdisches Gemeindeblatt rät zum schnellen Sprachenlernen

„Dass die wichtigste Vorbereitung zur Auswanderung im Sprachstudium besteht, ist wahrhaftig keine Neuigkeit.“

HANNOVER

Im Mai 1938 schien das Thema „Auswanderung“ jeden Juden in Deutschland und Österreich zu beschäftigen. Dieser Artikel im Hannoverschen Jüdischen Gemeindeblatt z.B. hält zukünftige Auswanderer dazu an, keine Zeit zu verlieren und so bald wie möglich zu beginnen, Englisch zu lernen. Laut dem Blatt würden sich aller Wahrscheinlichkeit nach zwei Drittel der deutsch-jüdischen Emigranten in englischsprachigen Ländern niederlassen, und selbst diejenigen, die auf dem Weg nach Südamerika waren, würden von soliden Englischkenntnissen profitieren. Andererseits konnten wegen der umfangreichen Handelsbeziehungen zwischen Nord- und Südamerika auch spanische Sprachkenntnisse von Nutzen sein. Die Antwort auf die Frage „Spanisch oder Englisch?“ war daher ein nachdrückliches „Beides!“.

Im Niemandsland

Der Völkerbund interveniert für 56 Vertriebene

Belgrad

Die Annexion Österreichs durch Nazi-Deutschland im März 1938 hatte der tausendjährigen Geschichte jüdischen Lebens im Burgenland, Österreichs östlichstem Bundesland, ein jähes Ende bereitet: Die Vertreibung der zahlenmässig kleinen jüdischen Bevölkerung, ausgeführt durch SS, lokale Nazi-Beamte und zivile Kollaborateure, setzte sofort ein. Dieser Artikel der Jewish Telegraphic Agency berichtet über die Intervention des Völkerbunds für 56 Vertriebene, die im „Niemandsland“ im Grenzgebiet zwischen Österreich und Jugoslawien feststeckten. Der Hochkomissar des Völkerbunds für deutsche Flüchtlinge hatte um die vorübergehende Aufnahme der nun Heimatlosen durch Jugoslawien gebeten, der eine permanente Neuansiedlung folgen sollte.

Gottvertrauen im Hier und Jetzt

Von Italien aus beruhigt Sigmund Hirsch seinen Neffen Julius

„Wegen der Politik, mache Dir, mein lieber Junge, nur keine Sorge. Tut Eure Pflicht wie bisher und ueberlasst alles Weiter Kodausch Boruch Hu. Persoenlich Ansichten gelten ueberhaupt nicht mehr; sonst wuerde ich Dir sagen, dass ich persoenlich an einen Krieg im Moment nicht glaube. Was man tun wird, wenn er Gott behuete wirklich kommt, wird sich dann zeigen. Kein Mensch ist weitsichtig genug, um voraussehen zu koennen, was kommen wird. Ihr werdet selbstverstaendlich in Italien bleiben. Aber wie gesagt, jede Diskussion ueber dieses Thema halte ich persoenlich fuer verfehlt, da kein Mensch den Krieg will, der nur den Ruin aller hervorrufen wuerde“.

Genua/Meran

Bereits 1935 hatte der orthodoxe Hamburger Arzt Henri Hirsch unter wachsendem Druck Deutschland verlassen und war zu seinem Bruder Sigmund in Genua in Italien gezogen. Kurz darauf schlossen sich ihm seine zweite Ehefrau Roberta und einige seiner erwachsenen Söhne an, um dann gemeinsam mit ihm nach Meran zu ziehen. 1938 starb Henri Hirsch. In diesem Brief von Sigmund Hirsch an seinen Neffen Julius versucht er, dem jungen Mann seine Sorge über einen bevorstehenden Krieg auszureden. Er redet ihm zu, auf Gott zu vertrauen und verspricht, den jungen Familienmitgliedern zur Seite zu stehen. Da er seit längerem in Italien war, scheinen viele ihre Hoffnungen auf ihn gesetzt zu haben: Mit spürbarem Bedauern berichtet er, wie wenig er für die „Tausenden“ von Menschen tun könne, die ihn um Hilfe bitten.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Julius and Edith Hirsch, AR 25585

Original:

Archivbox 1, Ordner 22

Reisebüro „Kompass“

Auswandern ist schwieriger als es klingt

„Wollen Sie Ihre Verwandten hier haben? Brauchen Sie Hilfe, die Schwierigkeiten zu überwinden?“

New York

In einer Anzeige im „Aufbau“, die auf deutsche Einwanderer abzielte, bot das „Compass Travel Bureau“ in New York „fachmännische Beratung aller [sic] Einwanderungsangelegenheiten und die Erledigung aller Reiseformalitäten“. Wem es gelungen war, sich bis Mai 1938 noch ein wenig Optimismus zu bewahren, hätte meinen können, keine größere Anstrengung sei vonnöten. Doch die Beschaffung aller erforderlichen Dokumente konnte ein zermürbend langer Prozess sein: Juden, die verzweifelt versuchten, Deutschland zu verlassen, mussten zuerst Quotennummern und eine Unzahl von Dokumenten aus verschiedenen deutschen Behörden beschaffen und sich mit dem langsamen Postdienst abgeben, während sie versuchten, in Amerika Bürgen zu finden.

Welche Höhen man erreichen könnte

Der Wunsch nach Selbstbestimmung angesichts jüdischer Entrechtung

„Empört zeigt sich wohl die ,zivilisierte‘ Welt über die Barbarei der Deutschen, die wahrhaft wenig sanft mit uns umgehen. Was aber tun sie für hunderte von burgenländischen Juden, die zum Beispiel auf einem Schlepper mitten auf der Donau hausen oder auf einem Fleckchen Land zwischen Deutschland und Jugoslawien?”

Wien

Eineinhalb Monate nach dem „Anschluss“ erscheint Paul Steiner noch immer fassungslos: Alles kommt ihm so unglaublich vor, dass „selbst die eigenen Worte erstaunlich und zweifelhaft werden“. Er fragt sich, was die Außenwelt angesichts der deutschen Barbarei für die Juden täte, besonders für die Juden des Burgenlands, die gleich nach dem „Anschluss“ brutal vertrieben worden und in vollkommen unzulänglichen Unterkünften gestrandet waren, während sich ihre früheren Nachbarn ihren Besitz aneigneten. Er schreibt eine Vision jüdischer „Rache“ nieder, die gefordert werden soll, indem die Welt dadurch beschämt wird, dass man ihr zeigt, welche Höhen Juden erreichen können, wenn man ihnen die Möglichkeit zur Selbstbestimmung gibt.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Original:

Sammlung Paul Steiner, AR 25208

Neubeginn mit 40

Moses Wainstein überwindet die Hürden internationaler Bürokratie

Marseille

Marseille war für die Exilanten einer der wichtigsten Abfahrthäfen nach Übersee. Hier beschaffte sich Moses Wainstein die restlichen Papiere für seine Emigration nach Uruguay. Diese Bescheinigung über eine Reiseimpfung war zur Vorlage bei den dortigen Behörden in Spanisch abgefasst. Seine Habseligkeiten hatte sich der Berliner bereits durch eine deutsche Spedition nach Marseille schicken lassen. Wainstein war zu diesem Zeitpunkt 40 Jahre alt.

QUELLE

Institution:

Deutsches Historisches Museum

Original:

Impfbescheinigung, ausgestellt auf dem Dampfer „Campana“ für Moses Wainstein.

Jahreschronik 1938

Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden

Ein von National-Sozialisten beschädigtes Geschäft in Wien. United States Holocaust Memorial Museum.

Hermann Göring erlässt die „Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden“. Dernach sind alle Juden im Deutschen Reich unter Androhung von Geld-, Haft- und Zuchthausstrafen angehalten, ihr Vermögen im In- und Ausland zu melden, wenn es den Betrag von 5.000 Reichsmark übersteigt. Alf Krüger, Ministerialrat im Reichswirtschaftsministerium, nennt die Regelung den „Wegbereiter zu der völligen und endgültigen Entjudung der deutschen Wirtschaft“. Drei Tage später wird in einem Arbeitstreffen bei Göring geplant, das jüdische Vermögen so umzuwandeln, dass es “keinen wirtschaftlichen Einfluss mehr gestatte[t]“. Göring erläutert später, dass in der Besprechung im April bereits der Beschluss gefasst wurde, „die deutsche Wirtschaft zu arisieren, den Juden aus der Wirtschaft heraus und in das Schuldbuch hineinzubringen und auf die Rente zu setzen. […] Die Entschädigung wird im Schuldbuch vermerkt und zu einem bestimmten Prozentsatz verzinst. Davon hat er zu leben.“ Nach den Novemberprogromen nutzten die Nationalsozialisten die erworbenen Daten als Grundlage, um den Juden ein Viertel ihres Vermögens abzunehmen. Als nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Entschädigungsverfahren begannen, dienten die Daten dazu, die ursprünglichen Eigentümerschaften festzustellen.

 

Zur Jahreschronik 1938

Fachkräfte wandern aus

Das Ärztepaar Brinitzer geht nach Indien

Bangalore

Jenny Brinitzer wurde 1884 in Riga, Lettland geboren. Nach Studien in Bern, Berlin und Kiel gelang es ihr, sich als erste Ärztin in Hamburg Altona niederzulassen. Dort praktizierte die Mutter dreier Kinder 20 Jahre lang in einer Gemeinschaftspraxis mit ihrem Mann, dem Dermatologen Dr. Eugen Brinitzer. 1933 machten Juden etwa ein Viertel der Hamburger Ärzteschaft aus. Jüdische Kassenärzte und Ärzte im öffentlichen Dienst wurden gleich in den ersten beiden Jahren des Naziregimes entlassen. Ab 1935 war eine Liste von etwas 150 jüdischen Ärzten in Hamburg im Umlauf, die im Zusammenhang mit den Bemühungen der Nationalsozialisten entstanden war, „arische“ Patienten von jüdischen Ärzten zu trennen. Im April 1938 verließen Dr. Jenny Brinitzer und ihr Mann Deutschland und wanderten nach Bangalore, Indien aus.

Glück im Unglück

Eine Geschäftsreise hält Alfred Schütz im sicheren Ausland

„Es ist auch nach allen Erfahrungen nur zu berechtigt, wenn ihre Frau in der Korrespondenz höchst vorsichtig ist und Sie bittet, es ebenso zu sein. Der Verdacht der Verbreitung von ‘Greuelnachrichten’ genügt, um einen in ernsthafte Schwierigkeiten zu bringen“.

London

Alfred Schütz, ein Weltkriegsveteran, hatte an der Universität Wien Jura, Soziologie und Philosophie studiert. Seit Ende der zwanziger Jahre war er bei dem Internationalen Bankhaus Reiter & Co angestellt. Während des deutschen Einmarsches in Österreich war er zufällig auf Geschäftsreise in Frankreich. Er entschloss sich, im Ausland zu bleiben. Ein Freund, der von London aus Wien besucht hatte, schreibt über sein Gespräch mit Schütz‘ Ehefrau Ilse. In seinem Brief rät er Schütz davon ab, nach Österreich zurückzukehren, da das neue Regime dem internationalen Bankwesen gegenüber misstrauisch sei. Angesichts der drohenden Gefahr erschien es Schütz als bessere Option, sich vorübergehend von der Familie zu trennen, als in seine Heimatstadt zurückzukehren.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Alfred Schutz, AR 25500

Original:

Archivbox 1, Ordner 18

Das Geschäft mit der Flucht

Deutsche Speditionsfirmen profitieren von der Vertreibung der Juden

„Im übrigen ist der Verlust von Ihnen so spät gemeldet worden, dass die Frist für die Anmeldung verstrichen ist. Die Versicherungs-Gesellschaft wird Ersatz irgend eines Verlustes nach so langer Zeit glatt ablehnen“.

Berlin/London

Deutsche Speditionsfirmen profitierten auf vielfache Weise von der düsteren Situation der Juden: Kein Weg führte an ihnen vorbei, um den Transport des Besitzes der Emigranten an den neuen Standort zu bewerkstelligen. Bereits Ende 1937 hatten 135.000 Juden Deutschland verlassen. Die Ereignisse des Jahres 1938 führten zu einem erneuten Anstieg. Die Spedition Gustav Knauer, deren Berliner Niederlassung das Umzugsgut Lotte Doerners (geb. Simon) abfertigte, hatten eine weitere lukrative Aufgabe gefunden: den Transport vieler der 20.000 Objekte aus deutschen Kunstmuseen, die durch das Regime als „entartet“ eingestuft wurden, zu der berüchtigten Ausstellung „Entartete Kunst“ nach München und von dort zur Einlagerung. Frau Doerner und ihrem Mann war es gelungen, Deutschland zu verlassen und sich in England niederzulassen. Beim Auspacken ihrer Sachen stellten sie fest, dass ihre Wäsche fehlte. Im hier gezeigten Brief teilt die Firma Frau Doerner höflich mit, auf ihrer Seite sei alles korrekt abgewickelt worden.

QUELLE

Institution:

Jüdisches Museum Berlin

Sammlung:

Brief von Gustav Knauer an Lotte Dorner, Sammlung Dorner, Schenkung von Steven Dorner.

Ein zweites Salzburg?

Max Reinhardt baut sich eine neue Existenz in Kalifornien

Hollywood

Der österreichische Theater- und Filmregisseur Max Reinhardt emigrierte im Oktober in die Vereinigten Staaten, begleitet von seiner Frau, der Schauspielerin Helene Thimig. Durch technische Neuerungen und die Erhöhung des Status des Regisseurs spielte Reinhardt eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung des modernen Theaters. Mit seiner „Jedermann“-Inszenierung wurde er 1920 zum Mitbegründer der Salzburger Festspiele. Kurz nachdem er sich in den Vereinigten Staaten niedergelassen hatte, kamen Pläne auf, in Kalifornien ein „zweites Salzburg“ zu gründen – diesmal „unter günstigeren klimatischen und politischen Bedingungen, und vielleicht mit größeren finanziellen Mitteln“, wie er – auf Englisch – an Toscanini schrieb. Unter seinen Errungenschaften in den USA waren die Inszenierung von Werfels „The Eternal Road“ (englische Version von „Der Weg der Verheißung“) und die Einrichtung des Max Reinhardt Workshop for Stage, Screen and Radio, einer Theater- und Filmakademie in Hollywood (1937-39). Vom amerikanischen Publikum hielt er nicht viel.

Soma Morgenstern

Ein Universalist lässt alles zurück und trifft im Exil auf einen alten Freund

Wien/Paris

Soma Morgenstern war promovierter Jurist, doch er zog es vor, seinen Lebensunterhalt als Schriftsteller und Journalist zu verdienen und schrieb Feulliettons über Musik und Theater. Der gebürtige Ost-Galizianer beherrschte mehrere Sprachen, darunter Ukrainisch und Jiddisch. Er schrieb in deutscher Sprache. Nach seiner Entlassung 1933 von der Frankfurter Zeitung, deren Kulturkorrespondent er gewesen war, hielt er sich mühsam mit journalistischen Gelegenheitsarbeiten über Wasser. Die Annexion Österreichs an Nazi-Deutschland machte seine Situation vollends untragbar: In die Emigration gezwungen, hinterließ er seine Ehefrau, ein Kind und zahlreiche Manuskripte. Am 23. März war er bereits im sicheren Paris, wo er mit einem weiteren berühmten galizianer Exilanten, seinem alten Freund, dem Schriftsteller Joseph Roth, im Hôtel de la Poste wohnte.

Ein Geschmack von Heimat

Eine deutsch-jüdische Auswandererzeitung bewirbt "echte, gute, deutsche Wurst"

„Endlich das, was Sie sich wünschen: die echte, gute, deutsche Wurst, hergestellt aus prima Rind- und Kalbfleisch zu den billigsten Tagespreisen“

New York

Nach den Strapazen ihres erzwungenen Abschieds von der Heimat, oft begleitet von einem Verlust an Status, Besitz und elementarem Vertrauen in die Menschheit, schienen die deutschen Juden wenig Grund zu Heimweh zu haben. Diese Anzeige aus dem „Aufbau“, der deutsch-jüdischen Zeitung mit Sitz in New York, die damals als Mitteilungsblatt des „German Jewish Club“ diente, zeigt, dass jüdische Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland sich dennoch nicht unbedigt eilten, ihre mitgebrachten Essgewohnheiten zu ändern.

Verheißung wird wahr

Kurt Weill feiert seinen 38. Geburtstag in New York

New York

Als Jude, Sozialist und Komponist von Musik, die vom Regime als „entartet“ eingestuft wurde, unerwünscht in Nazi-Deutschland, konnte Kurt Weill seinen 38. Geburtstag am 2. März in Sicherheit feiern: Nach Angriffen durch die Nazi-Presse und gezielten Protestaktionen gegen ihn war Weill bereits 1933 nach Frankreich emigriert. Die Proben zur Uraufführung seiner Oper „Der Weg der Verheißung“ (Libretto: Franz Werfel, engl. Version „The Eternal Road“) in New York gaben ihm Gelegenheit, in die USA zu reisen. Aufgrund zahlreicher technischer Probleme musste die Premiere bis 1937 verschoben werden. Weill ergriff die Gelegenheit, in Amerika zu bleiben. Bis 1938 war neben der genannten Oper auch das Musical „Johnny Johnson“ in New York zur Aufführung gelangt.

Flucht von Köln nach Kenia

Autoschlosser Paul sucht Sicherheit in Ostafrika

„Besond. Kennzeichen: keine“

Köln/Ol Kalou

Trotz der restriktiven Einwanderungspolitik der britischen Kolonialmacht gelingt dem zwanzigjährigen Autoschlosser Paul Egon Cahn aus Köln mit diesem Pass die Flucht nach Kenia. Pauls Schwestern Erika und Inge schaffen es, sich in England beziehungsweise Australien in Sicherheit zu bringen. Die Eltern der Geschwister, Siegfried und Renate Cahn, bleiben in Deutschland zurück. In vielen Fällen mussten die Emigranten nicht nur den Verlust von Heimat und Besitz und die Trennung von ihren Angehörigen verkraften, sondern sich auch den Herausforderungen fremder Klimazonen und Kulturen stellen.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Paul Egon Cahn, AR 25431

Original:

Archivbox 1, Ordner 10

Liebeskummer

Ein Freund spendet Trost angesichts der drohenden Trennung von der Geliebten

„Ich sage es ist gut, wenn man sich lange nicht sieht, erst dann kann man erkennen, wie sehr oder wie wenig Menschen sich geändert haben.“

Hamburg/Meran

1938 war Familie Hirsch aus Hamburg bereits nach Italien ausgewandert. Angesichts der instabilen Situation in Europa hatten mehrere Familienmitglieder begonnen, nach Möglichkeiten der Emigration in die Vereinigten Staaten oder nach Südamerika Ausschau zu halten. Julius Hirsch hatte Elisabeth Schiff 1935 bei einem Besuch in Belgien kennengelernt und sich in sie verliebt. Familie Schiff hatte keine Pläne, Europa zu verlassen, und als Visen für El Salvador für Julius und andere Familienangehörige beschafft worden waren, muss ihn der Gedanke der Trennung von seiner Geliebten geschmerzt haben: In diesem Brief versichert ihm ein Freund aus Hamburg, eine vorübergehende Trennung sei keine schlimme Sache. Die Vereinigten Staaten verweigerten ihm das notwendige Transit-Visum, und Julius musste in Italien zurückbleiben. Schließlich kam er in England wieder mit seiner Elisabeth zusammen.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Julius und Elisabeth Hirsch, AR 25585

Original:

Archivbox 1, Ordner 3

Tel Aviv, Bauhaus, und „Die Große Illusion“

Die Ben-Jehuda-Straße in Tel Aviv

Tel-Aviv

Diese Ansicht der Ben-Jehuda-Straße in Tel-Aviv zeigt im Hintergrund einige der typischen Gebäude, denen es den Beinamen „Die weiße Stadt“ verdankt: Seit 1933 und besonders nach dem Inkrafttreten des „Reichsbürgergesetzes“ 1935 hatten sich Architekten im Land angesiedelt, die zum Teil im Bauhaus ausgebildet worden waren und nun Tel-Aviv ihren Stempel aufdrückten – entweder durch eigene Schöpfungen oder durch ihren Einfluss auf Kollegen. Dominiert wird das Foto durch das Migdalor-Gebäude, das 1935 errichtet wurde und das erste klimatisierte Kino der Stadt beherbergte. Auf der Außenwand ist Werbung für Jean Renoirs 1937 entstandenen Film „Die große Illusion“ zu sehen, der aufgrund seiner pazifistischen Botschaft in Deutschland verboten war.

Jahreschronik 1938

Eröffnung des Hafens von Tel Aviv

Eröffnung des Tel-Aviver Hafens. Nationale Fotografische Sammlung Israels.

Der Hafen Tel Avivs wird fertiggestellt und offiziell eingeweiht. Als das arabische Jaffa seinen Hafen 1936 als Gegenreaktion auf die steigende Zahl jüdischer Immigranten schloss, eröffnete Tel Aviv Sha’ar Zion, das Zionstor. Der Hafen operierte die ersten zwei Jahre in begrenztem Umfang. Seine logistische und symbolische Bedeutung für die vor den Nationalsozialisten fliehenden Juden kann jedoch nicht überschätzt werden. Im April 1938 geht nach Monaten der Frachtnutzung der erste Passagier an Land. Zwei Jahre später, als eine Flucht aus Deutschland kaum mehr möglich ist und der Zweite Weltkrieg begonnen hatte, wird der Hafen auschliesslich militärisch genutzt.

Zur Jahreschronik 1938

Kaffeeklatsch im Frankfurt am Hudson

Ein neues Leben in Washington Heights, NYC

Bei Kaffee, Kuchen und Kartenspiel und einem gemütlichen Unterhaltungsprogramm werden die Anwesenden Gelegenheit haben, darüber zu sprechen, was sie bewegt.

New York

Zwischen der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 und dem Jahr 1938 waren etwa 16.000 Juden in die Vereinigten Staaten eingewandert. Viele deutsche Juden hatten sich in New York angesiedelt, vor allem im Stadtteil Washington Heights im Norden Manhattans, was ihm den Scherznamen „Frankfurt am Hudson“ einbrachte. Der Veranstaltungskalender des „German Jewish Club“ für den Monat Februar verzeichnet einen „Familienabend mit Kaffee-Klatsch“, der „künstlerische und musikalische Einlagen“ bietet. Die Veranstaltung ist auf die Bedürfnisse der älteren Mitglieder der Gemeinschaft abgestimmt als „Ersatz für Loge, Liederkranz, Resource und andere Vereine“ und verspricht den Teilnehmern die Gelegenheit, über die Dinge zu sprechen, die sie bewegen. Zusätzlich zu den kulturellen Veranstaltungen führt der massive Zustrom deutscher Juden zur Gründung zahlreicher neuer Synagogengemeinden, angefangen mit „Tikvoh Chadoshoh“: „Neue Hoffnung“.

Zwischen Täuschung, Lüge und Propaganda

SS-Presseorgan verzerrt die Wirklichkeit der Juden in Deutschland

In zwanzig Jahren wird Deutschland vom größten Teil seiner jüdischen Bevölkerung frei sein, erklärt „Das Schwarze Korps“, das Organ von Kanzler Hitlers Elitetruppe, in seiner aktuellen Ausgabe in einem Leitartikel und beschuldigt die Juden, nicht auswandern zu wollen.

Berlin

Anfang 1938 war eine große Anzahl von Spekulationen hinsichtlich der Zukunft der Juden in Umlauf. Das offizielle SS-Organ „Das Schwarze Korps“ drückt beispielsweise die Vermutung aus, dass nach dem Ausschluss der Juden aus dem geistigen und politischen Leben der Nation die Möglichkeit einer räumlichen Trennung von der Mehrheit der Juden in etwa zwanzig Jahren kein bloßes Hirngespinst sei. Laut dieser Mitteilung, die durch die Jewish Telegraphic Agency (JTA) verbreitet wird, behauptet „Das Schwarze Korps“, die Juden seien nicht gewillt, Deutschland zu verlassen. Auch sei die „geringe Anzahl“ der jüdischen Auswanderer nicht etwa auf Devisen- und andere Probleme zurückzuführen sondern darauf, dass Juden in anderen Ländern keinen Finger zu krümmen bereit seien, um ihren Brüdern dort ein Zuhause zu geben. Tatsächlich hatten 1937 bereits etwa 130.000 Juden (von insgesamt etwa 600.000) das Land verlassen.

Vom Reichsbürger zum Staatsangehörigen zum Staatenlosen

Es braucht einen Durchbruch in der Flüchtlingskrise

Genf

Bereits 1936 hatte der Völkerbund mit Sir Neill Malcolm eigens einen „Hochkommissar für Flüchtlinge“ aus Deutschland eingesetzt. Angesichts des zunehmenden Flüchtlingsstroms aus Nazi-Deutschland wurde im Februar 1938 in Genf unter der Ägide des Völkerbundes eine Regierungskonferenz einberufen. Das orthodoxe Blatt „Der Israelit“ berichtet hier vom ersten Tag der Zusammenkunft, an der Delegierte aus 14 Ländern teilnahmen. Durch die Nürnberger Gesetze hatten Juden eine Herabstufung von „Reichsbürgern“ zu bloßen „Staatsangehörigen“ erfahren. Sobald sie Deutschland verließen, mussten sie mit dem Entzug ihrer Staatsangehörigkeit rechnen. Zwei Mitglieder des Verbindungsausschusses, Bentwich aus London und Seroussi aus Paris, forderten daher, den Flüchtlingsschutz auch auf Staatenlose auszudehnen.

Deutschsprachiges Schlittschuhlaufen in New York

Klub für deutsch-jüdische Immigranten in den USA lädt zum Wintersport

Yonkers, New York

Unter den vielen Arten körperlicher Aktivität, die der „German-Jewish Club“ den Lesern der amerikanischen deutsch-jüdischen Zeitschrift „Aufbau“ anbot, wie z.B. Tischtennis, Skifahren, Schwimmen und sogar ein „Katerbummel“, war auch eine Einladung zum Schlittschuhlaufen im Tibbetts Brook Park in Yonkers, New York. Vielleicht erweckte eine vertraute Aktivität im Kreis anderer Deutschsprachiger an einem Ort, der ein Badehaus im Neu-Tudorstil zu bieten hatte, Erinnerungen an bessere Tage in Europa: Trotz ihrer traumatischen Erfahrungen unter dem Naziregime und ihres erzwungenen Weggangs fühlten sich viele deutsche Juden ihrer europäischen Heimat kulturell weiterhin zutiefst verbunden.

Aus dem Leeren schöpfen

Wie ihrer Familie in Deutschland helfen, wenn sie selbst kaum über die Runden kommt?

„Ich habe mich an eine alte Bekanntschaft erinnert und geschrieben, man hat sehr nett geantwortet und ich hoffe, dass er in den nächsten Tagen sich bei mir meldet. Ich will mal Ratschläge hören wegen der Ollen und so [...].“

Turin/Rom

In diesem kurzen, schwesterlich-saloppen Brief aus Turin an ihre Schwester Anneliese in Rom kommuniziert Elsa Riess ihre Sorgen um die Eltern, die in Deutschland zurückgeblieben sind. Elsa macht sich Gedanken wegen der beruflichen Situation des Vaters und äußert ihre Absicht, sich nach Möglichkeiten zu erkundigen, den Eltern zu helfen, von denen sie seit einiger Zeit nicht gehört hat. Anneliese war 1933 nach Rom gegangen, um Archäologie zu studieren und hatte 1936 promoviert. Aufgrund ihrer eigenen unsicheren materiellen Situation war sie nicht in der Lage, ihren Eltern finanziell unter die Arme zu greifen. Da sie als Ausländerin in Italien keine Anstellung finden konnte und in der Hoffnung, durch den Erwerb einer praktischen Fähigkeit ihre Erwerbschancen zu verbessern, belegte sie 1937 in Genf einen Kurs als Kinder- und Säuglingsschwester.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Anneliese Riess, AR 10019

Original:

Archivbox 1, Ordner 9

Jahreschronik 1938

Gesetz über die Änderung von Vor- und Familiennamen

Seite aus dem Protokollbuch der Gesellschaft der Freunde in Berlin, 1792 - 1793.

Mit dem Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen regeln die Nationalsozialisten die Änderung des Namens von deutschen Staatsangehörigen oder Staatenlosen mit Wohnsitz im Deutschen Reich. Das Gesetz ermächtigt den Reichsminister des Innern, Vorschriften über die Führung von Vornamen zu erlassen und Vornamen zu ändern, die diesen Vorschriften nicht entsprechen. Eingeschlossen sind Namen, die noch vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 geändert worden waren. Dies betrifft vor allen Dingen assimilierte Juden, die einen als typisch jüdisch geltenden Nachnamen abgelegt hatten und sich nach Ansicht der Nationalsozialisten damit tarnten. Mit dem Erlass des Gesetzes war die rechtliche Grundlage für den Plan geschaffen, alle Juden durch einen Zwangsvornamen zu kennzeichnen.

Zur Jahreschronik 1938

Zwischenstopp Venedig

Europa bleibt wichtiger Bezungspunkt für jüdische Emigranten in Palästina.

Palästina/Venedig/Essen

Als Julius Ostberg (link to Jan. 15 entry) im Januar 1938 zu Besuch nach Palästina kam, hatte seine Tochter Ilse bereits vier Jahre dort gelebt. Sie wurde 1912 geboren und verbrachte ihre ersten 22 Jahre in Essen. Nach ihrer Auswanderung aus Deutschland im Jahr 1934 und ihrer Niederlassung in Palästina fuhr sie in den folgenden Jahren wie andere europäische Juden weiterhin nach Europa zu Besuch. Die hier gezeigten Photos entstanden 1937 bei einer Zwischenlandung in Venedig auf der Rückreise nach Palästina.

QUELLE

Institution:

Leo Baeck Institute – New York | Berlin

Sammlung:

Sammlung Ilse Gamper, AR 25243

Original:

Archivbox 1, Ordner 29

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