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Hannah Kroner

Tanz als Lebenseinstellung

Im Jahr 1939 flieht die 19-jährige Hannah Kroner gemeinsam mit ihren Eltern aus ihrer Heimatstadt Berlin nach New York. Sie muss alles zurücklassen, was ihr vertraut ist. Mit jeder Minute auf dem Schiff, das sie aus dem zunehmend bedrohlichen Europa in Sicherheit bringt, wächst das Bewusstsein der Familie für die Unsicherheit, die sie in der neuen Welt erwartet. Der Vater zeigt sich besorgt angesichts dieser Ungewissheit, die Mutter hingegen blickt zuversichtlich und mit Hoffnung auf ein Leben in Freiheit. Hannah selbst schreibt rückblickend: „I, of course, was very excited about our future, and being a trained dancer, saw myself already as another Eleanor Powell in the movies!“ Ihr Optimismus sollte sich als berechtigt erweisen – auch wenn das zu diesem Zeitpunkt noch niemand wissen konnte.

Hannah Kroner as a child, 1925/1926
Hannah Kroner als Kind, 1925. LBI Archiv, Hannah Kroner Collection, AR 25823. Aus Box 1, Ordner 24.

Hannah Kroner wurde 1920 in Berlin geboren. Sie war das einzige leibliche Kind des Berliner Kaufmanns Eugen Salomon Kroner und seiner Frau Elsa Levy. Die Familie lebte im wohlhabenden Westen Berlins, wo Hannah die Chamissoschule, ein Mädchengymnasium, besuchte. Dort lernte sie ihre beste Freundin Susanne Wachsner kennen, die nach dem frühen Tod ihrer Eltern in den Haushalt der Familie Kroner aufgenommen wurde und wie eine Schwester an Hannahs Seite aufwuchs. Die beiden Mädchen verband ihre große kreative Begabung: Susanne entdeckte ihre Leidenschaft für die Schneiderei, Hannah für den Tanz.

Hannah Kroner performing different styles of dance, 1939
Hannah Kroner führt verschiedene Tanzstile auf, 1939. LBI Archiv, Hannah Kroner Collection, AR 25823. Aus Box 1, Ordner 28.

Ab 1934 begann Hannah eine professionelle Tanzausbildung an der renommierten Schule der Tänzer Max Terpis und Rolf Arco. Besonders wichtig war dort die vielseitige Ausbildung – von Ballett über Ausdruckstanz bis hin zu Stepptanz (in dem Hannah besonders hervorstach), Volkstanz und mehr. Sie begann bald auch, selbst Kinder und Anfänger zu unterrichten. Von ihren Lehrern wurde sie hochgeschätzt – nicht nur wegen ihres Talents, sondern auch wegen ihrer Disziplin, Musikalität und ihres Charakters.

Als 1935 die Nationalsozialisten sie zwangen, ihre schulische Laufbahn zu beenden, widmete sie sich ganz ihrer Tanzkarriere. Hannah trat dem Jüdischen Kulturbund bei und arbeitete dort als Tänzerin. Der Jüdische Kulturbund war eine 1933 gegründete Organisation für jüdische Künstler, Musiker und Schauspieler, die vom Berufsverbot betroffen waren. Das NS-Regime duldete ihn bis 1941 – auch um jüdische Kunst und deren Publikum zu kontrollieren und zu isolieren. Aufführungen des Kulturbundes durften ausschließlich von Juden besucht werden und waren die einzigen kulturellen Veranstaltungen, zu denen jüdische Künstler überhaupt noch zugelassen waren. In einem späteren Zeugnis erklärte Hannah, dass diese Jahre alles andere als unbeschwert waren. Die ständige Angst vor Verfolgung und Deportation war allgegenwärtig. Doch ihre Arbeit auf der Bühne gab ihr Halt: „It was not a happy time off the stage, but it was constructive and also happy while on stage, for which I am very grateful.“

Picture of Hannah Kroner together with her best friend and adopted sister Susanne Wachsner in 1930, Bayerischer Platz, Berlin-Schoeneberg
Hannah Kroner zusammen mit ihrer besten Freundin und Adoptivschwester Susanne Wachsner im Jahr 1930, Bayerischer Platz, Berlin-Schöneberg. LBI Archiv, Hannah Kroner Collection, AR 25823. Aus Box 1, Ordner 24.

Trotz allem bereitete sich die Familie entschlossen auf die Ausreise vor. Im November 1939 war es schließlich so weit: Hannah und ihre Eltern reisten über Rotterdam per Schiff nach New York. Ihre Freundin Susanne konnte das Konsulat nicht rechtzeitig erreichen, um ein Visum zu erhalten. und musste schweren Herzens zurückbleiben. Die Erinnerung an den Abschied blieb Hannah ein Leben lang: Auf der niederländischen Seite des Grenzzauns standen sie und ihre Eltern – auf der anderen Seite Susanne. „Mama!“, schrie sie, bevor sie von zwei Nazis fortgezerrt wurde. Es war das letzte Mal, dass Hannah ihre beste Freundin sah. Susanne Wachsner wurde 1941 im Konzentrationslager Kauen ermordet.

In New York angekommen, lernte Hannah Marion „Mara“ Leiser kennen, ebenfalls eine aus Berlin geflüchtete Tänzerin. Gemeinsam gründeten sie das Tanzduo The Corley Sisters. Zwischen 1940 und 1942 traten sie an der Ostküste der USA auf und wurden schnell Publikumslieblinge – nicht nur wegen ihrer tänzerischen Fähigkeiten, sondern auch durch ihre humorvollen Darbietungen und wechselnden Kostüme.

Hannah Kroner and Marion Leiser aka "The Corley Sisters" posing in one of their costumes, 1940/1941
Hannah Kroner und Marion Leiser alias „The Corley Sisters“, 1941. LBI Archiv, Hannah Kroner Collection, AR 25823. Aus Box 2, Ordner 2.

1942 heiratete Hannah Gustav Segal, ebenfalls ein Berliner Emigrant. Gemeinsam bekamen sie zwei Kinder, Evelyn und Jerry, und ließen sich in Queens nieder. Dort begann Hannah zunächst im Wohnzimmer, Kindern Tanzunterricht zu geben. 1947 gründete sie ihre eigene Tanzschule – die Hannah Kroner School of Dancing, welche sie über 60 Jahre lang leitete. Ihr Ziel war es, ihren Schüler:innen ein ebenso breites Repertoire zu vermitteln, wie sie selbst einst gelernt hatte: Tanztechniken, Mimik, Choreografie, Kostümgestaltung, Bühnen-Make-up und Unterrichtspädagogik. Ihre Philosophie ging dabei weit über Tanz hinaus: „We have tried to educate people to function in all phases of their life.“ Darauf sei sie am stolzesten gewesen.

Das Tanzen war über all die Jahre ihre Konstante – es half ihr, Haltung zu bewahren und stets nach vorne zu blicken. Für Hannah war der Tanz Ausdruck von Resilienz – und eine Lebenshaltung. Hannah Kroner starb im Alter von 95 Jahren in New York. Ihre Tanzschule besteht bis heute.

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