Das Leo Baeck Institut hält die Geschichte und Kultur des deutschsprachigen Judentums lebendig.
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Concert & Discussion: Music and Identity
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In einer Wanderausstellung und einem neuen Online-Projekt zeigt das Leo Baeck Institut das Jahr 1938 aus der Sicht von Jüdinnen und Juden. Die persönlichen Dokumente schildern sowohl ihre eigenen Erfahrungen und erlittenen Nöte als auch die wachsenden Spannungen in Europa und die schwindende Hoffnung für Juden in Deutschland und Österreich.
In der Synagoge in der Berliner Prinzregentenstraße warteten mehrere junge Männer darauf, als vollwertige Mitglieder in die Gemeinde aufgenommen zu werden. Die Bar Mitzwa ist ein Anlass zur Freude, daher ließ es sich Rabbiner Manfred Erich Swarsensky nicht nehmen, den 15 Jungen, die vor ihm standen, Folgendes mit auf den Weg zu geben: „Ich habe keinen anderen Wunsch für euch, als den, dass Ihr auch in späteren Jahren an den Tag Eurer Barmizwa denkt, dass Ihr Juden seid, gern und freudig und stolz, auch dann und dort, wenn man nicht durch das äussere Leben dazu gezwungen ist.“ Doch trotz der warmen Worte, die er an sie und ihre Familien richtete, war die Stimmung an jenem Shabbat im September 1938 gedrückt. Den Anwesenden war nur allzu bewusst, dass alles, was hier geschah, den Stempel „zum letzten Mal“ trug. Dennoch wollte Manfred Swarensky nicht darauf verzichten, die Versammelten nochmals eindringlich auf die Errungenschaften früherer Generationen und die „einst so grosse und schöne Geschichte des deutschen Judentums“ hinzuweisen, damit diese auch künftigen Geschlechtern in Erinnerung bliebe. Aber auch ihm war schmerzlich bewusst, „dass Niederreissen leichter als Aufbauen ist“. Rückblickend wirkt seine Rede, die er am 28. September 1938 niederschrieb (siehe das Originaldokument auf S. 6), fast prophetisch. Keine zwei Monate später wurde die prächtige Synagoge in den Novemberpogromen in Brand gesteckt. Der Ort, an dem nur wenige Wochen zuvor die letzte Bar Mitzwa stattfand, wurde nun ein Opfer der Flammen. Rabbi Manfred Erich Swarsensky wurde festgenommen und im Konzentrationslager Sachsenhausen inhaftiert. Die Kosten für die Absicherung der Ruine musste die jüdische Gemeinde tragen, ehe sie gezwungen wurde, das Grundstück 1941 weit unter Wert an die Stadt zu verkaufen.
Eine derartige Eskalation der Gewalt, die binnen weniger Stunden unzählige berufliche Existenzen vernichtete und das Leben ganzer Familien zerstörte, war zu Beginn des Jahres 1938 noch unvorstellbar. Trotz der seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 einsetzenden judenfeindlichen Maßnahmen hofften zahlreiche deutschsprachige Juden zu dem Zeitpunkt noch, dass die erlebte Diskriminierung lediglich eine vorübergehende Phase sei und ihre über Jahrhunderte mühsam errungene Stellung sie letztendlich schützen würde. Deutschland und Österreich waren ihre Heimat, die Wiegen der jüdischen Emanzipation, lange bevor die antisemitische Ideologie der Nationalsozialisten Staatsdoktrin wurde und Juden und Jüdinnen zunehmend ihrer Freiheiten und Rechte beraubte. So schrieben die Papierfabrikanten Kuno und David Moritz Fleischer aus Eislingen noch am 5. Januar 1938 an ihre Teilhaber: „Wie sich die Verhältnisse gestalten werden, kann niemand von uns voraussagen, dass wir an dem gemeinsam Aufgebauten festhalten, solange es geht, kann uns kein Mensch übel nehmen, und ob alles, was wir jetzt oder in nächster Zeit tun, richtig ist, kann auch von niemand abgewertet werden, vielleicht war alles falsch und alles zu spät. […] Wollen wir hoffen, dass sich die Verhältnisse für uns nicht so ungünstig auswirken, als es den Anschein hat“ (siehe das Originaldokument auf S. 6). Wenig später flüchtete David Moritz Fleischer mit seiner Familie nach England. Seine Flucht war einer der fadenscheinigen Vorwände, unter denen sein Bruder Kuno Fleischer nach den Novemberpogromen festgenommen und im Konzentrationslager Dachau interniert wurde. Ihm gelang es, nach der Entlassung in die USA auszureisen.
Die Ereignisse von 1938 ließen für deutschsprachige Juden keinen Zweifel daran, dass es kein Zurück geben konnte. Das Jahr war eine Zäsur, ein endgültiger Bruch, der sich in ihr Gedächtnis brannte und in ihren Erinnerungen und Aufzeichnungen niederschlug. Staccato-artig wurden neue Verordnungen und politische Entscheidungen getroffen, die den Bewegungsraum und die bereits eingeschränkten Rechte von Juden weiter einengten und ihnen zunehmend die Lebensgrundlage raubten. Im März erfolgte der „Anschluss“ Österreichs und weitete die bisher in Deutschland umgesetzten Maßnahmen binnen kürzester Zeit auf österreichische Jüdinnen und Juden aus. Ärzten wurde die Approbation entzogen, Juristen die Ausübung ihres Berufs untersagt. Mit großem Aufwand, internationalem Aufgebot an Repräsentanten aus 32 Nationen und zahlreichen Hilfsorganisationen tagte die Konferenz von Évian im Juli mit ernüchternden Resultaten. Mit der Namensänderungsverordnung wurde die „Kennzeichnung“ von Jüdinnen und Juden durch das verpflichtende Annehmen „typisch jüdischer“ Vornamen wie „Israel“ und „Sara“ eingeführt. Pässe wurden für ungültig erklärt, sofern sie nicht den roten Stempel „J“ trugen. Ende Oktober wurden in der „Polenaktion“ tausende Personen mit polnischer Staatsangehörigkeit deportiert. All dies geschah noch vor den euphemistisch als „Kristallnacht“ bezeichneten Novemberpogromen, die in einem staatlich orchestriertem „Volkszorn“ Symbole des jüdischen Lebens verwüsteten. Egal ob Synagogen, Schulen, Krankenhäuser, Friedhöfe, große oder kleine Geschäfte, nichts war vor der Zerstörungswut sicher, die selbst vor Privathäusern und Personen nicht Halt machte. Vor dieser Verheerung konnte die Weltöffentlichkeit nicht länger die Augen verschließen. Einzelne Länder wie Großbritannien lockerten daraufhin ihre Einreisebestimmungen und ermöglichten eine der größten humanitären Aktionen der Geschichte: den „Kindertransport“. Viele jüdische Familien sahen im „Kindertransport“ die einzige Rettung für ihren wertvollsten Schatz, ihre Kinder. Schweren Herzens schickten verzweifelte Eltern ihre Kinder in eine ungewisse Zukunft und retteten ihnen somit ihr Leben. Doch oftmals waren diese Kinder und Jugendlichen die einzigen aus ihrer Familie, die überlebten.
2018 werden sich die einschneidenden und dramatischen Ereignisse von 1938 zum 80. Mal jähren. Zur Erinnerung daran hat das Leo Baeck Institute –New York | Berlin (LBI), als Bewahrer des kulturellen Erbes des deutschsprachigen Judentums und in seiner Funktion als zentraler Ort der deutsch-jüdischen Diaspora, das „1938Projekt“ entwickelt. Mithilfe eines bilingualen Online-Kalenders, einer Wanderausstellung, zahlreicher Veranstaltungen und Konferenzen werden Einzelschicksale in den Vordergrund gestellt und das Vergangene in die Gegenwart gebracht. Das Vorhaben ist in seinem Umfang und seiner Perspektive einzigartig: Unter Verwendung von Dokumenten aus unseren Archiven und zahlreicher Partnerinstitutionen wird das LBI unter 1938projekt.org insgesamt 365 persönliche Geschichten veröffentlichen – eine für jeden Tag im Jahr 1938. Täglich wird ein neuer Eintrag zum entsprechenden Datum freigeschaltet und über Kommunikationskanäle wie Facebook und Twitter angekündigt und verbreitet. Jedes vorgestellte Dokument und Objekt schildert die privaten Eindrücke und Erlebnisse seines früheren Besitzers und rückt so die unzähligen persönlichen Schicksale in den Vordergrund, die sich hinter den nüchternen Zahlen verbergen. 12 davon werden im Rahmen der Wanderausstellung zu sehen sein, Termine und weitere Details werden demnächst auf www.lbi.org bekanntgegeben werden.
Gerade der unmittelbare Austausch mit den letzten noch lebenden Zeitzeugen verdeutlicht den bevorstehenden Verlust und die unschließbare Lücke, die ihr Fehlen hinterlassen wird. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass ihre Briefe, ihre in Tagebüchern niedergeschriebenen Gedanken und erhaltenen Erinnerungstücke auch zukünftig das Vermächtnis des deutschsprachigen Judentums bewahren werden. Diese Artefakte werden es sein, die das kulturelle Erbe nachfolgenden Generationen vermitteln, ohne an Aktualität einzubüßen. Denn in den privaten Aufzeichnungen werden Themen angesprochen, die auch heute, wo Rechtspopulismus auf nationaler und internationaler Ebene regen Zuspruch erhält und die Werte der Demokratie in Frage gestellt werden, nichts von ihrer Brisanz verloren haben: sie berichten eindrücklich von erfolgreicher Akkulturation und Integration sowie den mühsam erlangten gesellschaftlichen Errungenschaften, aber auch von den verheerenden Folgen von Diskriminierung, Ausgrenzung und Verfolgung.
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